Neue Studie über die Sprechfähigkeit der Neandertaler

Presseldung vom 01.03.2021

Neandertaler - die engsten Verwandten des heutigen Menschen - besaßen die Fähigkeit, modern-menschliche Sprache hervorzubringen und zu verstehen. Dies ergab eine neue Studie eines internationalen und multidisziplinären Forscherteams.


„Diese Studie gehört zu den wichtigsten, an denen ich im Laufe meines Berufslebens beteiligt war", sagt Rolf Quam, Professor für Anthropologie an der Universität von Birmingham. "Die Ergebnisse sind solide und zeigen deutlich, dass die Neandertaler die Fähigkeit hatten, menschliche Sprache wahrzunehmen und zu produzieren. Dies ist eine der wenigen, aktuell laufenden Forschungen, die sich auf Fossilien stützen, um die Evolution der Sprechfähigkeit zu untersuchen, ein ewiges und schwieriges Thema in der Anthropologie."


Schädelvergleich von Homo sapiens und Homo neanderthalensis.

Publikation:


Mercedes Conde-Valverde, Ignacio Martínez, Rolf M. Quam, Manuel Rosa, Alex D. Velez, Carlos Lorenzo, Pilar Jarabo, José María Bermúdez de Castro, Eudald Carbonell, Juan Luis Arsuaga
Neanderthals and Homo sapiens had similar auditory and speech capacities
Nature Ecology & Evolution, 2021

DOI: 10.1038/s41559-021-01391-6



„Jahrzehntelang war es eine der zentralen Fragen in Studien der Evolution des Menschen, ob die menschliche Form der Kommunikation, die gesprochene Sprache, auch bei anderen Arten menschlicher Vorfahren vorhanden war, insbesondere bei den Neandertalern", sagt Co-Autor Juan Luis Arsuaga, Professor für Paläontologie an der Universidad Complutense de Madrid und Co-Direktor der Ausgrabungen und Forschungen an den archäologischen Stätten von Atapuerca in Nordspanien. Die jüngste Studie hat rekonstruiert, wie Neandertaler gehört haben, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie sie möglicherweise kommuniziert haben.

Die Studie stützt sich auf hochauflösende CT-Scans, um virtuelle 3D-Modelle der Ohrstrukturen von Homo sapiens, Neandertalern sowie noch früheren menschlichen Vorfahren (die Vorfahren der Neandertaler) aus Atapuerca zu erstellen. Die mit den 3D-Modellen gesammelten Daten wurden in ein softwarebasiertes Modell integriert, das im Bereich des auditorischen Bioengineering entwickelt wurde. Ziel war es, die Hörfähigkeit bis zu 5 kHz abzuschätzen, was den größten Teil des Frequenzbereichs moderner menschlicher Sprachlaute umfasst. Im Vergleich zu den Atapuerca-Fossilien zeigten die Neandertaler zwischen 4 und 5 kHz ein etwas besseres Gehör und ähnelten eher modernen Menschen.

Darüber hinaus waren die Forscher in der Lage, den Frequenzbereich maximaler Empfindlichkeit, technisch bekannt als „occupied bandwidth“ (etwa belegte Bandbreite), für jede Spezies zu berechnen. Die belegte Bandbreite hängt mit dem Kommunikationssystem zusammen, so dass eine größere Bandbreite die Verwendung einer größeren Anzahl leicht unterscheidbarer akustischer Signale bei der mündlichen (oralen) Kommunikation einer Spezies ermöglicht. Dies wiederum verbessert die Effizienz der Kommunikation und die Fähigkeit, in kürzester Zeit eine klare Botschaft auszusenden. Neandertaler weisen im Vergleich zu ihren Vorfahren aus Atapuerca eine größere Bandbreite auf und ähneln in dieser Eigenschaft eher dem modernen Menschen.

"Das ist wirklich der Schlüssel", sagt Mercedes Conde-Valverde, Professor an der Universidad de Alcalá in Spanien und Hauptautor der Studie. "Das Vorhandensein ähnlicher Hörfähigkeiten, insbesondere der Bandbreite, zeigt, dass die Neandertaler über ein Kommunikationssystem verfügten, das so komplex und effizient war wie die moderne menschliche Sprache."

"Ein anderes interessantes Ergebnis der Studie ist, dass die Sprache der Neandertaler wahrscheinlich einen verstärkten Einsatz von Konsonanten beinhaltete“, sagt Quam. "Die meisten früheren Studien zur Sprechfähigkeit der Neandertaler konzentrierten sich auf die Fähigkeit, die Hauptvokale zu erzeugen. Wir sind jedoch der Ansicht, dass dies falsch ist, da die Verwendung von Konsonanten eine Möglichkeit darstellt, mehr Informationen in das Stimmsignal aufzunehmen. Dies unterscheidet die menschliche Sprache von den Kommunikationsmustern fast aller anderen Primaten. Die Tatsache, dass unsere Studie dies aufgegriffen hat, ist ein wirklich interessanter Aspekt der Forschung und ein neuartiger Ansatz hinsichtlich der sprachlichen Fähigkeiten unserer fossilen Vorfahren."

Daher waren Neandertaler, ähnlich wie wir, in der Lage Laute menschlicher Sprache zu erzeugen, und ihr Ohr war darauf "abgestimmt", diese Frequenzen wahrzunehmen. Diese Änderung der Kapazitäten des Gehörs bei Neandertalern, im Vergleich zu ihren Vorfahren aus Atapuerca, läuft parallel mit archäologischen Beweisen für immer komplexere Verhaltensmuster. Dazu gehören auch Änderungen der Steinwerkzeugtechnologien, die Beherrschung des Feuers und möglicherweise symbolischen Praktiken. In diesem Sinne liefert die Studie starke Belege für die Koevolution immer komplexer werdender Verhaltensweisen und die Steigerung der Effizienz der Stimmkommunikation im Verlauf der menschlichen Evolution.

Das Team hinter der neuen Studie entwickelt diesen Forschungsansatz seit fast zwei Jahrzehnten und setzt dabei auf Zusammenarbeit, um die Analysen auf weitere fossile Arten auszudehnen. "Diese Ergebnisse sind besonders erfreulich", sagt Ignacio Martinez, Professor an der Universidad de Alcalá in Spanien. "Wir glauben, dass wir nach mehr als einem Jahrhundert der Erforschung dieser Frage eine schlüssige Antwort auf die Frage der Sprechfähigkeit von Neandertalern gegeben haben."


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Binghamton University erstellt


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