Australopithecus garhi


Australopithecus garhi wurde im April 1999 auf der Bouri'>Bouri-Halbinsel in Äthiopien ausgegraben. Die Bouri-Halbinsel ist eine geologische Formation und besteht aus drei geologischen Einheiten, die im Englischen "Member" genannt werden. Aus ihnen stammen Fossilien und Artefakte aus verschiedenen Epochen der menschlichen Evolution. Die unterste der drei Schichten nennt man Hatayae Member (2,5 Millionen Jahre), in der die Überreste des Australopithecus garhi gefunden wurden.

Steckbrief Australopithecus garhi
Gehirngröße:
450 cm3
lebte vor:
ca. 2,5 Millionenn
Finder:
Y. Haile-Selassie
Holotypus:
Nr. BOU-VP-12/130
Fundort:
Bouri-Halbinsel, Äthiopien
Australopithecus garhi wurde in Äthiopien auf der Bouri-Halbinsel (Hatayae Member) gefunden. Er lebte vor etwa 2,5 Millionen Jahren, ging aufrecht und gehört zur Gruppe der grazilen Australopithecinen. Das Hirnvolumen, das man aus dem Innenvolumen des Schädels errechnete, beträgt ca. 450 cm³; zum Vergleich: ein Schimpansen-Gehirn ist ungefähr 400 cm³, das des modernen Menschen ungefähr 1400 cm³ groß. Der Name der Art ist abgeleitet von „garhi“, was in der Afar-Sprache für „Erstaunen, Überraschung“ steht. Australopithecus garhi bedeutet also ungefähr „der überraschende südliche Affe“. In welchem Verwandtschaftsverhältnis Australopithecus garhi zu den unmittelbaren Vorfahren des Menschen steht, weiß man noch nicht.

Neben Schädel-, Gebiss- und Langknochenresten wurden im selben Fundhorizont auch Steinwerkzeuge entdeckt. Dies wirft die Frage auf, ob die Werkzeugkultur bereits bei Australopithecinen einsetzte oder ob die Funde zur Gattung Homo gerechnet werden müssen.

Die Region, in der man die Überreste fand, ist eine anthropologische Fundgrube. Von hier stammt auch das berühmte, 3,2 Millionen Jahre alte Skelett von Lucy. Lucy und ihre Artgenossen sind denn vermutlich auch Vorfahren des Australopithecus garhi. Vorgestellt wurde der "Überraschungs-Südaffe" - so die direkte Übersetzung des Speziesnamens - in einer Ausgabe der Zeitschrift "Science". In Vergleichen mit andern vormenschlichen Fossilien aus Ostafrika kommt das Autorenteam zu dem Schluss, dass Australopithecus garhi eine eigene Spezies darstellt. Es schreibt dem Fund mehr Ähnlichkeit mit unserer Gattung Homo zu als anderen Australopithecinen. Aber nach den Worten der Forscher haben sie sich für eine "konservative" vorläufige Klassifizierung entschieden und ihn doch der Gattung der Australopithecinen, der Südaffen, zugerechnet.

Die Entdecker von Australopithecus garhi sind der Überzeugung, dass dieser Vormensch ein direkter Vorfahre von Homo ist.

Anatomie

In seinen anatomischen Merkmalen sieht Australopithecus garhi dem Australopithecus afarensis recht ähnlich, dazu gehört eine Schädelkapazität von rund 450 cm³, ein ähnliches Gesichtsprofil, und - wenn die Beinknochen richtig zugeordnet sind - ähnliche Körperproportionen mit kurzen Beinen und kurzem Rumpf, aber relativ langen Armen.

Es gibt jedoch auch einige Merkmale, die sich signifikant von früheren Australopithecinen unterscheiden. Dazu gehören die weit vorne positionierten Wangenknochen, ovale, große Vorbackenzähne (Prämolare) und riesige Backenzähne (Molare), sowie die Kombination seiner Merkmale, z.B. die extreme Größe der Zähne, besonders der hinteren, mit einer primitiven Schädel-Morphologie. Einige in der Nähe gefundene Überreste könnten zur selben Spezies gehören. Sie zeigen menschenähnliche Proportionen von Femur und Humerus, aber affenähnliche Proportionen von Ober- und Unterarm.

Australopithecus anamensis, A. afarensis, A.africanus und A. garhi sind wegen ihres relativ leichten Körperbaus, speziell im Bereich des Schädels und der Zähne, als grazile Australopithecinen bekannt. (Grazil bedeutet "schlank", und in der Paläoanthropologie wird dieses Wort als Antonym zu "robust" gebraucht.) Trotzdem waren sie noch robuster als moderne Menschen. Eigentlich teilt A. garhi keine eindeutigen Merkmale mit Homo, und einige Forscher vermuten, dass es entweder eine Art von Praeanthropus (Pr. Garhi) oder vielleicht eine neue Gattung und Art darstellt.

Werkzeuge?

Einige Forscher vermuten, dass A. (Pr.) garhi Steinwerkzeuge hergestellt hat (Heinzelin et al., 1999), denn ganz in der Nähe fand man Tierknochen, die auf eine Schlachtung hinweisen (Schnittspuren) sowie einige primitive Steinwerkzeuge. Doch ob diese tatsächlich das Werk der "Garhi Gruppe" ist, bleibt umstritten, denn aus der Region des "middle Awash" sind auch frühe Vertreter von Homo bekannt, die dort um die gleiche Zeit oder nur wenig später gelebt haben (Kimbel et al., 1997).

Australopithecus garhi lebte ungefähr 700.000 Jahre später als Lucy, die zur Art Australopithecus afarensis gehört hatte. Bisher lassen sich jedoch noch keine klaren Aussagen machen über die Größe von Australopithecus garhi und die Art und Weise, wie er sich fortbewegte, da nur einzelne Stücke von Arm- und Beinknochen gefunden wurden. Doch andere interessante Erkenntnisse über das Leben von Australopithecus garhi lieferten die übrigen Funde. In denselben Schichten steckten einfache Steinwerkzeuge und Knochen von rinder- und schweineartigen Tieren - und Spuren an den Knochen, die nach Ansicht der Forscher nur von einer künstlichen Manipulation stammen können. Kerben an einem Rinderunterkiefer oder zerschlagene Unterschenkelknochen zeugen davon, dass sich Australopithecus garhi möglicherweise bereits als Metzger betätigte. Mit seinen Faustkeilen zerlegte und filetierte er offenbar große Tierkörper, und mit großen Steinen verschaffte er sich Zugang zum Knochenmark der Kadaver.

Die Steinwerkzeuge trug Australopithecus garhi allem Anschein nach mit sich, denn es gibt - anders als bei andern Fundstätten - am Fundort auf der Bouri'>Bouri-Halbinsel keine Anzeichen der Herstellung vor Ort. Sonst hätte man auch Ansammlungen von Abfall finden müssen, wie etwa Splitter und misslungene oder weggeworfene Stücke. In der näheren Umgebung gab es auch keine Silexvorkommen. Dieser stahlharte Feuerstein wurde von den Altsteinzeitmenschen und -vormenschen als Material für die Werkzeuge verwendet.

Ob Australopithecus garhi selber jagte, Fallen stellte oder einfach die Kadaver verstorbener Tiere nutzte, lässt sich aus den Fossilien nicht ersehen. Aktive Jagd, allerdings ohne künstliche Waffen, kennt man jedoch von den nächsten Verwandten des Menschen, den heutigen Schimpansen und Bonobos. Das gleichzeitige Vorkommen einer Steinwerkzeug- und einer höheren Technik der Fleischgewinnung wertet die Forschungsgruppe als mögliches Anzeichen der Entstehung der Gattung Homo in Ostafrika aus dem Vorläufer Australopithecus afarensis.

Der "Überraschungs-Südaffe" lebte, wie die geologischen und ökologischen Daten ergeben haben, am Ufer eines Sees. Dort weideten Herden von Huftieren, und im Wasser tummelten sich unter anderem viele Welse. Australopithecus garhi könnte bereits ein Dasein gefristet haben, das sich nur wenig von demjenigen der Vertreter der alt-steinzeitlichen Olduvai-Kultur im ostafrikanischen Tansania unterschied.

Literatur

Tages Anzeiger, Zürich; 23.04.1999

Asfaw B, White T, Lovejoy O, Latimer B, Simpson S, Suwa G. 1999. Australopithecus garhi: a new species of early hominid from Ethiopia. Science 284(5414), pp629-35. DOI: 10.1126/science.284.5414.629

de Heinzelin, J., Clark, J. D., White, T., Hart, W., Renne, P., WoldeGabriel, G., Beyenne, V., Vrba, E. 1999. Environment and behavior of 2.5-million-year-old Bouri'>Bouri hominids. Science, 284(5414), pp. 625-629. DOI: 10.1126/science.284.5414.625



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