Die Erfindung der Landwirtschaft
Ein gutes Beispiel für die Domestikation ist Weizen, die bis heute wichtigste Nutzpflanze der Menschheit. Schon der wildwachsende Weizen, der nur eines von vielen natürlich vorkommenden Gräsern war, diente Jäger- und Sammler-Gruppen im Nahen Osten als Nahrungsbasis. Mit dem Ende der Eiszeit tauchte dort eine neue Weizensorte auf, eine Kreuzung aus wildem Weizen und einem Ziegengras. Dieser Gräser-Bastard war -anders als die meisten Kreuzungen -in der Lage, sich zu vermehren, und seine Samenkörner waren größer als die der Elternpflanzen. Dieser »Spelzweizen«, auch »Emmer« genannt, kreuzte sich abermals mit einem Ziegengras, und diesmal war das Ergebnis der sogenannte Brotweizen: Eine Weizenform mit großen ähren aus dichtgefügten Samenkörnern, die nicht mehr vom Wind davongetragen werden können - ein Indiz dafür, dass Brotweizen vom Menschen ausgesät wurde.
Nutzpflanzen und Haustiere wurden zumeist an mehreren Orten derselben Region (und manchmal in mehreren Regionen gleichzeitig) domestiziert, wie archäologische Funde und noch existierende Wildformen zeigen. Dagegen treffen die von zufällig sauber datierbaren Funden abhängigen Jahreszahlen für die ersten Züchtungen nur bedingt zu. Auch hegen manche Forscher Zweifel, ob der Fruchtbare Halbmond des Nahen Ostens tatsächlich die Wiege vom Ackerbau und Viehzucht war, da andere Regionen weniger gründlich archäologisch erforscht sind. So zeigten Ausgrabungen in Hinterindien, dass dort schon vor 15000 oder sogar 20000 Jahren Gärten mit einer Reihe von Gemüsepflanzen, Gurken, erbsenähnliche Gewächse, Nüsse sowie Reisfelder angelegt wurden.
Nach den langsamen, eher zögernden Anfängen der Landwirtschaft leisteten die Menschen der Jungsteinzeit dann ganze Arbeit: Sie domestizierten so gut wie alle heute wichtigen Nutzpflanzen und Haustiere. Spätere Züchter-Generationen beschränkten sich darauf, die gezähmten Grundmuster weiter zu verbessern.
Während in den neu entstandenen Ackerbau-Zentren - Naher Osten, Südost-Asien, Mittelamerika, Peru - die Bevölkerung sprunghaft anwuchs und dadurch tiefgreifende soziale Veränderungen ausgelöst wurden, halfen Großwildjäger im Vorfeld der schrumpfenden Gletscher mit, einer ganzen Reihe eiszeitlicher Tierarten den Todesstoß zu versetzen: In Nordamerika verschwanden unter anderem Mammut und Mastodon, ein giraffenähnliches Kamel und ein elefantengroßes Faultier, im Norden Europas und Asiens starben Mammut und Wollnashorn aus.
Eine Folge dieser teilweise parallel laufenden Domestizierungs- und Ausrottungswelle war, dass sich die Vielfalt des menschlichen Speisezettels drastisch verringerte. Nutzten die Jäger- und Sammler-Gesellschaften noch mehrere tausend verschiedene Pflanzenarten und einige hundert Tierarten, so schrumpfte das Angebot durch die vergleichsweise geringe Zahl gezähmter Arten auf wenige Dutzend Spezies. Heute tragen die vier wichtigsten Nutzpflanzen Weizen, Reis, Mais und Kartoffel mehr zur Welternährung bei als die in der Erntestatistik folgenden 26 Acker- oder Baumfrüchte zusammen; bei den Nutztieren liefern Schwein und Rind mehr als drei Viertel allen Fleisches.