Langer Hals half Saurier bei Unterwasserjagd
Sein Hals bestand aus dreizehn extrem verlängerten Wirbeln und war dreimal so lang wie sein Rumpf: Der Giraffenhalssaurier Tanystropheus lebte vor 242 Millionen Jahren und hat mit seinem bizarren Körperbau schon viele Paläontologen ins Grübeln gebracht. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich zeigt nun, dass das Reptil im Wasser lebte und überraschend anpassungsfähig war.
Seit über 150 Jahren rätseln Paläontologen über die Lebensweise von Tanystropheus und die Funktion seines merkwürdig überdimensionierten Halses. Einige behaupten, dass das Tier hauptsächlich im Wasser lebte, andere sehen in ihm ein Landtier. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich hat nun den Schädel von Tanystropheus in einem bisher unbekanntem Detailreichtum rekonstruiert und konnte so neue Erkenntnisse über seine Lebensweise und Entwicklung gewinnen. Die Wissenschaftler nutzten dafür das sogenannte SRμCT-Verfahren (synchrotron radiation micro-computed tomography), eine extrem leistungsfähige Form der Computertomografie.
Publikation:
Spiekman Stephan N.F. et al.
Aquatic Habits and Niche Partitioning in the Extraordinarily Long-Necked Triassic Reptile Tanystropheus
Current Biology. 6 August 2020
DOI: 10.1016/j.cub.2020.07.025
Beute wird aus dem Hinterhalt angegriffen
In der fast vollständigen 3D-Rekonstruktion, welche die Forschenden mithilfe von Scans eines stark zertrümmerten Fossils erstellten, zeigt sich, dass der Schädel von Tanystropheus mehrere deutliche Anpassungen an das Leben im Wasser aufweist. Die Nasenlöcher befinden sich auf der Oberseite der Schnauze, ähnlich wie bei heutigen Krokodilen.
Die Zähne sind lang und gebogen, perfekt angepasst, um glitschige Beute wie Fische und Tintenfische zu fangen. Im Gegensatz dazu fehlen an Gliedmassen und Schwanz sichtbare hydrodynamische Anpassungen, was darauf schliessen lässt, dass Tanystropheus kein besonders effizienter Schwimmer war. «Wahrscheinlich jagte er, indem er langsam durchs trübe Wasser schwamm und sich seiner Beute heimlich näherte», sagt Erstautor und UZH-Paläontologe Stephen Spiekman. «Sein kleiner Kopf und der sehr lange Hals halfen ihm, möglichst lange verborgen zu bleiben.»
Grosse und kleine Art existierten nebeneinander
Überreste von Tanystropheus wurden vor allem auf dem Monte San Giorgio an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien gefunden – einem Ort, der aufgrund seiner Fossilien zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Von diesem Fundort sind zwei Arten von Tanystropheus-Fossilien bekannt: eine kleine und eine grosse. Sie wurden bisher als Jungtiere und Erwachsene derselben Art betrachtet.
Die aktuelle Studie widerlegt diese Interpretation nun aber. Denn der neu rekonstruierte Schädel, der von einem grossen Expemplar stammt, unterscheidet sich deutlich von den bereits bekannten kleineren Schädeln – vor allem im Gebiss. Um festzustellen, ob die kleinen Fossilien tatsächlich von Jungtieren stammten, untersuchten die Forschenden Querschnitte von Knochen der kleineren Tanystropheus-Art.
Dabei stiessen sie auf zahlreiche Wachstumsringe. Diese bilden sich, wenn das Knochenwachstum drastisch verlangsamt wird. «Aufgrund der Anzahl und Verteilung der Wachstumsringe schliessen wir, dass es sich beim kleineren Typ nicht um junge, sondern um ausgewachsene Tiere handelte», sagt Letztautor Torsten Scheyer. «Die kleinen Fossilien sind also eine separate, kleinere Art von Tanystropheus.»
Spezialisierung auf unterschiedliche Nahrungsquellen
Laut den Spiekman haben sich diese beiden eng verwandten Arten evolutionär ausdifferenziert, um in derselben Umgebung unterschiedliche Nahrungsquellen zu nutzen: «Die kleinen Arten ernährten sich wahrscheinlich von kleinen Schalentieren wie Krabben, während die grossen Arten Jagd auf Fische und Tintenfische machten.» Für den Paläontologen ist dies ein bemerkenswerter Befund: «Wir gingen davon aus, dass der bizarre Hals von Tanystropheus ähnlich wie bei der Giraffe auf eine spezifische Aufgabe zugeschnitten war. Tatsächlich liess er offenbar aber unterschiedliche Lebensweisen zu.»
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Zürich via Informationsdienst Wissenschaft erstellt