Dieser zur Zeit seiner Entdeckung vollständigste Fund von einem Neandertaler, das Skelett eines fast zahnlosen alten Mannes aus La Chapelle-aux-Saints, wurde zum Inbegriff der Neandertaler überhaupt -allerdings in der irrigen Annahme, diese Menschen seien tapsige, brutale Höhlenbewohner gewesen.
Damit macht man sich allerdings von ihrer Anatomie, ihrem Gang und ihrer Intelligenz eine völlig falsche Vorstellung. Ein derart schädliches, bis heute verbliebenes Bild zeichnete Marcellin Boule mit seiner eingehenden Untersuchung des Skeletts, die zwischen 1909 und 1912 veröffentlicht wurde. Zu Recht stellte er fest, dass die Neandertaler sich in einer ganzen Reihe anatomischer Merkmale von heutigen Menschen unterschieden, aber aufgrund seiner unglückseligen Beschreibung konnte man glauben, sie stünden den Menschenaffen näher als den Menschen. Indem er den Fund von La Chapelle-aux-Saints zum Referenzobjekt für die Spezies machte, ließ er für die Neandertaler keinen Platz in unserer eigenen Abstammungslinie.
Wegen seiner einflußreichen, überzeugenden Untersuchung wurden die Neandertaler jahrzehntelang verunglimpft. Auch trug sie dazu bei, dass die Prä-sapiens-Hypothese in der aufkeimenden Diskussion um Geist und Gehirngröße in den Mittelpunkt des Interesses rückte.
Literatur
- Boule, M. 1908. L´Homme fossile de La Chapelle-aux-Saints (Covréze). C. R. Acad. Sci. Paris 147: 1349 - 1352.
- Grun, R., & Stringer, C. B. 1991. Electron spin resonance dating and the evolution of modern humans. Archaeometry, 33(2), 153-199.
- Trinkaus, E. 1985. Pathology and posture of the La Chapelle-aux-Saints Neanderthal. American Journal of Physical Anthropology 67(1):19–41.
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