Werkzeugkulturen von Neandertalern und modernen Menschen existierten über 100.000 Jahre nebeneinander


Untersuchungen von Forschenden haben ergeben, dass eine der frühesten Steinwerkzeugkulturen wahrscheinlich Zehntausende von Jahren länger bestand als bisher angenommen. Gemein ist die Werkzeugtradition, die als Acheuleen bekannt ist.


Im Allgemeinen ging man davon aus, dass die Kultur des Acheuleen vor etwa 200.000 Jahren verschwunden ist, aber die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sie möglicherweise doch viel länger existierte und über 100.000 Jahre lang sich mit den fortschrittlicheren Technologien von Neandertalern und frühen modernen Menschen überschnitt.

Das Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Alastair Key (Kent), Dr. David Roberts (Kent) und Dr. Ivan Jaric (Tschechische Akademie der Wissenschaften) machte die Entdeckung, während es Steinwerkzeuge aus verschiedenen Regionen der Welt studierte. Mithilfe statistischer Techniken, die in der Archäologie relativ neu sind, konnten sie das Ende der Acheuleen-Periode rekonstruieren und die archäologischen Funde neu kartieren.


Das Foto zeigt die umfangreiche Sammlung acheulischer Faustkeile, die 1928 von Louis Leakey ausgegraben wurden. Die Faustkeile stammen aus der Altsteinzeit Afrikas und bestehen sowohl aus Obsidian als auch aus Trachyt. In Afrika endete das Acheuleen zuerst.

Publikation:


Alastair J. M. Key, Ivan Jarić, David L. Roberts
Modelling the end of the Acheulean at global and continental levels suggests widespread persistence into the Middle Palaeolithic
Humanities and Social Sciences Communications, 2021; 8 (1)

DOI: 10.1057/s41599-021-00735-8



Zuvor dachte man, dass der Übergang von der acheulischen Herstellungstechnik, die häufig mit Homo heidelbergensis - dem gemeinsamen Vorfahren moderner Menschen und Neandertalern - in Verbindung gebracht wurden, hin zu den fortschrittlicheren „Levallois“ - Technologien recht schnell vonstatten ging. Die Studie wirft nun aber ein neues Licht auf den Übergang zwischen diesen beiden Technologien, was auf eine erhebliche Überschneidung von beiden hinweist.

Die Steinwerkzeugtechnologie des Acheuleen ist die langlebigste kulturelle Tradition, die von frühen Menschen praktiziert wurde. Vor 1,75 Millionen Jahren aus Ostafrika stammend, wurden Faustkeile und Spalter - die Steinwerkzeugtypen, die diese Zeit charakterisieren - in Afrika, Europa und Asien von verschiedenen Arten früher Menschen hergestellt und verwendet. Vor den neuen Studienergebnissen wurde allgemein angenommen, dass die acheulische Periode zwischen 300.000 und 150.000 Jahren vor heute zu Ende ging. Es fehlte jedoch an Daten, und der Zeitpunkt des Verschwindens des Acheuleen wurde heftig diskutiert. Das Team entdeckte, dass die Tradition wahrscheinlich zu unterschiedlichen Zeiten auf der Welt endete, von bereits vor 170.000 Jahren in Afrika südlich der Sahara bis vor 57.000 Jahren in Asien.

Um zu verstehen, wann das Acheuleen wirklich endete, sammelte das Team wissenschaftliche Daten von verschiedenen archäologischen Stätten der ganzen Welt. Das Ziel war es, die jüngsten bekannten Funde von acheulischen Steinwerkzeugen zu identifizieren. Mit einer statistischen Methode, die als "optimale lineare Schätzung" bekannt ist und üblicherweise in Studien zur Schätzung der biologischen Artenvielfalt (und deren Rückgang) verwendet wird, versuchte man vorherzusagen, wie lange die Herstellung der Steinwerkzeuge ab den jüngsten bekannten Fundortdaten noch andauerte. Tatsächlich konnte man mit der Methode ein Modell entwickeln, das den Teil der archäologischen Aufzeichnungen zeigt, der noch unentdeckt ist.

Dr. Alastair Key, Archäologe und Hauptautor der Studie, sagt: "Die früheste archäologische Aufzeichnung wird immer ein unvollständiges Bild des frühen menschlichen Verhaltens sein, so dass wir wissen, dass die jüngsten bekannten acheulischen Stätten wahrscheinlich nicht die endgültig letzten Vorkommen darstellen. Die Methode ermöglicht es uns, diese fehlenden Teile der archäologischen Aufzeichnungen zu rekonstruieren. Sie gibt uns nicht nur ein genaueres Verständnis dafür, wann die Tradition endete, sondern gibt uns auch einen Hinweis darauf, wo wir neue archäologische Daten in der Zukunft erwarten können."

Dr. Roberts fügt hinzu: "Diese statistische Technik wurde ursprünglich von mir und einem Kollegen entwickelt, da die letzte Sichtung einer biologischen Art wahrscheinlich nicht das Datum ist, an dem sie tatsächlich ausgestorben ist. Es ist aufregend zu sehen, wie unsere Methode in einem neuen Kontext angewendet wird."


Diese Newsmeldung wurde mit Material der University of Kent erstellt


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