Wer hat vor 45.000 Jahren im Kaukasus den Lachs verspeist
Paläobiologe der Universität Tübingen kann Höhlenbären und Höhlenlöwen als Fischfresser ausschließen. Man geht nun davon aus, dass Neandertaler mehr Nahrungsressourcen nutzten als bisher bekannt.
Es wird viel darüber gerätselt, warum die heutigen, anatomisch modernen Menschen die Neandertaler in Europa vor rund 40.000 Jahren verdrängten. Einer Hypothese zufolge waren die Neandertaler in der Wahl ihrer Nahrung zu stark eingeschränkt und hatten nur große pflanzenfressende Säugetiere wie Pferd, Bison und Mammut auf ihrem Speisezettel, während die anatomisch modernen Menschen ein breiteres Nahrungsspektrum nutzten, darunter auch Fisch. Diese Flexibilität soll ihnen entscheidende Vorteile gegenüber den in der Folge ausgestorbenen Neandertalern verschafft haben.
Publikation:
Bocherens, H., Baryshnikov, G., van Neer, W.
Were bears or lions involved in salmon accumulation in the Middle Palaeolithic of the Caucasus? An isotopic investigation in Kudaro 3
Quaternary International
DOI: 10.1016/j.quaint.2013.06.026
Professor Hervé Bocherens vom Fachbereich Geowissenschaften der Universität Tübingen hat nun in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg und dem Königlich Belgischen Institut für Naturwissenschaften in Brüssel an einer Fundstelle im Kaukasus einen indirekten Hinweis darauf gefunden, dass Neandertaler Fisch durchaus nicht verschmähten. Sie stellen daher die Hypothese zum evolutionären Vorteil der anatomisch modernen Menschen über die Nahrung in Frage. Über Knochenanalysen konnten die Forscher jedenfalls Höhlenbären und Höhlenlöwen als Fischkonsumenten an der kaukasischen Fundstelle ausschließen.
Wie sich frühere Menschen ernährt haben, untersuchen Wissenschaftler häufig über die Funde von Tierknochen und anderen Überresten in den Höhlen, in denen auch die Menschen lebten. So auch an der Kudaro 3 genannten Fundstelle an den nördlichen Hängen des Kaukasusgebirges: Dort wurden in den archäologischen Schichten des Mittelpaläolithikums Gräten von großen Lachsen gefunden, die auf ihrer Wanderung vom Meer zu ihren Laichplätzen im Süßwasser unterwegs waren. Vermutlich wurden die Gräten vor 42.000 bis 48.000 Jahren von Neandertalern dort angehäuft – was nahelegt, dass sie den Fisch gegessen haben. Allerdings wurden am gleichen Ort auch Überreste von Asiatischen Höhlenbären der Art Ursus kudarensis und von Höhlenlöwen der Art Panthera spelaea gefunden, die die Lachsgräten in die Höhle hätten bringen können.
Um zu überprüfen, ob sich Höhlenbär und Höhlenlöwe von Meeresfischen ernährt hatten, verglichen die Forscher aus Kollagenproben der Tierknochen und aus den Gräten ihrer möglichen Beute die Muster verschieden schwerer Atome, den sogenannten Isotopen, von Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel. Die Ergebnisse zeigten, dass weder Höhlenbären noch Höhlenlöwen Fischfresser waren: Die Bären waren – wie ihre europäischen Pendants – reine Vegetarier, und die Löwen erbeuteten pflanzenfressende Tiere der trockenen Gebiete.
„Die Studie liefert uns den indirekten Hinweis, dass mittelpaläolithische Menschen, vermutlich Neandertaler, Fisch aßen, wenn er verfügbar war. Die Ernährung von Neandertalern und anatomisch modernen Menschen war nicht grundsätzlich verschieden“, sagt Hervé Bocherens. Er geht davon aus, dass der Speiseplan der Neandertaler nicht der einzige Grund für ihren Untergang gewesen sein kann.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt