Vom Hausschwein zum Sozialkontakt

Presseldung vom 04.09.2013

Forscher belegen mit alter DNA frühe interkulturelle Begegnungen im steinzeitlichen Norddeutschland


Die einen jagten noch Robben und Wildschweine an der westlichen Ostseeküste, die anderen lebten südlich der Elbe schon von Ackerbau und Viehzucht. Im 5. Jahrtausend v.Chr. bildete der Fluss eine Grenze zwischen mittel- und jungsteinzeitlichen Kulturen. Auch in vielen anderen Gebieten Europas gab es zu jener Zeit benachbarte Bevölkerungsgruppen mit großen Entwicklungsunterschieden. Jahrzehntelang wurde in Archäologie, Kulturwissenschaften und verwandten Fächern diskutiert, ob die Angehörigen der so unterschiedlich entwickelten Kulturen direkten Kontakt hatten. Eine Forschungsgruppe um Dr. Ben Krause-Kyora und Professorin Almut Nebel vom Institut für Klinische Molekularbiologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat jetzt deutliche Belege dafür gefunden, dass Jäger und Bauern sich nicht nur kannten, sondern sogar lebende Tiere ausgetauscht haben.


Vor etwa 6.600 Jahren könnte das Fell von Tier E24 dem des modernen modernen Bentheimer Hausschweines ähnlich gesehen haben.
© Graduiertenschule Human Development in Landscapes (GSHDL)

Publikation:


Ben Krause-Kyora, Cheryl Makarewicz et al.
Use of domesticated pigs by Mesolithic hunter-gatherers in northwestern Europe
Nature Communications 4, Article number: 2348

DOI: 10.1038/ncomms3348



Im Fachblatt Nature Communications (online) berichten sie, dass Mitglieder der nordelbischen Ertebølle-Kultur schon um 4600 v.Chr. Hausschweine besaßen, obwohl sie als Jäger und Sammler noch nicht mit der Viehzucht vertraut waren. Sie erhielten die Tiere von Angehörigen der weiter entwickelten, bereits landwirtschaftlich aktiven jungsteinzeitlichen Kulturen südlich der Elbe, schlussfolgert Krause-Kyora. „Damit können wir belegen, dass es im Norden direkten Kontakt zwischen Jägern und Sammlern einerseits und Bauern andererseits gab“, freut er sich. Auch evolutionsbiologisch seien die neuen Erkenntnisse bedeutend: „Sie geben wichtige Hinweise, wie Haustiere nach Norddeutschland kamen und wie die frühen Phasen der Domestikation abliefen.“

Das Kieler Forschungsteam untersuchte die alte DNA (aDNA) aus Knochen und Zähnen von insgesamt 63 Schweinen, die bei archäologischen Ausgrabungen in Nord- und Mitteldeutschland gefunden worden waren. Die molekulargenetischen Arbeiten wurden im aDNA Labor der Graduiertenschule Human Development in Landscapes durchgeführt. Die Analyse der ausschließlich über die mütterliche Linie vererbbaren mitochondrialen DNA ergab, dass drei Tiere aus ehemaligen Ertebølle-Siedlungen in Grube-Rosenhof (Ostholstein) und Poel (Mecklenburg-Vorpommern) ein genetisches Profil aufwiesen, das es bei wildlebenden nordeuropäischen Artgenossen nicht gibt und das ursprünglich aus dem Nahen Osten stammt. Dies belegt, dass die drei Ertebølle-Tiere mütterlicherseits nahöstliche Vorfahren hatten – ebenso wie die Hausschweine der jungsteinzeitlichen Nachbarn, die in den vorhergehenden Jahrtausenden mit den sich ausbreitenden Ackerbauern und Viehzüchtern aus dem so genannten Fruchtbaren Halbmond (heute Syrien, Türkei, Irak) ins Gebiet südlich der Elbe gekommen waren.

„Eines der drei Tiere – wir haben es E24 getauft – weist darüber hinaus ein helles Fell mit schwarzen Flecken auf – ein typisches Merkmal domestizierter Schweine“, erläutert Ben Krause-Kyora die Zuordnung als Hausschwein. Die Veränderung der Fellfarbe lässt sich per Genanalyse des Melanocortinrezeptors 1 (MC1R) in der aDNA bestimmen. „Wildschweine tragen ein unauffällig graues Fell, das in der Natur gute Tarnung bietet“, sagt Almut Nebel. Möglicherweise sei die Fellfarbe ein Grund für die Ertebølle-Menschen gewesen, solche Tiere besitzen zu wollen: „Diese Tiere mit der neuen Fellfarbe fielen auf, die Menschen kannten seit Jahrtausenden nur graue Wildschweine“, erklärt Nebel, „und es ist denkbar, dass diese ‚neue Mode‘ so begehrt war wie heute das neueste Smartphone.“

Bei ihrer Forschungsarbeit erhielten die Kieler wertvolle Unterstützung von den Instituten für Rechtsmedizin und Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel, dem Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf sowie von den Universitäten Aberdeen und Durham. Die britischen Kollegen belegten unabhängig die Kieler Ergebnisse, indem sie die molekulargenetischen Analysen mit demselben Ausgangsmaterial wiederholten. Des Weiteren steuerten sie Ergebnisse einer archäozoologischen Untersuchung bei, bei der Größe, Form und Anordnung der jahrtausendealten Zähne analysiert und mit einer modernen Referenzsammlung abgeglichen wurden. Dies lieferte weitere Belege dafür, dass es sich bei E24 um ein Zuchtschwein gehandelt haben muss: Dafür sprechen die Form und Größe der Backenzähne.

„Die erfolgreiche Untersuchung im norddeutschen Bereich zeigt, dass es neuer multidisziplinärer Ansätze bedarf, um potenzielle Kontaktzonen zwischen Jägern und Bauern zu erforschen“, sagt Ben Krause-Kyora. Wie im vorliegenden Fall von Hausschweinen auf Sozialkontakte geschlossen wurde, so könnten Archäologie, Archäozoologie und Molekularbiologie im Verbund mit weiteren Wissenschaftsfeldern wertvolle Erkenntnisse über kulturelle Kontakte auch in anderen Teilen Europas und der Welt liefern, sind Krause-Kyora und Nebel überzeugt.

Die Graduiertenschule Human Development in Landscapes ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von 15 Instituten aus sechs Fakultäten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, des Leibniz-Institutes für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) und des Archäologischen Landesmuseums (Schloss Gottorf). Die Doktorandinnen und Doktoranden der Graduiertenschule forschen, betreut von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, über die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur in der Vergangenheit.

Zu den hochqualifizierten Absolventinnen und Absolventen der ersten Stunde gehört Ben Krause-Kyora, der nun als Postdoktorand das aDNA-Labor der Graduiertenschule leitet und den Aufbau eines neuen modernen Labors vorantreibt. Viele der Promotionsprojekte in der Graduiertenschule sind fächerübergreifend angelegt, sie verbinden beispielsweise Archäologie und Informatik, Geowissenschaften und Physik oder Genetik und Alte Geschichte. Im Fokus der Forschung steht das komplexe Zusammenspiel natürlicher, sozialer und kultureller Faktoren, die bei der Entwicklung menschlicher Gesellschaften in Landschaften eine Rolle spielen. Die Graduiertenschule wurde 2007 im Rahmen der Exzellenzinitiative eingerichtet.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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