Spanischer Unterkiefer könnte von der frühesten Präsenz eines Homo sapiens in Europa zeugen


Seit über einem Jahrhundert galt eines der ältesten menschlichen Fossilien, die jemals in Spanien entdeckt wurden, als die Überreste eines Neandertalers. Eine neue Analyse eines internationalen Forschungsteams demontiert jedoch diese über ein Jahrhundert alte Interpretation und zeigt, dass dieses Fossil nicht zu einem Neandertaler gehörte; Vielmehr könnte es sich tatsächlich um die früheste Präsenz des Homo sapiens handeln, die jemals in Europa dokumentiert wurde.


1887 wurde bei Steinbrucharbeiten in der Stadt Banyoles (Banyolas) in Spanien ein fossiler Unterkiefer entdeckt, der im vergangenen Jahrhundert von verschiedenen Forschern untersucht wurde. Das Banyoles-Fossil stammt wahrscheinlich aus der Zeit vor etwa 45.000 bis 65.000 Jahren, als Europa von Neandertalern bewohnt war, und die meisten Forscher haben es im Allgemeinen mit dieser Art in Verbindung gebracht.


3D-Modells des Unterkiefers von Banyoles.

Publikation:


Brian A. Keeling, Rolf Quam, Ignacio Martínez, Juan Luis Arsuaga, Julià Maroto
Reassessment of the human mandible from Banyoles (Girona, Spain)
Journal of Human Evolution, 2023; 174: 103291

DOI: 10.1016/j.jhevol.2022.103291



„Der Unterkiefer wurde im Laufe des letzten Jahrhunderts mehrfach untersucht und galt lange als Neandertaler, basierend auf seinem Alter und Fundort sowie der Tatsache, dass ihm eines der hervorstechendsten Merkmale des Homo sapiens fehlt: ein Kinn“, sagt Brian Keeling, Doktorand an der Binghamton University.

Rekonstruktion des 3D-Modells des Unterkiefers von Banyoles. Hervorgehobenes Teil in Blau zeigt ein gespiegeltes Element an. Links: Seitenansicht des Unterkiefers von Banyoles während des Ausrichtungsprozesses. Mitte: Seitenansicht des Unterkiefers von Banyoles nach dem Zusammenfügen der beiden Teile. Rechts: Oberkieferansicht nach Rekonstruktion.

Die neue Studie stützt sich auf virtuelle Techniken, dazu gehörenCT-Scans des Originalfossils. Damit wurden fehlende Teile des Fossils virtuell rekonstruiert und anschließend ein 3D-Modell zur Analyse am Computer generiert.



Die Autoren untersuchten die Ausprägungen unterschiedlicher Merkmale am Unterkiefer von Banyoles, die sich zwischen unserer eigenen Spezies, dem Homo sapiens, und den Neandertalern, unseren nächsten evolutionären Verwandten, unterscheiden. Sie wendeten eine als „dreidimensionale geometrische Morphometrie“ bezeichnete Methode an, mit der man die geometrischen Eigenschaften der Knochenform analysiert. Dadurch ist es möglich, die Gesamtform von Banyoles direkt mit Neandertalern und H. sapiens zu vergleichen.



Neue Forschungsergebnisse werfen ein neues Licht auf die Ursprünge eines seit langem untersuchten Unterkieferfossils. Das Fossil wurde 1887 in Banyoles, Spanien, entdeckt und wurde lange Zeit für einen Neandertaler gehalten. Die neuere Forschung deutet nun auf eine mögliche Homo sapiens-Verbindung hin.


Während das Banyoles-Fossil sowohl in der Ausprägung seiner individuellen Merkmale als auch in seiner Gesamtform besser zum Homo sapiens zu passen scheint, teilt es aber viele dieser Merkmale auch mit früheren menschlichen Spezies, was eine unmittelbare Zuordnung zum Homo sapiens erschwert. Außerdem fehlt Banyoles ein Kinn, eines der charakteristischsten Merkmale des Unterkiefers des Homo sapiens.

„Wir wurden mit Ergebnissen konfrontiert, die uns zeigten, dass der Banyoles-Unterkiefer kein Neandertaler ist, aber die Tatsache, dass er kein Kinn hat, ließ uns zweimal darüber nachdenken, ihn dem Homo sapiens zuzuordnen“, sagte Rolf Quam, Professor für Anthropologie an der Binghamton University, State Universität New York. „Das Vorhandensein eines Kinns gilt seit langem als Kennzeichen für unsere eigene Spezies.“

Angesichts dessen ist es eine Herausforderung, einen wissenschaftlichen Konsens darüber zu erreichen, welche Art Banyoles repräsentiert. Die Autoren verglichen Banyoles auch mit einem Unterkiefer des frühen Homo sapiens von der Fundstelle Peştera cu Oase in Rumänien. Im Gegensatz zu Banyoles zeigt dieser Unterkiefer ein volles Kinn zusammen mit einigen Neandertalermerkmalen, und eine Analyse alter DNA hat ergeben, dass diese Person vier bis sechs Generationen früher einen Neandertaler-Vorfahren hatte. Da der Banyoles-Unterkiefer keine eindeutigen Merkmale von Neandertalern besitzt, schlossen die Forscher die Möglichkeit einer Vermischung zwischen Neandertalern und H. sapiens aus, um seine Anatomie zu erklären.

Die Autoren weisen darauf hin, dass einige der frühesten Homo sapiens-Fossilien aus Afrika, die mehr als 100.000 Jahre älter sind als Banyoles, ein weniger ausgeprägtes Kinn aufweisen als beispielsweise heute lebende Populationen.

Daher entwickelten die Wissenschaftler zwei Hypothesen dafür, was der Unterkiefer von Banyoles darstellen könnte: ein Mitglied einer zuvor unbekannten Population von Homo sapiens, die mit den Neandertalern koexistierte; oder ein Hybrid zwischen einem Mitglied dieser Homo sapiens-Gruppe und einer nicht identifizierten menschlichen Spezies, die keine Neandertaler sind. Aus der Zeit von Banyoles gehören jedoch alle europäischen Fossilien zum Neandertaler, was diese letztere Hypothese weniger wahrscheinlich macht.

„Wenn Banyoles wirklich ein Mitglied unserer Spezies ist, dann wäre dieser prähistorische Mensch der früheste Homo sapiens, der bislang in Europa gefunden wurde“, sagt Keeling. Zu welcher Art auch immer dieser Unterkiefer gehört, Banyoles ist eindeutig kein Neandertaler und stammt aus einer Zeit, von der man glaubte, dass Neandertaler die einzigen Bewohner Europas seien.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „die gegenwärtige Situation Banyoles zu einem erstklassigen Kandidaten für Analysen alter DNA macht - oder proteomische Analysen, was zusätzliches Licht auf seine taxonomischen Zugehörigkeiten werfen könnte.“ (Das Proteom umfasst die Gesamtheit aller in einer Zelle oder einem Lebewesen unter definierten Bedingungen und zu einem definierten Zeitpunkt vorliegenden Proteine.)

Die Autoren planen, den CT-Scan und das 3D-Modell von Banyoles anderen Forschern frei zugänglich zu machen und in zukünftige Vergleichsstudien einzubeziehen, um den offenen Zugang zu fossilen Exemplaren und die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Studien zu fördern.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Binghamton University via Science Daily erstellt


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