Der Gawis-Schädel wurde im Februar 2006 im Einzugsgebiet des Gawis, eines Nebenflusses des Awash in der Afar-Senke in Äthiopien entdeckt.
Die Fundstelle befindet sich innerhalb der Gona Research Project study area im Tal des Awash. Unmittelbar östlich von Gona an einem der Nebenflüsse des Awash liegt Hadar, wo der U.S. Forscher Donald Johanson 1974 die berühmte Lucy fand, ein etwa 3,2 Millionen Jahre altes Teilskelett der Art Australopithecus afarensis. Das Middle Awash Gebiet, ebenfalls Fundort vieler Hominiden, liegt südlich.
Der Schädel von Gawis scheint morphologisch zwischen dem Homo erectus und dem späteren Homo sapiens zu stehen, wie Sileshi Semaw, Direktor des Gona Research Project, in einer Pressemitteilung bekannt gibt. In der näheren Umgebung und an der Fundstelle selbst wurden archäologische Artefakte des späten Acheuléen sowie zahlreiche Tierfossilien gefunden, was den Forschern ein Fenster in eine wichtige Phase der Entstehung des modernen Menschen öffnet.
Der südwestliche Teil des Untersuchungsgebiets in der Nähe des Flusses Gawis ist am jüngsten und umspannt schätzungsweise einen Zeitraum zwischen 780.000 und 125.000 Jahren. Die meisten der Sedimente, in denen sich auch der Schädel befand, sind aus Sand und Schlick und daher mit herkömmlichen geologischen Methoden nicht datierbar. Allerdings gibt es in der Region viele Vulkane, die bei ihren regelmäßigen Ausbrüchen die hiesige Landschaft mit einer dünnen, grauen Ascheschicht überzogen.
Diese Schichten aus Vulkanasche sind der Schlüssel zur Datierung des Gawis-Schädels und der assoziierten Steinwerkzeuge. Einige Ascheschichten in der Untersuchungsregion können direkt mit der 40Ar/39Ar Methode datiert werden. Andere können aufgrund ihrer besonderen chemischen Zusammensetzung mit Schichten außerhalb korreliert werden. Dies könnte den Gawis-Schädel zu einem der best-datierten menschlichen Vorfahren machen, so ein Geologe des Projekts.
Der Schädel wurde von Asahamed Humet, Mitglied des Projekt-Teams, während geologischer Erkundungen in einer kleinen Rinne am Fuße eines Hangs aus weichen Sedimenten gefunden, aus denen er offensichtlich vor kurzem heraus erodiert wurde. Das Exemplar besteht aus der Schädeldecke samt oberem Gesicht und Oberkiefer. Zusätzlich fand man an der Oberfläche der Stelle mehrere Steinwerkzeuge. Weitere Werkzeuge stammen aus dem gleichen stratigraphischen Niveau in der Nähe und werden auf das späte Acheuléen datiert, einer Ära vor 500.000 bis 200.000 Jahren. Eine große Anzahl an fossilen Tierknochen stammt ebenfalls aus dem gleichen Niveau wie der Schädel, darunter Schweine, Zebras, Elefanten, Antilopen, kleine Raubtiere wie Katzen und zahlreiche Nagetiere.
Die Forscher sind der Ansicht, dass der Gawis-Schädel aus einer Zeit des Übergangs vom afrikanischen Homo erectus (ergaster) zum modernen Menschen stammt, einer Zeit, die wenig bekannt ist. Die Fossilien aus Afrika sind für diesen Zeitraum spärlich, so die Forscher, und die meisten Exemplare sind schlecht datiert. Die wenigen fossilen Schädel, die aus dem mittleren Pleistozän Afrikas bekannt sind, gewähren nach Meinung der Forscher nur einen schmalen Blick auf die Bandbreite möglicher atomischer Variationen in diesem Zeitraum.
Gesicht und Cranium des Fossils aus Gawis sind erkennbar verschieden vom modernen Menschen, so die Wissenschaftler, aber es hat unverkennbar anatomische Merkmale, die es in die Ahnenreihe des modernen Menschen stellen. Die Form des Gesichts und des Gehirnschädels gehören zu den eindeutigsten Merkmalen, um den evolutionären Weg des Menschen nachzuzeichnen, und beim Gawis-Schädel ist beides vorhanden.
Koordinaten von fossilized.org