Ötzi - Ein heimtückischer Mord und Kontakte nach Mittelitalien

Presseldung vom 20.09.2016

Auf dem internationalen Mumienkongress präsentieren Forscher neue Erkenntnisse.


Das Kupfer von Ötzis Beilklinge stammt nicht – wie bisher angenommen - aus dem Alpenraum, sondern wurde aus südtoskanischem Erz gewonnen. Ötzi war wahrscheinlich nicht in den Prozess der Metallverarbeitung eingebunden, wie es erhöhte Arsen- und Kupferwerte in seinen Haaren bislang vermuten ließen. Seine Ermordung vor über 5.000 Jahren scheint auf eine persönliche Konfliktsituation Tage vor seinem Tod zurückzugehen, und der Mann aus dem Eis litt trotz Normalgewichts und viel Bewegung unter etlichen Gefäßverkalkungen. Diese und andere neue Erkenntnisse präsentieren Wissenschaftler aus aller Welt in diesen Tagen auf dem internationalen Mumienkongresses in Bozen. Zum 25. Jubiläum von Ötzis Entdeckung sind alle drei Kongresstage, vom 19.-21. September, dem Mann aus dem Eis gewidmet.

Pfeilspitze.

Seit der Mann aus dem Eis am 19. September 1991 gefunden wurde, zieht er Forscher aus aller Welt in seinen Bann – keine Leiche wurde eingehender untersucht. „Für die Forschung hat Ötzi nicht die Bedeutung eines isolierten Mumienfunds. Er ist vielmehr ein typischer Europäer aus der früheren Zeit und daher so wertvoll“, erklärt der Anthropologe Albert Zink von EURAC Research, der wissenschaftliche Leiter des Kongresses.

Publikation:


Laura Defranceschi
Ötzi: Ein heimtückischer Mord und Kontakte nach Mittelitalien
European Academy Bozen/Bolzano

„Dadurch, dass Ötzi als Gletschermumie so gut erhalten ist, dient er uns Forschern als Modell, an dem wir wissenschaftliche Methoden etablieren, die dann auch an anderen Mumien angewendet werden“, so Zink. „Heute beschäftigt uns vor allem, wer der Mann aus dem Eis war, welche Rolle er in der Gesellschaft hatte und was in seinen letzten Lebenstagen passiert ist. Verfeinerte Methoden, auf die die Forscher heute zurückgreifen können, liefern uns immer neue Hinweise“, sagt Angelika Fleckinger, Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums, das den Kongress mitorganisiert.

Kontakte nach Mittelitalien

Eine überraschende neue Erkenntnis gibt es zu Ötzis herausragendstem Ausrüstungsgegenstand, dem wertvollen Kupferbeil. Anders als bisher vermutet, stammt das Kupfer der Klinge nicht aus dem Alpenraum – Ost- oder Nordtirol schienen Experten die wahrscheinlichsten Herkunftsorte – , sondern aus Mittelitalien: Die Forschungsgruppe Archäometallurgie um Professor Gilberto Artioli von der Universität Padua hat herausgefunden, dass das Metall aus südtoskanischem Erz gewonnen wurde.

Für die Herkunftsbestimmung entnahmen die italienischen Wissenschaftler eine winzige Probe der Klinge und verglichen die Mengenverhältnisse der Blei-Isotope – eine Art „Fingerabdruck“ von Erzvorkommen, der unverändert an daraus gefertigte Objekte weitergegeben wird – mit den entsprechenden Daten einer Vielzahl von Lagerstätten in Europa und im gesamten Mittelmeerraum; das Ergebnis zeigt eindeutig in die Südtoskana.

Ötzis Zähne.

„Mit diesem Befund hatte niemand gerechnet. Wir werden weitere Analysen in Auftrag geben um diese ersten Ergebnisse abzusichern“, unterstreicht Angelika Fleckinger. Wird sie bestätigt, liefert die neue Erkenntnis der Forschung interessante Denkanstöße: Kam Ötzi als Händler womöglich bis in die Gegend des heutigen Florenz? Wie sahen zu seiner Zeit die Handelsverbindungen und kulturellen Kontakte mit dem Süden aus? Waren mit dem Warenaustausch auch Populationswanderungen verbunden, zogen also Menschen aus dem Süden in den Alpenraum und umgekehrt? „Gerade was Fragen zur Bevölkerungsentwicklung angeht, ist das eine spannende Erkenntnis“, erklärt Albert Zink.

Doch kein Kupferschmelzer?

Eine andere in der Forschung seit langem diskutierte Frage ist jene, ob Ötzi womöglich selbst in der Kupferverarbeitung tätig war. Wissenschaftler haben diese These vertreten, weil in den Haaren der Mumie erhöhte Arsen- und Kupferwerte nachgewiesen wurden – erklärbar zum Beispiel durch den Rauch, der beim Schmelzen und Gießen von Metall eingeatmet wird.

Neu untersucht hat die Frage jetzt der Geochemiker Wolfgang Müller, der an der Londoner Royal Holloway University forscht und mittels Isotopenanalyse schon Ötzis Herkunft aus Südtirol klärte. Anhand hochentwickelter Analysemethoden wie Laser-Massenspektrometrie und Speziationsanalyse untersuchte Müller’s Team nicht nur Haare, sondern auch Nagel-, Haut- und Organproben Ötzis auf ihre Schwermetallbelastung.

Seine – noch vorläufigen - Ergebnisse lassen die These, dass Ötzi in der Metallverarbeitung tätig war, voreilig erscheinen: Zwar fand Müller leicht erhöhte Arsenwerte im Nagel, aber nicht in den anderen Gewebeproben. Kupfer ist nur an den Rändern erhöht und korreliert mit anderen Alterationsindikatoren, und somit ist fraglich, ob man Ötzis Schwermetallbelastung zu Lebzeiten noch exakt bestimmen kann – erhöhte Werte könnten auch auf Umwelteinflüsse während der gut 5000 Jahre seit seinem Tod zurückzuführen sein.

Radiologische Untersuchung mit neuestem CT-Gerät

Eine neue Computertomografie (CT) am Mann aus dem Eis haben die Radiologen Paul Gostner und Patrizia Pernter im Jänner 2013 in der Röntgenabteilung im Krankenhaus Bozen durchgeführt. Dabei verwendeten sie ein CT-Gerät der neuesten Generation dank dessen großer Öffnung die Ärzte Ötzi trotz seiner abgewinkelten Armhaltung zügig von Kopf bis Fuß durch das Gerät fahren konnten. Neben den schon bekannten Gefäßverkalkungen an Bauch- und Beinarterien entdeckten die Mediziner durch die verbesserte Bildqualität drei kleine Verkalkungen nahe der Ausflussbahnen des Herzens, die ihnen bis jetzt entgangen waren. Das untermauert den früheren Befund von Molekularbiologen der EURAC, dass Ötzi eine starke genetische Veranlagung für Herzkreislauferkrankungen hatte und diese vermutlich auch der Hauptgrund für seine allgemeine Arteriosklerose war.

Ermittlungen eines „Profilers“

Ötzi ist ermordet worden, darauf deutet die 2001 entdeckte Pfeilspitze in seiner linken Schulter hin. Aber wie waren die Tatumstände? Das Südtiroler Archäologiemuseum hat Hauptkommissar Alexander Horn von der Kriminalpolizei München im Jahr 2014 damit beauftragt, im „Mordfall Ötzi“ mit neuesten kriminalistischen Methoden zu ermitteln. Horn befragte „Bekannte“ des Mordopfers, beispielsweise Archäologen des Museums, die Ötzi seit Jahren betreuen, sowie Experten aus der Rechtsmedizin, Radiologie und Anthropologie.

Mitglieder des Projektteams nahmen auch einen Lokalaugenschein an der Fundstelle in Schnals vor. Das Ergebnis der Ermittlungen: Ötzi fühlte sich kurz vor seiner Ermordung wahrscheinlich nicht bedroht, da die Situation am Auffindungsort am Tisenjoch auf eine Rast mit einer reichlichen Mahlzeit hindeutet. Tage vorher hatte er sich vermutlich bei einer körperlichen Auseinandersetzung eine Abwehrverletzung an der rechten Hand zugezogen. Es fanden sich keine weiteren Verletzungen, was ein Anzeichen dafür sein könnte, dass er in dieser Auseinandersetzung nicht unterlegen war.

Der wohl tödliche Pfeilschuss kam aus größerer Distanz und für das Opfer überraschend, demnach heimtückisch. Weitere medizinische Befunde legen nahe, dass das Opfer stürzte und der Täter keine weitere Gewalt anwandte. Offenbar wollte der Täter keine körperliche Auseinandersetzung riskieren, sondern wählte einen Angriff aus der Distanz, um den Mann aus dem Eis zu töten. Da wertvolle Gegenstände wie die Kupferaxt am Tatort verblieben, fällt auch Diebstahl als Motiv aus: Der Grund des Delikts ist wohl in einer persönlichen Konfliktsituation zu suchen, in einer vorangegangenen Auseinandersetzung – „ein Verhaltensmuster, wie es sich auch heute noch bei der großen Masse der Tötungsdelikte zeigt“, erklärt Alexander Horn.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der European Academy Bozen/Bolzano via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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