Menschen nutzten schon vor 40.000 Jahren spezielles Werkzeug zur Seilherstellung

Presseldung vom 26.07.2016

Archäologen der Universität Tübingen präsentieren gut erhaltenen Fund aus Mammutelfenbein – Test an der Universität Lüttich bestätigt Funktion.


Schon vor 40.000 Jahren haben Menschen ein spezielles Werkzeug zur Herstellung von Seilen genutzt. Wie Professor Nicholas Conard und seine Grabungsmannschaft von der Universität Tübingen am Freitag berichteten, wurde bei Ausgrabungen im „Hohe Fels“ auf der Schwäbischen Alb ein gut erhaltenes Exemplar dieses Werkzeugs gefunden. Das sorgfältig geschnitzte Stück aus Mammutelfenbein ist 20,4 Zentimeter lang und diente dazu, Pflanzenfasern zu Seilen zu drehen, wie Tests an der Universität Lüttich in Belgien zeigten.

Bild oben:
Mit diesem Werkzeug aus Elfenbeinmammut stellten die modernen Menschen vor 40.000 Jahren Seile und Schnüre her. Foto © Universität Tübingen
Bild unten:
So ließen sich in der Altsteinzeit mit dem Werkzeug Seile herstellen.

Seile und Schnüre sind für Jäger- und Sammlerkulturen überlebens-wichtig. Dennoch wusste man bislang fast nichts über die Herstellung von Seilen in der Zeit vor 40.000 Jahren. Nur in Ausnahmefällen wurden Seilabdrücke in gebranntem Ton gefunden oder Darstellungen von Stricken oder Seilen auf eiszeitlichen Kunstwerken. Das von Conards Team im „Hohle Fels“ entdeckte Werkzeug lässt nun wichtige Rückschlüsse auf die Art der Seilherstellung in der Altsteinzeit zu.

Das Werkzeug aus Mammutelfenbein ist mit vier Löchern von sieben bis neun Millimetern Durchmesser versehen, die jeweils tiefe und sorgfältig ausgearbeitete spiralförmige Einschnitte aufweisen. Diese sind mehr als nur Dekoration. Wurden ähnliche Funde in der Vergangenheit als Hebelgerät, Kunstwerk oder Musikinstrument interpretiert, zeigt das außerordentlich gut erhaltene Werkzeug nun die Funktionalität der Löcher. Ein Archäologenteam um Dr. Veerle Rots konnte an der Universität Lüttich experimentell nachvollziehen, wie damit Pflanzen-fasern zu Seilen gedreht wurden. „Dieses Werkzeug beantwortet die Frage, wie im Paläolithikum Seile hergestellt wurden“, sagt Rots, „ein Rätsel, das Wissenschaftler für Jahrzehnte beschäftigt hat.“

Das Seilwerkzeug wurde bei Ausgrabungen in der Wohnhöhle der Altsteinzeit in den unteren Schichten aus der sogenannten Aurignacien-Periode gefunden. Wie die berühmten Venus-Figuren und die Flöten aus dem Hohle Fels, stammt das Werkzeug somit aus der Zeit vor 40.000 Jahren, als die ersten modernen Menschen in Europa ankamen. Für die vorher am Hohle Fels lebenden Neandertaler sind solche Funde gänzlich unbekannt. Das neue Artefakt unterstreicht, wie wichtig die Herstellung und Nutzung von Seil und Schnur für die darauf folgenden Jäger und Sammler war, um die Herausforderungen der Eiszeit zu bewältigen.

Professor Conard von der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen leitet seit 20 Jahren die Ausgrabungen am „Hohle Fels“. Die Ergebnisse des langjährigen Engagements haben die Höhle zu einer der bekanntesten Ausgrabungsstätten für das Paläolithikum weltweit gemacht. Gemeinsam mit den benachbarten Ausgrabungsstätten im Achtal und im Lonetal wurde der „Hohle Fels“ von Deutschland als Unesco-Weltkulturerbe nominiert. Die Ausgrabungen im Hohle Fels bei Schelklingen werden von der HeidelbergCement AG, dem Wissenschafts-ministerium Baden-Württemberg und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gefördert.

Publikation:


Nicholas J. Conard, Maria Malina
Außergewöhnliche neue Funde aus den aurignacienzeitlichen Schichten vom Hohle Fels bei Schelklingen
Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg, S. 61-66, 22 Juli 2016

Das Werkzeug zur Seilherstellung wird auch für die Öffentlichkeit zu sehen sein: Ab Samstag, 23. Juli, wird es im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren (urmu) als „Fund des Jahres“ ausgestellt. Seit gut 100 Jahren graben Archäologen der Universität Tübingen bereits in Höhlen auf der Schwäbischen Alb, und seit mehr 50 Jahren präsentiert das Museum die Ergebnisse dieser Arbeit in Blaubeuren. „Es zeichnet das Urgeschichtliche Museum aus, dass es ein Forschungsmuseum ist“, sagt Professor Conard, „so sind beispielsweise im Nachbargebäude des Museums unsere Ausgräber untergebracht, und wir können unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse unmittelbar in der Museumsarbeit darbieten. Es ist uns wichtig, die Inhalte der Ausstellung auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zu halten.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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