Uralte Zähne führen zur Entdeckung einer Bevölkerungsgruppe
Zwei 31.000 Jahre alte Milchzähne aus einer Ausgrabungsstätte im Nordosten Sibiriens haben zur Entdeckung einer bisher unbekannten Bevölkerungsgruppe geführt, die während der letzten Eiszeit in diesem Gebiet gelebt hat. An der Entdeckung dieser «Alt-Nordsibirier» beteiligt war auch Laurent Excoffier, Professor am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und Gruppenleiter am SIB Schweizerisches Institut für Bioinformatik.
Als Teil einer breit angelegten Studie, die im Fachmagazin Nature publiziert wurde, untersuchte ein internationales Forschungsteam zwei 31.000 Jahre alte Milchzähne aus einer grossen archäologischen Fundstätte am russischen Fluss Jana. Die Ausgrabungsstätte, bekannt als «Yana Rhinoceros Horn Site» (Yana RHS) wurde 2001 entdeckt und umfasst mehr als 2.500 Artefakte, darunter Tierknochen, Elfenbein sowie Steinwerkzeuge und Zeugnisse menschlicher Behausungen. Die untersuchten Zähne sind rund 31.000 Jahre alt und die bisher einzigen dort entdeckten menschlichen Überreste aus dieser Zeit.
Publikation:
Martin Sikora et. al.
The population history of northeastern Siberia since the Pleistocene
Nature, June 5, 2019
DOI: 10.1038/s41586-019-1279-z
Die Forschenden unter der Leitung von Eske Willerslev, Professor am St John's College der Universität Cambridge und Direktor des Lundbeck Foundation Centre for GeoGenetics an der Universität Kopenhagen, untersuchten die DNA der Zähne und konnten zeigen, dass die Zähne zu Individuen einer bisher unbekannten Bevölkerungsgruppe gehören. Das Forschungsteam, dem auch Laurent Excoffier, Professor am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und Gruppenleiter am SIB Schweizerisches Institut für Bioinformatik, angehört, benannte die Bevölkerungsgruppe «Alt-Nordsibirier». Die Forschenden konnten in der Studie darüber hinaus zeigen, dass 10.000 Jahre alte menschliche Überreste aus einer anderen Fundstelle in Sibirien genetisch mit den indigenen Völkern Amerikas verwandt sind – zum ersten Mal wurden solche engen genetischen Verbindungen ausserhalb der USA entdeckt.
«Bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte»
Die Resultate der Studie zeigen, dass die Alt-Nordsibirier vor 31.000 Jahren während der letzten Eiszeit im Nordosten Sibiriens unter extremen Bedingungen gelebt haben. Ernährt haben sie sich mit der Jagd auf Wollhaarmammuts, Wollnashörner und Bisons. Die Alt-Nordsibirier passten sich offenbar schnell an extreme Umgebungen an und waren sehr mobil. Eske Willerslev sagt: «Diese Menschen waren ein bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte. Sie diversifizierten fast zur gleichen Zeit wie die Vorfahren der heutigen Asiaten und Europäer, und es ist wahrscheinlich, dass sie irgendwann grosse Teile der nördlichen Hemisphäre bevölkerten.»
Im Rahmen der gross angelegten Studie analysierte das Team insgesamt 34 Proben von menschlichen Genomen, die in archäologischen Stätten in Nordsibirien und Zentralrussland gefunden wurden. So konnte die komplexe Populationsdynamik während der letzten Eiszeit und genetische Vergleiche mit anderen Bevölkerungsgruppen dokumentiert werden. Professor Laurent Excoffier sagt: «Bemerkenswert ist, dass das alte nordsibirische Volk enger mit den Europäern als den Asiaten verwandt ist. Sie sind wohl aus Westeurasien eingewandert, kurz nachdem sich die europäischen und asiatischen Bevölkerungsgruppen voneinander getrennt haben.» Die mosaikartige genetische Zusammensetzung der heutigen Sibirier entspringt den Alt-Nordsibirern, die ein riesiges Gebiet im Norden Eurasiens und Amerikas bewohnten.
«Missing Link» zur indigenen Bevölkerung Amerikas
Es ist generell akzeptiert, dass der Mensch erstmals nach Amerika kam, indem er von Sibirien aus die Beringstrasse nach Alaska überquerte. Vor dem Ende der letzten Eiszeit bestand dort eine Landbrücke. Den Forschenden gelang es, einige dieser Menschen als Mitglieder von asiatischen Volksgruppen zu identifizieren, die sich mit den Alt-Nordsibiriern vermischten.
Diese Erkenntnis basiert auf der DNA-Analyse der 10’000 Jahre alten Überreste eines Mannes, die in der Nähe des Kolyma-Flusses in Sibirien gefunden wurden. Das Individuum hat eine Abstammung, die aus einer Mischung aus alt-nordsibirischer DNA und ostasiatischer DNA besteht. Diese ist derjenigen der indigenen Völker Amerikas sehr ähnlich. Es ist das erste Mal, dass menschliche Überreste, die so eng mit dem Ursprung der indigenen Bevölkerung Amerikas verbunden sind, ausserhalb der USA entdeckt wurden. «Dieses Individuum ist der Missing Link, um die genetische Abstammung der indigenen Völkern Amerikas zu verstehen», fügt Eske Willerslev an.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt