Krankheitserreger in Ötzis Magen entdeckt

Presseldung vom 08.01.2016

Der kupferzeitlichen Gletschermumie Ötzi entlocken Forscher immer wieder neue Fakten zum Leben der Spezies Mensch.


Nach der kompletten Entschlüsselung des Ötzi-Genoms vor fünf Jahren schien die Quelle an spektakulären Einblicken in die Vergangenheit zunächst versiegt. Einem internationalen Wissenschaftlerteam um den Paläopathologen Albert Zink und den Mikrobiologen Frank Maixner von der Europäischen Akademie (EURAC) in Bozen ist es nun gelungen, im Mageninhalt Ötzis das Bakterium Helicobacter pylori nachzuweisen, das heute die Hälfte aller Menschen in sich trägt. Es handelt sich um den bisher ältesten Beleg des Bakteriums.


Albert Zink (rechts) und sein Kollege Eduard Egarter-Vigl entnehmen im November 2010 Ötzi eine Gewebeprobe.

Publikation:


Maixner et al.
The 5,300-year-old Helicobacter pylori genome of the Iceman
Science, Vol. 351 no. 6269 pp. 162-165

DOI: 10.1126/science.aad2545



Als Zink und Maixner vor fast drei Jahren die Magenproben des Iceman unter die Mikroskope in ihrem EURAC-Labor für antike DNA legten, waren sie zunächst skeptisch: „Es war sehr unwahrscheinlich, etwas zu finden, da Ötzis Magenschleimhaut nicht mehr vorhanden ist. Das Bakterium Helicobacter pylori weist man bei heutigen Patienten in der Magenschleimhaut nach“, erklärt Albert Zink. Gemeinsam mit Forscherkollegen der Universitäten Kiel, Wien und Venda in Südafrika sowie dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena suchten die Wissenschaftler nach einem neuen Weg: „Die Idee, die Gesamt-DNA des Mageneinhaltes zu extrahieren, brachte schließlich die Lösung“, berichtet Frank Maixner. „Nachdem wir das Genmaterial des kompletten Mageninhaltes extrahiert hatten, konnten wir mit einer speziellen Methode die einzelnen Helicobacter-Sequenzen herausfischen und ein 5300 Jahre altes Helicobacter pylori-Genom rekonstruieren.“

Den Forschern offenbarte sich ein potentiell virulenter Bakterienstamm, auf den Ötzis Immunsystem bereits reagiert hatte: „Wir haben ganz klare Markerproteine entdeckt, die wir von heutigen mit Helicobacter infizierten Patienten kennen“, so der Mikrobiologe.

Ein Zehntel dieser Infizierten entwickelt zumeist im Alter Magenprobleme, wie Gastritis oder Geschwüre. „Ob Ötzi Gastritis oder Magengeschwüre hatte, können wir nicht mit Sicherheit sagen, da seine Magenschleimhaut eben nicht mehr existiert und sich die Krankheiten dort zuerst manifestieren. Die Voraussetzungen für eine solche Erkrankung waren jedoch gegeben“, schildert Albert Zink die Magenbeschaffenheit des Mannes aus dem Eis.

Die kompletten Genomdaten der Magenbiopsie gaben die beiden EURAC-Forscher dann zur Analyse an ihren Kollegen Thomas Rattei von der Universität Wien weiter, der gemeinsam mit Populationsgenetikern aus den USA, Südafrika und Deutschland zu einem überraschenden Ergebnis kam: „Wir hatten angenommen, bei Ötzi jenen Helicobacter-Stamm zu finden, den die heutigen Europäer in sich tragen“, erläutert der Bioinformatiker. „Doch siehe da, es war ein Stamm, den man heute hauptsächlich in Zentral- und Südasien vorfindet!“

Die Forscher gehen davon aus, dass es ursprünglich einen afrikanischen und einen asiatischen Bakterienstamm gab, die sich irgendwann zum heutigen europäischen Stamm vermischten. Da die Übertragung des Bakteriums meist innerhalb der Familie erfolgt, ist die Geschichte der Weltbevölkerung eng mit der des Bakteriums verknüpft: „Bislang vermutete man, dass die Menschen der Jungsteinzeit, die sesshaft wurden und begannen, Ackerbau zu betreiben, diesen europäischen Stamm bereits mitbrachten. Ötzi lehrt uns, dass dies nicht der Fall war. Die Vermischung der beiden Helicobacter-Stämme hat somit vermutlich erst nach Ötzis Zeit stattgefunden, was zeigt, dass die Besiedlungsgeschichte Europas viel komplexer ist, als angenommen“, skizziert Frank Maixner die Tragweite der neuen Erkenntnisse.

Wie weit das Wissen um Bakterien, die im Menschen leben, Aufschluss über die Menschheitsentwicklung geben kann, werden weitere Studien zeigen müssen. Die aktuellen Untersuchungen, deren Ergebnisse das Wissenschaftlerteam soeben in der Fachzeitschrift Science publiziert hat, öffnen die Türen für weitere Studien: „Wir wissen jetzt, wie es geht“, sagt Albert Zink, „da machen wir natürlich weiter.“ In Planung sind weitere Studien in Südamerika und Asien.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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