Eiszeitliche Rentierjäger waren die ersten Angler Europas

Presseldung vom 18.02.2013

Ist das Interesse am Angeln, am "Erbeuten" von Fischen, vielleicht ein Erbe unserer Vorfahren?


„Ja“ lautet die eindeutige Antwort eines Forschungsteams an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten über 12.000 Jahre alte archäologische Funde. Ihre Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Journal of Archaeological Science“ veröffentlicht.


Steinzeitlicher Angelhaken aus der archäologischen Fundstelle Wustermark. Das Rohmaterial ist aus Mammut-Elfenbein und zirka 19.000 Jahre alt. Der Angelhaken selbst wurde von den Jägern und Sammlern jedoch erst vor zirka 12.300 Jahren hergestellt und wahrscheinlich zum Angeln von Hechten verwendet. Foto: © R. Sommer

Publikation:






Millionen Menschen auf der ganzen Welt Angeln mit Begeisterung. Ganze Industriezweige leben von der Hobbyfischerei und produzieren Angelhaken, Sehnen, Routen, Netze oder künstliche Köder. Tausende Angelkarten werden in jedem Jahr in Norddeutschland an Einheimische sowie an Touristinnen und Touristen verkauft. Die Ursprünge all dessen beschreibt das Team um den Kieler Privatdozenten Dr. Robert Sommer, Institut für Natur- und Ressourcenschutz, jetzt anhand der größten Kollektion an Angelhaken aus der Zeit der Jäger und Sammler vor 12.300 Jahren. „Unsere Ergebnisse verraten erstaunliche Details über die Nutzung der Umwelt durch den Menschen und über die Entwicklung des Angelns auf unserem Kontinent“, erklärt Sommer. „Wer bisher annahm, dass die Jägerkulturen der ausgehenden Eiszeit ausschließlich mit Harpunen oder Speeren Jagd auf Großtiere wie Rentiere oder Pferde machten, wird eines besseren belehrt – sie angelten nämlich auch schon Hecht!“

Schon im Jahre 1998 entdeckte der Prähistoriker Jonas Beran bei einer Ausgrabung in der Gemeinde Wustermark (Brandenburgisches Havelland) in der Nähe des Havelkanals verdächtige Artefakte und Knochenspitzen, die auf die Tätigkeit der urzeitlichen Jäger und Sammler in dieser Region hinwiesen. Der Potsdamer Urgeschichtsforscher und Mitautor der aktuellen Publikation, Bernhard Gramsch, ist ein Experte für die Steinzeit Nordeuropas. Er erkannte sofort den Wert, welche die Gegenstände für die Rekonstruktion unserer Kulturgeschichte haben. Aus dem gesamten Fund bargen die Archäologinnen und Archäologen sechs Angelhaken aus Knochenmaterial. „Als eine kleine Sensation stellte sich heraus, dass einer der Angelhaken gar nicht – wie zunächst vermutet – aus Knochenmaterial hergestellt war, sondern möglicherweise aus Elfenbein (Stoßzahn) des Mammuts“, berichtet Gramsch.

Demnach stellen die vorzeitlichen Angelhaken aus Wustermark (Brandenburg) neben verschiedenen Belegen aus Frankreich, Deutschland und Österreich den bisher umfangreichsten Fund an Angelhaken aus dem „Spätpaläolithikum“, der letzten Epoche der Altsteinzeit, in Europa dar. „Bisher glaubte man, dass die Angelhaken als Werkzeug zum Fischfang eine typische technische Errungenschaft der Mittleren Steinzeit (Mesolithikum) waren – die Existenz der Funde aus Brandenburg sind jedoch ein Hinweis dafür, dass das Angeln seine Wurzeln schon in der Späten Altsteinzeit hat“, sagt der Archäologe Bernhard Gramsch. „Wir können im Fall des Angelhakens aus Mammut-Elfenbein zeigen, dass die eiszeitlichen Menschen schon einen subfossilen Rohstoff für technische Zwecke nutzten, denn das Elfenbein weist ein Radiokarbonalter von etwa 19.000 Jahren auf. Erst etwa 7000 Jahre später wurde daraus der Angelhaken hergestellt“, so Gramsch weiter.

„Es ist interessant zu sehen, dass die sich ändernden Umweltbedingungen vor zirka 12.300 Jahren die Rentierjäger dazu verleitet haben, schon vor dem Ende der Eiszeit ans Angeln zu denken“, ergänzt Robert Sommer. „Aufgrund der Knochen- und Pollenfunde aus der archäologischen Siedlung wissen wir, dass die Menschen in der ausgehenden Eiszeit schon Gewässer in der Landschaft vorfanden, die eine gute Voraussetzung für das Angeln von Hechten waren. Und das betrieben sie offensichtlich auch intensiv, denn das Auffinden von gleich sechs Angelhaken und zahlreichen Knochenresten von Hechten kann kein Zufall sein.“ Der einmalige Fund dokumentiere deshalb in anschaulicher Weise eine am Ende der Eiszeit erfolgte Wende im ökonomischen Verhalten des Menschen: Die hoch spezialisierten Rentierjäger beginnen mit dem Hechtangeln. „So passten sie sich an die zunehmende Klimaveränderung an“, erläutert Robert Sommer.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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