Die Ereignisse, die das Leben des Urmenschenforschers Raymond Dart unwiderruflich ändern und er eine bedeutende Entdeckung machen sollte, nahmen im Frühling 1924 ihren Anfang. Als Darts Studentin ihm von einem fossilen Schädel berichtete, den sie in der Wohnung eines Freundes entdeckte, bat er sie, das Exemplar auszuborgen und ihm zur Untersuchung zu bringen.
Der Schädel stammte von einem Ort namens Taung, wo er im dortigen Kalksteinbruch bei Sprengungen zum Vorschein kam. Das Exemplar entpuppte sich als fossiler Pavianschädel, eines von unzähligen Fossilien, die dort in Höhlenablagerungen zu finden waren. Der Steinbruch von Taung war sehr groß, deshalb geht man heute davon aus, dass unzählige Fossilen zusammen mit dem abgebauten Kalk in die Brennöfen von Zementwerken wanderte.
Der Steinbrucharbeiter M. de Bruyn, der die Sprengungsarbeiten in Taung beaufsichtigte, sammelte von Zeit zu Zeit die zum Vorschein kommenden Fossilien ein und schickte hin und wieder eine oder zwei Kisten an Raymond Dart. Eine Sendung mit Fossilien aus dem Herbst 1924 enthielt einen Schädelinnenabdruck, der anders aussah als die üblichen Schädel von Pavianen, die Dart bereits von dem Fossil seiner Studentin kannte. Das Gesicht und der zugehörige Unterkiefer waren zum größten Teil erhalten, vor allem paßte der Innenabdruck genau zum vorderen Teil des Schädels.
In einem populären Buch der Zeit (Adventures with the Missing Link) schildert Dart die Entdeckung des Fossils. Zwei große Kisten mit Gestein, die man ihm aus den Taung-Steinbrüchen hatte schicken lassen, kamen in dem Moment an, da er gerade dabei war, sich für eine Hochzeit umzuziehen. Als er - noch hemdsärmlig - hastig die Kisten aufbrach, entdeckte er einen versteinerten Schädelabdruck mit eindeutig hominiden Merkmalen. Als er die Kiste weiter durchsuchte, kamen auch noch eine Stirn- und Gesichtspartie zum Vorschein, die genau zum Abdruck passten.
Dreiundsiebzig Tage später war es Dart gelungen, das Gesicht des Fossils freizulegen. Es hatte keine vorspringen Überaugenwülste und kein vorspringendes Kinn wie die Affen. Das große Gehirn - so erkannte er bald - gehörte nicht zu einem erwachsenen Affen, sondern zu einem Kind mit runder Stirn, vollständigem Milchgebiß und ersten Backenzähnen.
Dart beschrieb das Fossil als eine Kreatur, die den Affen in zwei eindeutig humanen Merkmalen überlegen war - den Zähnen und der «verbesserten Qualität» des Gehirns. Die Kreatur hätte Farben unterscheiden können, Gewicht und Gestalt erkennen können, und wäre bereits auf dem Weg zur Sprechfähigkeit. Wegen der vorgelagerten Position des Foramen magnum (Hinterhaupsloch) war sich Dart daüber hinaus sicher, dass die Kreatur wie ein Mensch aufrecht ging und seine feibeweglichen Hände zum "Angriff und zur Verteidigung" nutzen konnte (Dart war ein Verfechter der Theorie, dass Vormenschen ziemlich brutale Wesen waren, die weder vor Fressfeinden noch ihresgleichen Halt machten, eine Theorie, die sich im Laufe der Jahrzehnte als falsch herausstellte).
Dart nannte sein Fossil Australopithecus africanus. Er steht für »Der südliche Affe Afrikas«, wobei einige behaupten, er stehe für Darts Heimatland Australien.
Literatur
- Reader J., 1981, Missing links. The hunt for earliest man. Collins, London
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