Witzan

Mutmaßliche Siedlungsgebiete der Abodriten, Bethenzer, Smeldinger, Linonen und der nordalbingischen Sachsen zur Zeit Witzans 780–795.[1]

Witzan, slaw. Visan († 795 bei Bardowick) war ein slawischer Fürst, der Ende des 8. Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Mecklenburg sowie im angrenzenden Ostholstein als Samtherrscher über den westslawischen Stammesverband der Abodriten herrschte. Er war Vasall des fränkischen Königs Karl der Große.

Witzan wird erstmals zum Jahr 789 erwähnt. Die Annales regni Francorum[2] und die Annales Mettenses[3] bezeichnen ihn als Anführer („princeps“) der Abodriten. Weitere Angaben zu seiner Herkunft sind nicht überliefert.[4] Bei seinen Nachfolgern Drasco und Sclaomir handelt es sich wahrscheinlich um seinen Sohn und seinen Bruder.[5]

Mit der fortschreitenden Eingliederung Sachsens in das Frankenreich gerieten auch die Abodriten zunehmend in das politische Blickfeld der Franken. Bereits seit Mitte des 8. Jahrhunderts sind Handelsbeziehungen mit den Slawen nordöstlich der Elbe belegt.[6] Vermutlich im Jahr 780 begründete Karl der Große ein militärisches Bündnis mit Witzan gegen die Sachsen.[7] Dieses könnte an der Ohremündung bei Wolmirstedt geschlossen worden sein.[8] Der Inhalt des Bündnisses ist unbekannt, aber die fränkischen Annalisten nahmen Witzan als Vasallen Karls des Großen wahr.[9] Im Jahr 789 begleitete Witzan den Frankenherrscher auf dessen Feldzug gegen die Wilzen. Während des Feldzuges kamen ihm und seinem abodritischen Aufgebot die Aufgabe zu, die Elbquerung des fränkisch-sächsischen Heeres von der anderen, wilzischen Elbseite her zu decken.[10] Anschließend kämpften sie an der Seite der Franken in der Prignitz und an der Elde gegen die zum wilzischen Stammesverband gehörigen Linonen, Smeldinger und Bethenzer, deren Kleinkönige gefangen und als Geiseln bis in den Peeneraum verschleppt wurden. Dort mussten sie sich nach Einnahme der wilzischen Hauptburg bei Vorwerk (Demmin) dem fränkischen Herrscher unterwerfen und ihm den Treueeid leisten. Dieser verfolgte damit das Ziel, den Raum jenseits der zur Reichsgrenze bestimmten Elbe zu befrieden. Einhard berichtet demgegenüber in der Vita Karoli Magni lediglich, Auslöser des Feldzuges seien fortwährende Angriffe der Wilzen gegen die Abodriten gewesen.[11]

Als unmittelbares Ergebnis des Wilzenzuges sollen Witzan von Karl dem Großen die Stammesgebiete der unterlegenen Smeldinger, Bethenzer und Linonen unterstellt worden sein, so dass sich dessen Herrschaft einem Sperrriegel gleich von der Ostseeküste bis an die Havelmündung zwischen Sachsen und Wilzen legte. Die fränkischen Quellen bezeichnen den princeps Witzan zudem im Jahr 795 durchgängig als rex der Abodriten[12], also als deren König. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass Witzan von Karl dem Großen nach dem erfolgreichen Wilzenfeldzug in die Alleinherrscherstellung über den Stammesverband eingesetzt wurde.[13] Allerdings findet sich der Titel eines rex für Witzan bereits im Bericht des Fragmentum chesnii über den Wilzenfeldzug.[14]

Witzan fiel 795 im Kampf mit den Sachsen, während er als Anführer des abodritischen Heeres auf dem Weg nach Bardowick die Elbe überquerte.[15] Den Quellen zufolge handelte es sich um Nordalbingier, die den fränkischen Bundesgenossen töteten, woraufhin Karl einen Vergeltungsfeldzug unternahm. Aufgrund der Ortsangabe und der Beteiligung der Nordalbingier könnte der Elbübergang durch die Furt bei der späteren Ertheneburg knapp 10 Kilometer nördlich von Bardowieck erfolgt sein.[16] Demgegenüber scheidet das in den Annales Laurissenses maiores[17] benannte Hliuni als Todesort aufgrund der Entfernung zur Elbe aus.

Witzans Sohn Drasco folgte ihm 795 als Heerführer, im Jahr 804 als Samtherrscher.

Quellen

  • Annales regni Francorum In: Diese Reihe der Monumenta Germaniae Historica ist nicht bekannt
  • Annales Mettenses priores In: Diese Reihe der Monumenta Germaniae Historica ist nicht bekannt
  • Fragmentum Annalium Chesnii In: Georg Heinrich Pertz (Hrsg.): Monumenta Germaniae Historica inde ab anno Christi quingentesimo usque ad annum millensimum et quingentesimun. (= MGH SS 1), Hahn, Hannover 1826, S. 33–34 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat)

Literatur

  • Wolfgang H. Fritze: Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat. In: Herbert Ludat (Hrsg.): Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder. W. Schmitz, Gießen 1960, S. 141–219, online (PDF 6,9 MB).
  • Bernhard Friedmann: Untersuchungen zur Geschichte des abodritischen Fürstentums bis zum Ende des 10. Jahrhunderts. (= Osteuropastudien des Landes Hessen. Reihe 1: Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens. Bd. 197). Duncker & Humblot, Berlin 1986, ISBN 3-428-05886-0. (Rezension von Timothy Reuter)

Anmerkungen

  1. Siedlungsgebiete der Linonen, Smeldinger und Bethenzer nach Fred Ruchhöft: Vom slawischen Stammesgebiet zur deutschen Vogtei. Die Entwicklung der Territorien in Ostholstein, Lauenburg, Mecklenburg und Vorpommern im Mittelalter. (= Archäologie und Geschichte im Ostseeraum. Bd. 4). Leidorf, Rahden (Westfalen) 2008, ISBN 978-3-89646-464-4, S. 85
  2. Annales regni Francorum 789: Abodriti, quorum princeps fuit Witzan.
  3. Annales Mettenses 789: nec non Abodriti, quorum princeps Wazan
  4. Bernhard Friedmann: Untersuchungen zur Geschichte des abodritischen Fürstentums bis zum Ende des 10. Jahrhunderts. Duncker & Humblot, Berlin 1986, ISBN 3-428-05886-0, S. 39–48 hält aufgrund sprachwissenschaftlicher Überlegungen eine Abstammung vom hevellisch-böhmischen Fürstenhaus für möglich.
  5. Wolfgang H. Fritze: Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat. In: Herbert Ludat (Hrsg.): Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder. W. Schmitz, Gießen 1960, S. 141–219, hier S. 179.
  6. Etwa in der Vita Lebuini antiqua (MGH SS 30, 2) S. 794.
  7. Bernhard Friedmann: Untersuchungen zur Geschichte des abodritischen Fürstentums bis zum Ende des 10. Jahrhunderts (Osteuropastudien des Landes Hessen. Reihe 1: Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 197). Berlin 1986, S. 25; Gerard Labuda: Civitas Dragaviti. Zu den fränkisch-slawischen Beziehungen am Ende des 8. Jahrhunderts. In: K.-D. Grothusen u. Klaus Zernack (Hrsg.): Europa Slavica-Europa Orientalis. Festschrift für Herbert Ludat zum 70. Geburtstag. Berlin 1980, S. 87–98, hier S. 87f.; umfassend hierzu schon Richard Wagner: Das Bündnis Karls des Großen mit den Abodriten. In: Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. Bd. 63 (1898), S. 89–129.
  8. Annales regni Francorum 780: ibique omnia disponens tam Saxoniam quam et Sclavos (Und dort regelte er [Karl] alles sowohl in Sachsen als auch unter den Slawen)
  9. Annales Laureshamenses 795: vassum domini.
  10. Christian Hanewinkel: Die politische Bedeutung der Elbslawen im Hinblick auf die Herrschaftsveränderungen im ostfränkischen Reich und in Sachsen von 887 bis 936 – Politische Skizzen zu den östlichen Nachbarn im 9. und 10. Jahrhundert. Dissertation, Münster 2004, S. 54.
  11. Einhard, Vita Karoli, Kapitel 12: Causa belli erat, quod Abodritos, qui cum Francis olim foederati erant, adsidua incursione lacessabant
  12. Annales Einhardi 795: Witzinum regem Abodritorum; Annales Laurehamenses 795: Wizzin regem Abotridarum
  13. Wolfgang H. Fritze: Die Datierung des Geographus Bavarus. In: Ludolf Kuchenbuch, Winfried Schich (Hrsg.): Frühzeit zwischen Ostsee und Donau: Ausgewählte Beiträge zum geschichtlichen Werden im östlichen Mitteleuropa vom 6.bis zum 13.Jahrhundert. Berlin 1982, S. 118; Friedmann: Untersuchungen zur Geschichte des abodritischen Fürstentums bis zum Ende des 10. Jahrhunderts. Duncker & Humblot, Berlin 1986, ISBN 3-428-05886-0, S. 39–48.
  14. Fragmentum chesnii 789: Dragitus et filius eius, et alii reges Witsan, et Drago
  15. Annales Einhardi 795; Annales Laureshammenses 795.
  16. So zum Beispiel Wilhelm Carl Conrad v. Hammerstein-Loxten Der Bardengau. Eine historische Untersuchung über dessen Verhältnisse und über den Güterbesitz der Billunger, Hannover 1869 Seite 365 mit dem zusätzlichen Hinweis auf eine dort belegene Wüstung Witzandorpe
  17. et usque ad fluvium Albim pervenit, ad locum qui dicitur Hliuni, in quo tunc Witzin Abodritorum rex a Saxonibus occisus es

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