Villa Jovis
Die Villa Jovis war eine der zwölf Villen des römischen Kaisers Tiberius auf Capri, wohin er sich in den letzten Jahren seiner Herrschaft zurückgezogen hatte. Sie befindet sich auf der östlichen Spitze Capris direkt an der Steilküste auf dem heute Monte Tibero genannten Berg.
Übersetzt bedeutet der Name „Landhaus des Jupiter“, ein weiterer Name ist „Tiberius-Villa“. Plinius der Ältere bezeichnete den Palast, der im Norden und Osten 300 m steil ins Meer abfällt, auch als „Burg des Tiberius“.
Architektur
Der Palast ist in dem Hang errichtet, der zur Nordostspitze der Insel hinaufführt. So befindet sich die Hauptterrasse im Norden und Osten auf Geländeniveau, im Westen und Süden überragt sie aber den abfallenden Hang bis zu 40 m. Acht Stockwerke dienen hier als Subkonstruktion und beherbergen eine riesige, zentral gelegene Zisterne. In den westlichen Untergeschossen waren die Unterkünfte für das Gesinde untergebracht, im Süden die Thermen und die Verwaltungsräume. Im Geschoss unter der Hauptterrasse lagen die kaiserlichen Privatgemächer. Eine Doppeltreppe führte vom Eingang im untersten Geschoss acht Stockwerke hinauf auf die Hauptterrasse, wo die kaiserlichen Empfangs- und Speisesäle lagen. Insgesamt hat das Gebäude eine überbaute Fläche von 7000 m². Von den Materialien ist wenig erhalten, jedoch waren alle Stockwerke freskiert, der Boden mit Mosaiken ausgelegt und die Hauptterrasse mit verschiedenfarbigem Marmor ausgelegt. An der Nordseite führt ein überdachter Gang zu einem Portikus mit Speiseexedra, von wo aus man einen fantastischen Blick über den Golf von Neapel auf den Vesuv hat.
Neben dem Gebäude befanden sich auf dem Anwesen noch Wälder, Gärten, Nymphäen, ein erhaltener Signalturm für die Kommunikation mit Rom und ein „Leuchtturm“ zur astrologischen Beobachtung. Die Fundamente dieses Turmes sind so gewaltig, dass der Leuchtturm wohl mit dem Weltwunder von Alexandria konkurrieren konnte – Krause schätzt seine Höhe auf ca. 130 m.
Herrscherpalast neuen Typus
Der Palast lehnt sich nicht an die römischen Vorbilder eines Atriumhauses an – auch nicht in der erweiterten Form mit griechischem Peristyl –, sondern Tiberius greift erstmals für ein Wohnhaus allein auf hellenistische Vorbilder zurück, und zwar auf eine Konzeption, die schon von Philipp II. von Makedonien in der Königsresidenz von Aigai verwendet wurde: Um einen quadratischen Peristylhof gruppieren sich Speiseräume unterschiedlicher Größe ohne Raumfolge oder Achsensymmetrie, die dem König erlaubten, mit einer möglichst großen Anzahl seiner philoi („Freunde“) und hetairoi („Gefährten“) zu speisen. Da die Villa keineswegs nur „privater“ Rückzugsraum war, sondern Tiberius als Verwaltungszentrale des Reiches diente, brach er also beim Bau der Villa Jovis nicht nur architektonisch, sondern auch sozialpolitisch mit der römischen Tradition: anstelle allmorgendlicher „öffentlicher“ Kommunikation der Staatselite in Form des gestaffelten Empfangsrituals mit den Senatoren auf dem Palatin pflegte der Kaiser auf Capri „private“ Kommunikation bei abendlichen Festmälern mit persönlich ausgewählten Gästen zu halten – Senatoren, aber auch Personen aus allen anderen Schichten wie beispielsweise griechische Philosophen und Astrologen, Schauspieler und Musiker. Entscheidend ist nicht mehr sozialer Stand, sondern Nähe zum Kaiser. Anstelle des augusteischen Prinzipats und seiner Fiktion einer Gleichrangigkeit aller Senatoren, unter denen der Kaiser als princeps allein durch seine Meriten und seiner dignitas heraussticht, wird in der Villa Jovis der Staatsgedanke der hellenistischen Monarchien zementiert, die Senatoren werden zu – wenn auch prominenten – Untertanen herabgewürdigt. Folglich haben die Senatoren Tiberius nie den Fortzug aus Rom und das Kappen der Kommunikation mit dem Senat als eigenständigem Organ des Staats verziehen – die senatorische Geschichtsschreibung eines Tacitus und (indirekt) Suetons nimmt noch ein Jahrhundert später die diskriminierenden Topoi von sexuellen Ausschweifungen des alternden Kaisers auf Capri mit Lustknaben begierig auf und hat das Bild des Tiberius bis heute geprägt.
Geschichte
Die unwirtliche Insel Capri übte schon auf Kaiser Augustus einen großen Reiz aus. Er tauschte sie gegen das weinreiche Ischia von der Stadt Neapel und errichtete einzelne Gebäude. Kaiser Tiberius residierte hier ab dem Jahr 27 n. Chr. die meiste Zeit des Jahres. Der Kaiser wollte sich aus Rom zurückziehen und doch nah der Reichszentrale sein. Capri bot ihm sichere Abgeschiedenheit (es gibt nur einen kleinen Hafen und kaum Anlandeplätze wegen der schroffen Felsen) und doch Nähe zu Rom (der Kaiser konnte mit Signalfeuer in direktem Kontakt zu seinem Präfekten in Rom stehen und binnen dreier Tage per Schiff dort sein). Vor allem erinnerte Capri ihn an seine Jahre auf Rhodos: Wie dort konnte er sich eine Villa hoch über dem Meer bauen und sich mit Griechen umgeben – der Golf von Neapel war weniger römisch als griechisch geprägt. Die Villa wurde um das Jahr 27 n. Chr. errichtet. Tiberius lebte hier bis zu seinem Tode 37 n.Chr.. Nach Sueton ereignete sich wenige Tage vor Tiberius Tod ein Erdbeben, durch das der „Leuchtturm“ einstürzte.
Unter Kaiser Nero brachte ein weiteres Erdbeben im Jahr 61 n. Chr. Teile des Palastes zum Einsturz – die Subkonstruktionen wurden beim Wiederaufbau verstärkt. Kaiser Commodus schickte 181 n. Chr. seine Ehefrau Bruttia Crispina ins Exil auf Capri. 192 n. Chr. verbannte er auch seine Schwester Lucilla nach Capri. Danach wurde der Palast von den Kaisern vernachlässigt. Im Mittelalter zerfiel er; die Hauptterrasse und ihre Säle wurden abgetragen oder stürzten ein, so dass heute nur noch die Ruinen der Subkonstruktionen zu bewundern sind. Diese erhaltenen Reste sind so imposant, dass die Forscher des 20. Jahrhunderts davon ausgingen, dass der Palast fünf oder maximal sechs Stockwerke hatte. Erst Clemens Krause griff das Konzept eines siebten Geschosses als Hauptterrasse wieder auf (für eine Abbildung dieser Rekonstruktion siehe Weblink). In der Ruine wurde eine kleine Kapelle errichtet, die mit Spolien – u. a. Mosaiken – aus der Villa geschmückt ist.
Literatur
- Carl Weichardt: Das Schloß des Tiberius und andere Römerbauten auf Capri. Leipzig 1900
- Clemens Krause: Villa Jovis. Die Residenz des Tiberius auf Capri. Zabern, Mainz 2003, ISBN 3-8053-3091-X.
- Clemens Krause: Villa Jovis. L’edificio residenziale. Electa Napoli, Neapel 2005, ISBN 88-510-0149-9.
- Dieter Richter: Die Insel Capri. Ein Portrait. Wagenbach, Berlin 2018, ISBN 978-3-8031-2795-2, S. 41–54.
Weblinks
- Archäologisches Institut der Universität Heidelberg: Villa Jovis, Sonderausstellung 2003 (bei archive.org archivierte Version vom 13. Juni 2018)
Koordinaten: 40° 33′ 30″ N, 14° 15′ 44″ O