Schatz des Priamos
Der Schatz des Priamos (auch Gold von Troja oder Priamosschatz) ist ein Depotfund, den Heinrich Schliemann während seiner Ausgrabungen in Troja entdeckte. Er wurde nach dem mythischen trojanischen König Priamos benannt. Der Fund umfasst an die 8000 Gegenstände.
1881 wurde der Schatz von Schliemann dem deutschen Volk geschenkt und ab 1885 im Völkerkundemuseum Berlin, dem späteren Museum für Vor- und Frühgeschichte, verwahrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er als Beutekunst in die Sowjetunion gebracht. Dort wurde sein Aufenthalt geheim gehalten und erst 1993 bestätigt. Der Schatz des Priamos befindet sich noch heute in Russland; in Berlin befindet sich nur eine originalgetreue Nachbildung.
Fund
Den als „Schatz des Priamos“ berühmt gewordenen Depotfund machte Heinrich Schliemann bei Ausgrabungen in Troja am 31. Mai 1873. Der deutsche Archäologe war davon überzeugt, dass sich das antike Troja unter dem Hügel von Hisarlik befindet, und grub dort nach den Überresten der Stadt. Auf der Suche nach einem außergewöhnlichen Fund grub sich Schliemann jedoch durch die Schicht der Stadt hindurch, die der damaligen zeitlichen Zuordnung nach das Troja des Priamos gewesen sein könnte, und stieß im April 1873 stattdessen auf die Überreste einer Stadt, die etwa 2450 v. Chr. einer Brandkatastrophe zum Opfer gefallen war. Schliemann fand zwei große Eingänge einer doppelten Toranlage, eine Steinrampe und Überreste eines Bauwerkes, das er als Palast des Priamos identifizierte.[1]
Einige Wochen später, am 31. Mai, fand Schliemann nach eigenen Angaben an einer Mauer in der Nähe der Toranlage in einer Tiefe von etwa 8,50 Metern ein zerbrochenes Kupfergefäß, hinter dem er Gold entdeckte:
„Hinter der letztern [Mauer] legte ich in 8 bis 9 Meter Tiefe die vom Skaeischen Thor weiter gehende trojanische Ringmauer bloss und stiess beim Weitergraben auf dieser Mauer und unmittelbar neben dem Hause des Priamos auf einen grossen kupfernen Gegenstand höchst merkwürdiger Form, der um so mehr meine Aufmerksamkeit auf sich zog, als ich hinter demselben Gold zu bemerken glaubte. Auf dem kupfernen Gegenstand ruhte eine 1½ bis 1¾ Meter dicke steinfeste Schicht von rother Asche und calcinirten Trümmern, auf welcher die vorerwähnte 1 Meter 80 Centimeter dicke, 6 Meter hohe Festungsmauer lastete, die aus grossen Steinen und Erde bestand und aus der ersten Zeit nach der Zerstörung Trojas stammen muss. Um den Schatz der Habsucht meiner Arbeiter zu entziehen und ihn für die Wissenschaft zu retten, war die allergrösste Eile nöthig, und, obgleich es noch nicht Frühstückszeit war, so liess ich doch sogleich ‚païdos‘ […] ausrufen, und während meine Arbeiter assen und ausruhten, schnitt ich den Schatz mit einem grossen Messer heraus was nicht ohne die allergrösste Kraftanstrengung und die furchtbarste Lebensgefahr möglich war, denn die grosse Festungsmauer, welche ich zu untergraben hatte, drohte jeden Augenblick auf mich einzustürzen. Aber der Anblick so vieler Gegenstände, von denen jeder einzelne einen unermesslichen Werth für die Wissenschaft hat, machte mich tollkühn und ich dachte an keine Gefahr.“
Obwohl Einsturzgefahr bestand, grub er weiter und entdeckte weitere Gegenstände aus Edelmetall. Die Funde wurden von Schliemann in seine Holzhütte gebracht, wo er sie versteckte und ordnete. Zum Teil waren die Gegenstände zusammengebogen und ineinander gesteckt. Unter den Objekten befanden sich ein Schild, ein flacher Kessel, Dolche und Speerspitzen aus Kupfer, ein Kelch, drei Vasen und Messerscheiden aus Silber sowie eine Flasche, ein Becher und zwei kleine Kelche aus Gold. In der größten Silbervase befand sich Goldschmuck, darunter zwei Diademe, ein schmales Stirnband, vier Ohrgehänge, sechs Armreife, 56 Ohrringe und 8750 kleine Knöpfe und Ringe.[3]
Geschichte
Nach dem Fund und Ausstellung in Deutschland
Aus Furcht vor Konfiskation und Aufteilung des Fundes meldete Schliemann ihn nicht den osmanischen Behörden, obwohl er durch die Grabungserlaubnis dazu verpflichtet war. Stattdessen brach er am 17. Juni 1873 die Ausgrabungen ab und brachte den Schatz heimlich über die Grenze nach Athen. Von hier schickte Schliemann an die wichtigen wissenschaftlichen Gesellschaften Europas Depeschen, in denen er seine Entdeckung bekanntgab. Die Hohe Pforte verklagte Schliemann vor einem griechischen Gericht auf die Herausgabe der Hälfte der Funde. Der ein Jahr dauernde Prozess endete mit dem Urteil auf Zahlung von 10.000 Goldfranken durch Schliemann. Kulanzhalber zahlte er jedoch 50.000 Goldfranken an das Kaiserliche Museum in Konstantinopel und trat einige weniger bedeutsame Fundstücke ab.[4]
Ursprünglich plante Schliemann, in Athen auf eigene Kosten ein privates Museum für den Schatz und zukünftige Funde zu errichten, konnte sich jedoch über dafür 1873 eingeforderte umfassende Grabungsrechte für Olympia und Mykene mit der griechischen Regierung nicht einigen, so dass er den Fund Frankreich für den Louvre anbot, welches jedoch ablehnte.[5]
Nachdem Schliemann den Schatz erfolglos auch der Eremitage in St. Petersburg zum Ankauf offeriert hatte,[6] stellte er ihn 1877 bis 1880 im South-Kensington-Museum in London aus, wo seit Jahren ein hohes wissenschaftliches und öffentliches Interesse an der Trojakampagne Schliemanns bestand. Auf Initiative seines Freundes Rudolf Virchow, der 1879 an Troja-Ausgrabungen Schliemanns persönlich teilnahm, schenkte Heinrich Schliemann schließlich den Fund 1881 „dem Deutschen Volke zu ewigem Besitze und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt“. Gleichzeitig wurde er Ehrenmitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und erhielt die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin. Kaiser Wilhelm I. bedankte sich in einem persönlichen Brief an Schliemann und entschied, dass der Schatz des Priamos im gerade im Bau befindlichen Museum für Völkerkunde Berlin ständig ausgestellt werden solle.[7]
Im Dezember 1880 baute Schliemann seine Troja-Funde im Londoner South-Kensington-Museum, wo sie sich als Leihgabe befanden, ab und überführte sie nach Berlin. 1881 stellte er sie in zwei Sälen des neuerrichteten Kunstgewerbemuseums, dem heutigen Martin-Gropius-Bau in der Prinz-Albrecht-Straße, auf, wo sie im Februar 1882 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Noch im gleichen Jahr führte Schliemann der Sammlung weitere Funde zu. 1885 übersiedelte er sie wie vorgesehen endgültig in die prähistorische Abteilung des Museums für Völkerkunde. Ihren Bestand bereicherte Schliemann 1886 durch den Rückkauf der vertragsgemäß an die Türkei gefallenen Fundanteile aus Troja, die er wiederum selbst aufstellte, und 1887 durch die Schenkung ägyptischer Altertümer. Kraft testamentarischer Verfügung Schliemanns überwies seine Witwe Sophia Schliemann 1891 noch in ihrem Hause in Athen befindliche Bestände und 1893/1894 wurden von der Direktion des Ottomanischen Museums Funde zugeführt, mit denen die Berliner Schliemann-Sammlung ihren endgültigen Umfang erhielt. Bis 1895 war sie in der Aufstellungsordnung des Ausgräbers zu sehen. 1896–1900 wurde sie von Hubert Schmidt (1864–1933), der 1893/1894 bei abschließenden Grabungen in Troja unter Leitung von Wilhelm Dörpfeld mitgewirkt hatte, katalogisiert und neu aufgestellt.[8] So verblieb die Sammlung in den Schliemann-Sälen in einem Seitenflügel des Völkerkundemuseums Berlin bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939.
Im Zweiten Weltkrieg
Als im Jahr 1939 der Kriegsausbruch absehbar war, wurden die Berliner Museen angewiesen, ihre Bestände in Sicherheit zu bringen. So wurden auch die Ausstellungsstücke der Prähistorischen Abteilung des Völkerkundemuseums zur Sicherheit in den Keller gebracht. Der Schatz des Priamos wurde dabei mit anderen für unersetzlich gehaltenen Edelmetall-Objekten in drei koffergroßen Holzkisten mit Inventarlisten gelagert. Die Kisten wurden im Januar 1941 zum Schutz vor Luftangriffen in den unterirdisch gelegenen Tresor der Preußischen Staatsbank verlegt. Ende 1941 folgte eine weitere Verlegung in den Flakturm am Tiergarten, wo dem Museum zwei Räume zur Aufbewahrung der Kunstwerke zugeteilt worden waren. Dort blieb der Schatzfund bis zum Kriegsende, obwohl im März 1945 ein Führerbefehl erging, die Kunstschätze aus Berlin heraus in den Westen zu transportieren, um sie russischem Zugriff zu entziehen. Der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Wilhelm Unverzagt, widersetzte sich diesem Befehl teilweise und hielt die drei Kisten zurück.[9] Er blieb bei den Kisten, bis die Rote Armee Berlin eingenommen und den Flakturm besetzt hatte und der Stadtkommandant Berlins, Nikolai Erastowitsch Bersarin, dem Direktor bei einer Besichtigung des Turms zusicherte, dass der Schatz in Sicherheit gebracht werden würde.
Beutekunst
Wilhelm Unverzagt bereitete mit zwei seiner Mitarbeiter die Kunstschätze im Flakturm für den Abtransport vor, und ab dem 13. Mai wurden diese dann mit Lastwagen abtransportiert. Das Gold von Troja wurde schließlich am 26. Mai abgeholt, nachdem Unverzagt dieses nur einer hohen sowjetischen Persönlichkeit übergeben wollte. Der Gruppe, die daraufhin erschienen war, gehörten unter anderem der Kunsthistoriker Wiktor Lasarew (1896–1976) und der stellvertretende Leiter des für den Abtransport der Kunstwerke zuständigen Kunstkomitees, Andrei Konstantinow, an.[10] Am 30. Juni 1945 kam der Schatz des Priamos mit dem ersten Beutekunst-Flug aus Berlin auf dem Flughafen Wnukowo bei Moskau an und wurde am 10. Juli in das Puschkin-Museum gebracht.[11] Dort wurde der Schatz des Priamos verwahrt und sein dortiger Aufenthalt geheim gehalten. So wurde er allgemein für verschollen oder zerstört gehalten.
Erst im September 1987 wurde die Existenz des Schliemann-Goldes in der Sowjetunion wieder bekannt, als Grigori Koslow im Kulturministerium einige Akten untersuchte, die vernichtet werden sollten. Unter ihnen entdeckte er ein Dokument „Einzigartige Objekte aus dem ‚Großen Schatz von Troja‘, Berlin, Völkerkundemuseum“, das von der damaligen Oberkustodin des Puschkin-Museums, Nora Eliasberg, unterzeichnet worden war.[12] Damit war belegt, dass der Schatz des Priamos noch existierte und sich im Puschkin-Museum befinden musste. Auf erste Veröffentlichungen zu den Geheimdepots mit Beutekunst reagierte Irina Antonowa, die Leiterin des Puschkin-Museums, ungehalten und rechtfertigte das Zurückhalten der Information. Im Oktober 1991 behauptete Kulturminister Nikolai Gubenko auf einer Pressekonferenz, er wisse nicht, wo sich Schliemanns Gold befinde, und deutete stattdessen an, dass der Schatz womöglich im Besitz der westlichen Alliierten sei. Koslow ließ Freunde, die sich in Archivarbeit auskannten, weiter im Zentralarchiv für Literatur und Kunst über das trojanische Gold recherchieren und einer von ihnen fand alle zugehörigen Dokumente.[13] Einige davon wurden in einer Ausgabe der Zeitschrift ARTnews publiziert. Offiziell wurde der Verbleib des Schatzes in Russland jedoch weiter bestritten.
Nach der Wiederentdeckung
Am 26. Oktober 1994 zeigte Irina Antonowa zusammen mit Wladimir Tolstikow, dem Leiter der archäologischen Abteilung des Puschkin-Museums, vier Museumsvertretern aus Berlin, unter ihnen Klaus Goldmann, der 25 Jahre nach dem Goldschatz von Troja gesucht hatte, in ihrem Büro einige Goldgefäße aus dem Fund vor einer Kamera des russischen Fernsehens. Danach führte Tolstikow die Deutschen in einen Raum unter dem Dach, wo ihnen die Tabletts mit den gesamten Stücken des Goldschatzes gezeigt wurden.[14]
Die Rückgabe des Schatzes wurde von russischer Seite in der Folge wiederholt abgelehnt. Jedoch wurde er wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So gab es 1996 in Moskau eine große Schliemann-Ausstellung, in deren Rahmen er präsentiert wurde.[15] Seitdem wird der Schatz des Priamos in der ständigen Sammlung des Puschkin-Museums gezeigt. Die Türkei bemüht sich inzwischen um eine Rückkehr des Schatzes nach Troja.[16][17]
Im Schliemann-Saal des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin, der sich im Gebäude Neues Museum befindet, sind seit 2009 wichtige Teile des Schatzes als Kopie sowie die wenigen von der Sowjetunion an die DDR sowie von Russland 1992 an Deutschland zurückgegebenen Teile[18] im Original ausgestellt, beispielsweise Silbergeschirr einschließlich der großen Silbervase (im Bild die oberste), in der Schliemann den aus Goldschmuck bestehenden Hauptschatz fand.
Literatur
- Irina Antonova, Vladimir Tolstikov, Mikhail Treister: The Gold of Troy. Searching for Homer's Fabled City. Thames & Hudson Ltd, London 1996, ISBN 0-500-01717-4.
- Konstantin Akinscha, Grigori Koslow: Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995, ISBN 3-423-30526-6.
- Kultur-Ministerium der Russischen Föderation, Staatliches Puschkin-Museum für Bildende Künste: Der Schatz aus Troja. Die Ausgrabungen von Heinrich Schliemann. Leonardo Arte, Mailand 1996, ISBN 88-7813-707-3, (Ausstellungskatalog, Moskau, Puschkin-Museum 16. April 1996 – 15. April 1997).
Weblinks
- Schliemanns Ausgrabungsbericht in der digitalen Bibliothek auf digi.ub.uni-heidelberg.de
- Beutekunst-Datenbank der Humboldt-Universität Berlin
- Das Gold von Troja - Schliemann und der Schatz des Priamos. Dokumentation. ZDFinfo, abgerufen am 4. Februar 2022 (Synchronfassung ZDF 2021. Ein Film von Vivien Floris und Gokce Ozer. Unter Mitwirkung von Ernst Pernicka, Rüstem Aslan, Caroline Moorehead, David A. Traill, Vladimir P. Tolstikov und Konstantin Akinsha).
Einzelnachweise
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 20.
- ↑ Bericht über die Ausgrabungen in Troja. (JPEG) Universitätsbibliothek Heidelberg, 21. August 2011, S. 289 ff., abgerufen am 21. August 2011 (Grabungsbericht vom 17. Juni 1873).
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 20 f.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 22.
- ↑ Alfred Brueckner: Schliemann, Heinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 55, Duncker & Humblot, Leipzig 1910, S. 179.
- ↑ Heinrich Schliemann nach hundert Jahren: Symposion in der Werner-Reimers-Stiftung Bad Homburg in Dezember 1989. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt a. M. 1990, S. 382.
- ↑ Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger vom 7. Februar 1881.
- ↑ Reimer Hansen, Wolfgang Ribbe, Willi Paul Adams: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Verlag de Gruyter, Berlin 1992. S. 108.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 23.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 98.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 59 f.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 18.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 287.
- ↑ K. Akinscha, G. Koslow: Beutekunst, S. 303.
- ↑ Dieter Bartetzko: Die schönste Sage der modernen Wissenschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 63/2007, 15. März 2007, S. 33. Zugriff am 26. September 2009.
- ↑ Türkei will den Schatz des Priamos: Kulturminister kündigt Kontakte mit Russland an. AFP-Meldung auf welt.de, 5. September 2012.
- ↑ Der Schatz des Priamos: Türkei will Troja-Gold zurück. Bei n-tv, 5. September 2012
- ↑ Peter Dittmar: Der Silberschatz des Priamos kurz in Berlin. In: Die Welt, 23. April 2009