Priscillian

Priscillian (lateinisch Priscillianus, deutsch auch Priszillian; * um 340 wahrscheinlich in der Provinz Lusitania[1]; † 385 in Augusta Treverorum[2]) war ein Theologe aus der römischen Provinz Hispana Tarraconensis und Bischof von Ávila. Er gründete eine religiöse Bewegung, die eine strenge Askese für Priester und Laien, eine Erneuerung der Kirche durch den Heiligen Geist, die Abschaffung der Sklaverei und die Gleichstellung der Geschlechter befürwortete. Als angebliche Häretiker verurteilt – wohl auch aus politischen Gründen – waren Priscillian und einige seiner Anhänger die ersten Christen, die von anderen Christen wegen Ketzerei mit dem Tode bestraft wurden. Seine Bewegung bestand in Hispanien und Gallien trotz strenger Verfolgung bis nach der Mitte des 6. Jahrhunderts fort, in Galicien sogar bis ins 7. Jahrhundert hinein.

Leben

Priscillian war ein reicher Laie aus einer vornehmen Familie, der sein Leben dem Studium gewidmet hatte. Als asketischer Mystiker betrachtete er das christliche Leben als ständiges Gespräch mit Gott. Ein Zitat des Apostels Paulus „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ (1 Kor 6,19a EU) wurde zum Leitgedanken seiner Theologie, die neben dem christlichen Glauben und den Werken der Liebe den Verzicht auf die Ehe und irdische Ehren sowie eine strenge Askese forderte, damit der Mensch Wohnung Gottes werden könne. Es war zum einen die Frage der Enthaltsamkeit in der Ehe, wenn nicht gar der Ehelosigkeit, weswegen er in Konflikt mit dem Klerus Nordspaniens und Südgalliens geriet, zum anderen die Bedrohung der Autorität der Kirche, die sein Einfluss und die wachsende Zahl seiner Anhänger darstellten.

Es ist nicht immer möglich, Priscillians eigene Aussagen von denen zu trennen, die ihm von seinen Gegnern zugeschrieben werden, und auch nicht von denen, die die Gruppen, die „Priscillianisten“ genannt wurden, später entwickelten. Priscillianisches Gedankengut hatte Einfluss auf spätere mystische Gemeinschaften in Nordspanien und Südfrankreich, die von der katholischen Kirche als häretisch betrachtet wurden.

Lehre

Einige Schriften Priscillians wurden verboten und verbrannt, andere wurden als „orthodox“ anerkannt. Er teilte zum Beispiel die Paulinischen Briefe (den Hebräerbrief eingeschlossen) in Textabschnitte gemäß ihren theologischen Inhalten und schrieb zu jedem Abschnitt eine Einleitung. Diese Version des Corpus Paulinum überdauerte in Form der Ausgabe des Peregrinus (Vinzenz von Lerinum). Diese Briefe enthalten die Forderung nach einem Leben in persönlicher Frömmigkeit und Askese, einschließlich Ehelosigkeit und strikter Abstinenz vom Fleisch- und Weingenuss. Sklaverei sei von Jesus von Nazaret abgeschafft, die Gleichstellung der Geschlechter geboten worden. Dies waren Gedanken, die sich im spätantiken Christentum nicht allgemein durchsetzen konnten.

Nach Hans Lietzmann ist Priscillian der Verfasser einer Anzahl von Traktaten.[3] Eine Zusammenstellung 92 Canones stelle die paulinischen Leitgedanken dar, die für ihn zu einem asketischen Radikalismus führte. Die Gliederung der Briefe in durchlaufende Abschnitte sei auch heute noch erhalten. Priscillian habe Cyprian und Hilarius gelesen, diese aber nicht theologisch reflektiert.

Priscillian und seine Anhänger nahmen Frauen gleichberechtigt auf, die als spiritales und abstinentes organisiert wurden, wie bei den Katharern in späterer Zeit, und wiesen damit die damals bereits dominante kirchliche Lehre zurück, die Frauen unter Verweis auf Eva für schwach und den Männern untergeordnet hielt. Das Studium der Heiligen Schrift war laut Priscillian für Christen verbindlich. Er legte dabei beachtliches Gewicht auf Schriften, die heute zu den Apokryphen gezählt werden. Priscillian lebte offenbar konsistent nach seiner eigenen Lehre, denn es schlossen sich früh mindestens zwei Bischöfe, Instantius und Salvian, seiner Gemeinschaft an, beeindruckt von seiner Lebensweise. Später kam Hyginus von Cordoba hinzu, und Symposius von Astorga stand der Bewegung zumindest wohlwollend gegenüber.

Der Streit um Priscillian

Die Vorwürfe der „Zauberei“ und „unzüchtiger Orgien“ waren im Hinblick auf Priscillians Lehren im Grunde absurd, gehörten aber zum üblichen Repertoire innerchristlicher Streitigkeiten. Anders war es mit dem von ihm (angeblich) vertretenen und von der Kirche verurteilten gnostischen Dualismus. Zudem fühlten sich viele Bischöfe, die seit der Christianisierung des Imperiums immer öfter aus der Oberschicht stammten und ein aristokratisches Leben führten, offensichtlich durch die asketische Lebensweise der Priscillianer provoziert. Die Vorwürfe beruhten auf Anklagen, die Bischof Ydacius von Merida vorbrachte. Die Beschlüsse der Synode von Saragossa (Caesarea Augusta) vom 4. Oktober 380 sind erhalten. Unter den weniger bekannten von Priscillians Freunden waren zwei Bischöfe, Instantius und Salvianus, sowie Hyginus von Cordoba; sie und andere führenden Anhänger Priscillians wurden im Oktober 380 vor die Synode der hispanischen und aquitanischen Bischöfe in Saragossa geladen und dort auf Betreiben des Ithacius von Ossonoba exkommuniziert, als sie dort nicht erschienen.

Nachdem Priscillian zum Bischof von Ávila gewählt worden war, erhob Bischof Ithacius von Ossonoba auch gegen ihn selbst Anklage wegen Ketzerei und häretischer Gräuel. Die Ankläger Priscillians waren allerdings schlecht beleumundet. Ithacius wurde (so Lietzmann) als „schamloser und sittlich verkommener Schwätzer bezeichnet“. Ydacius wurde wegen seines verschwenderischen Lebenswandels von seinem eigenen Presbyterium angeklagt. Dennoch wurden die priscillianischen Bischöfe von römischen Provinzialbeamten auf Grundlage des Manichäerediktes Kaiser Gratians aus ihren Ämtern entfernt und zogen nach Italien, um bei Damasus und Ambrosius von Mailand Unterstützung zu suchen. Diese wurde ihnen aber nicht gewährt; vielmehr stellte sich insbesondere der Aristokrat Ambrosius gegen Priscillians asketische Lehre. In Macedonius, Gratians magister officiorum, fanden Priscillian und seine Anhänger allerdings einen mächtigen Unterstützer, der die staatlichen Maßnahmen gegen sie annullierte, so dass sie wieder in ihre Ämter zurückkehren konnten und Ithacius sogar wegen des Vorwurfs der Störung des Kirchenfriedens nach Gallien fliehen musste, von wo er weiter seinen Kampf gegen Priscillian führte.

Nach der Ermordung Gratians und der Machtergreifung des Usurpators Magnus Maximus im Jahr 383 wendete sich wieder das Blatt. Da Priscillian aufgrund seiner Beziehung zu Macedonius als Parteigänger des gestürzten Kaisers denunziert werden konnte, erkannten seine innerkirchlichen Feinde ihre Chance, und eine neue Untersuchung gegen Priscillian wurde auf der Synode in Bordeaux angeordnet. Priscillian entzog sich dem Verfahren und appellierte direkt an Maximus, der zu dieser Zeit vom Ostkaiser Theodosius I. vorläufig anerkannt wurde. Das Verfahren wurde in Trier fortgesetzt, wo Maximus residierte. Es wurde von Hydatius von Emeritia, Rufus von Metz und Britto von Trier gegen Priscillian Anklage wegen Manichäismus und Ketzerei erhoben.[4] (Gegen Hieronymus wurden wegen seiner Gespräche zu den sordes nuptiarum ähnliche Vorwürfe erhoben, woraufhin er sich nach Betlehem zurückzog, um einer Verurteilung zu entgehen.)

Sulpicius Severus aus ärmlichen Verhältnissen stammend, erwarb später bei Martin von Tours, dem Bischof von Tours und Paulinus von Nola großes Ansehen. Severus ging der Tätigkeit eines Advokaten nach, heiratete in eine konsularische Familie ein und wandte sich nach dem Tod seiner Ehefrau einem Leben als Mönch zu. Sein Denken wurde vor allem von Martin von Tours geprägt. Bei dem Verfahren, welches Magnus Maximus gegen Priscillian und seine Anhänger führte, stellte er sich, vermutlich beeinflusst durch Martin, auf die Seite des Priscillian. Martin von Tours setzte sich zunächst erfolgreich für die Angeklagten ein, dann aber kam es in Abwesenheit von Martin von Tours zu den folgenschweren Todesurteilen, die 385 vollstreckt wurden – dies war das erste Mal, dass christliche Kleriker auf Drängen anderer Christen hingerichtet wurden. Die nun folgende Anwendung des theodosianischen Gesetzes gegen Häretiker wurde von der Synode von Trier im selben Jahr genehmigt; damit waren einer staatlichen Verfolgung der Priscillianer Tür und Tor geöffnet. Ambrosius von Mailand und Martin von Tours sollen allerdings dafür gesorgt haben, dass sich die Verfolgung in Grenzen hielt.

Teilweise wird in der Forschung die Meinung vertreten, die von Ambrosius, Martin und Papst Siricius erhobenen starken Proteste gegen die Hinrichtung ihres innerkirchlichen Gegners Priscillian richteten sich in erster Linie nur gegen den dadurch geschaffenen Präzedenzfall, dass ein innerkirchlicher Fall nicht nur vor einem weltlichen Tribunal verhandelt (dies war auch früher vorgekommen) wurde, sondern dass die Angeklagten nach dem Schuldspruch wie Straftäter abgeurteilt wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt war die höchste Kirchenstrafe maximal die Exkommunikation gewesen; fortan drohten „Häretikern“ Folter und Tod.

Die Lehre Priscillians nach seinem Tode

Ungeachtet der harten Maßnahmen, die gegen sie ergriffen wurde, breitete sich die angebliche Häresie in Spanien und Gallien weiter aus, wobei nicht immer klar ist, ob bestimmte Personen mit Recht als Priscillianer bezeichnet wurden. Im Jahr 412 wurden Lazarus, Bischof von Aix-en-Provence und Herod, Bischof von Arles, unter der Anklage des Manichäismus bzw. Priscillianismus abgesetzt. Proculus, der Metropolit von Marseille und die Metropoliten von Vienne und Narbonensis II sollen ebenfalls zu den Anhängern der Lehre, wegen der Priscillian hingerichtet worden war, gezählt haben.

Jahrzehnte später wurden zwei Synoden abgehalten, um den Priscillianismus zu bekämpfen; die eine 446 von Turibius von Astorga, die andere 447 in Toledo. Erneut wurde die Lehre des Priscillian durch die zweite Synode von Braga 563 zur Häresie erklärt, ein Indiz dafür, dass die priscillianische Häresie auch unter den Westgoten noch lange existierte.

Die lang vorherrschende Beurteilung Priscillians als Häretiker und Manichäer stützte sich auf Augustinus von Hippo, Turibius von Astorga, Leo den Großen und Paulus Orosius, der ein Fragment eines Briefs von Priscillian zitierte, obwohl sich auf dem Konzil von Toledo im Jahr 400, als sein Fall mit dem Toletanischen Glaubensbekenntnis wieder aufgerollt wurde, herausstellte, dass der schwerste Vorwurf gegen ihn auf einem sprachlichen Missverständnis beruhte: Er war u. a. verurteilt worden, weil er das Wort innascibilis (etwa „nicht erzeugbar“) in einem bestimmten Zusammenhang angewandt hatte; dieser Kontext war aber nicht berücksichtigt worden. Dennoch sagten sich eine Reihe priscillianistischer Bischöfe unter Druck von ihm los, um die kirchliche Einheit nicht zu gefährden.

Die Forschung ging lange davon aus, dass alle Schriften von Priscillian verschwunden seien, bis 1885 Georg Schepss in Würzburg elf originale Schriften entdeckte, die danach im Vienna Corpus veröffentlicht wurden. Obwohl sie Priscillians Namen tragen, können sie auch von einem seiner Anhänger geschrieben worden sein. „Sie enthalten nichts, was nicht orthodox oder Gemeinplatz ist, nichts, das Hieronymus nicht auch geschrieben haben könnte.“ Schepps ging also davon aus, dass Priscillian in Wahrheit kein Häretiker gewesen sei, und schrieb ferner, den Akt als solchen übertreibend, Priscillian sei daher „der erste Märtyrer, der von der Spanischen Inquisition verbrannt wurde“, gewesen. Interessierte Historiker und die Volkstradition haben auch aufgrund dieses Falles die Schwarze Legende des angeblichen spanischen Fanatismus begründet.

Priscillian wurde besonders in Gallaecia (dem heutigen Nordportugal, Galicien, Asturien und dem Norden der Provinz León) lange als Märtyrer verehrt. Einzelne Forscher behaupten, die im 8. Jahrhundert in der heutigen Jakobsweg-Pilgerstätte Santiago de Compostela gefundenen Reliquien seien in Wahrheit die Gebeine Priscillians. Als weitere mögliche Orte für den Verbleib der Reliquien Priscillians wurden auch Santa Eulalia de Bóveda (Lugo), die Iglesia Románica de San Vicente (Ávila), das Monasterio de San Dictinio (Astorga) und die Iglesia Santa Cruz in Cangas de Onís (Asturien) genannt.[5]

Literatur

Fachlexika

  • Adriaan Breukelaar: Priscillian. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 7, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-048-4, Sp. 952–956.
  • Sylvain Jean Gabriel Sanchez: Priscillianus. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 5, Teil 2, CNRS Éditions, Paris 2012, ISBN 978-2-271-07399-0, S. 1522–1528.
  • Winrich Löhr: Priscillianus/Priscillianisten. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 6, Mohr-Siebeck, Tübingen 2003, Sp. 1668.
  • Jacques Fontaine: Priszillian/Priszillianismus. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 27, de Gruyter, Berlin/New York 1997, ISBN 3-11-015435-8, S. 449–454. (abgerufen über De Gruyter Online)

Monographien

  • Virginia Burrus: The Making of a Heretic: Gender, Authority, and the Priscillianist Controversy. University of California, Berkeley 1995, ISBN 0-520-08997-9 (online)
  • Henry Chadwick: Priscillian of Avila. The Occult and the Charismatic in the Early Church. Clarendon, Oxford 1997, ISBN 0-19-826643-X.
  • Klaus Martin Girardet: Das Schicksal Priszillians und seiner Anhänger 380 in Saragossa, 384 in Bordeaux und 385 in Trier. In: Annuarium Historiae Conciliorum. Band 49 (2020), ISSN 0003-5157, S. 30–57, doi:10.30965/25890433-04901003.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Detlef Liebs: Das Recht der Römer und die Christen. Gesammelte Aufsätze in überarbeiteter Fassung. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-1615-4031-8, S. 186–200, hier S. 186.
  2. Peter Brown: Der Schatz im Himmel. Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Weltreichs. Klett-Cotta, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-608-94849-3, S. 325–332.
  3. Hans Lietzmann: Geschichte der alten Kirche. Band 4: Geschichte der Kirchenväter. 3. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 1961, DNB 453050735.
  4. Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. 3., durchges. und erw. Auflage. C.H.Beck, München 1995, ISBN 3-406-36316-4.
  5. Ralf Pochadt: Priscillians Vermächtnis auf dem Sternenweg. Der Ruf des Sueve. Independent Publishing Platform, Bad Honnef 2017, ISBN 978-1-5374-8845-5.

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