Pincevent
Pincevent ist eine archäologische Fundstätte südlich der Seine im Süden von La Grande-Paroisse, zwischen Moret-sur-Loing und Montereau-Fault-Yonne im Département Seine-et-Marne in Frankreich. Ihre Entdeckung im Jahr 1964 und ihre Ausgrabung unter der Leitung von André Leroi-Gourhan lieferte Überreste eines etwa 14.000 Jahre alten Lagers von Rentierjäger des Magdalénien. Sie führte zu bedeutenden Fortschritten bei der Kenntnis des Magdalénien, das ansonsten eher durch Höhlenfundplätze bekannt wurde.
Zeitliche Abfolge der Entdeckungen
Der Standort Pincevent befindet sich in einer seit 1926 betriebenen Kiesgrube. 1956 wurde dort zufällig ein Gräberfeld aus dem 5. Jahrhundert entdeckt. Zehn oder elf wahrscheinlich neolithische Funde sowie galloromanische Bauten, ein Friedhof und Funde des Magdalénien wurden zwischen 1956 und 1964 zerstört. Isabelle Roux-Rath, Spezialistin für Paläoklimatologie aus Grande-Paroisse, alarmierte das Zentrum für prähistorische Forschung an der Universität Paris, das zunächst im Rahmen von Rettungsgrabungen durch Leroi-Gourhan intervenierte. Angesichts des Interesses und der Ausdehnung des Standorts wurden das Land vom Staat erworben und Schutzmaßnahmen ergriffen. Die Ausgrabungen konnten unter diesen Bedingungen bis 1985 fortgesetzt werden.
Seit 1988 ist die Magdalénien-Fundstelle als Monument historique geschützt.[1]
Durch weitere Ausgrabungen späterer Jahre wurde eine von den vorherigen Schichten abweichende Siedlungsschicht freigelegt, die auf den damaligen Klimawandel (Ende der Eiszeit) hindeutet.
Im Jahr 2011 brachte der Fund eines menschlichen Zahns eine Überraschung für die Archäologen. Danach wurden auch einige menschliche Langknochen-Fragmente an gleicher Stelle identifiziert. Sie gehören zu den ältesten Menschenfunden der Region Île-de-France.[2]
Ergebnisse der Entdeckungen
Der Fundplatz Pincevent liegt am linken Seineufer in der Nähe eines alten Furts, zwischen den Mündungen der Zuflüsse Yonne und Loing. Vor mehr als 14 000 Jahren ließen sich dort im Herbst die Jäger des Magdalénien-Zeitalters nieder. In dieser Jahreszeit führte die Seine sehr wenig Wasser und gab die Ufer frei für das Aufsammeln von Rohmaterialien für ihre Siedlungen, unter anderem Flusskieselsteine zum Behauen als Werkzeug, Steine für den Bau der Feuerstellen und Holz als Brennstoff.[2]
Der Hauptgrund jedoch, weshalb die Menschen jedes Jahr an genau diesen Ort kamen, war die Herbstwanderung von Rentierherden, die dort den Fluss überquerten und zur leichten Beute wurden. Durch die zahlreichen Knochenreste konnte bestimmt werden, dass die Rentiere nur in einem kurzen Zeitraum von nicht mehr als einigen Wochen erlegt wurden. Zusätzlich zum Fleisch, Fett und Knochenmark lieferten die Rentiere das Rohmaterial zur Ausrüstung der Haushalte über den Winter. Dazu gehörten Felle, Nadeln und Stanzen aus Knochenteilen, Fäden aus Sehnen zum Nähen, sowie Stäbe aus Geweih zur Herstellung von Speerspitzen.
Die räumliche Anordnung der gefundenen Steinartefakte und Feuerstellen waren im Schutze eines vom Seine-Hochwasser gebildeten feinen Schluffs außerordentlich gut erhalten. Untersuchungen ergaben, dass es sich um runde Tätigkeitsbereiche handelt, die wahrscheinlich als Unterkunft dienten. Daraus entstand die Hypothese, dass die Bewohner damals in zusammenlegbaren, von Fellen belegten runden Zelten lebten, ähnlich der von Indianern Nordamerikas bekannten Tipi-Zelte. Durch eine systematische Zuordnung der einzelnen Steinartefakte, gemäß einem 3-D-Puzzle, zu einem originellen Steinblock konnte nachgewiesen werden, dass einige erfahrene Steinhauer am Werk waren, während andere noch einen Lernprozess durchmachten.[3] Die gefundenen Rentierknochen deuten darauf hin, dass ganze Tiere zur Siedlung gebracht und dann auf die verschiedenen Wohnstätten aufgeteilt wurden.
Durch weitere Ausgrabungen der vergangenen Jahre wurde eine von den vorherigen Schichten abweichende Siedlungsschicht freigelegt, die einem anderen Zeitraum zuzuordnen ist. Dieser betrifft eine Periode, in welcher die Menschen des Magdalénien sich im oberen Bereich von Pincevent niederließen und dann das ganze Jahr über Rentiere, aber auch Pferde erlegten. Die große Anzahl der dort gefundenen Haushaltsartefakte und Speerspitzen deuten darauf hin, dass die Jäger dort länger vor Ort verweilten. Diese neue Art des Siedlungsverhaltens ist wahrscheinlich auf die Anzeichen des damaligen Klimawandels (Ende der letzten Eiszeit) zurückzuführen.[2]
Im Laufe des Jahres 2011 brachte der Fund eines menschlichen Zahns eine Überraschung für die Archäologen. Es handelte sich um einen ca. 14.000 Jahre alten Oberkiefer-Prämolaren, der in einem Abfallbereich unter Pferdeknochen gefunden wurde.[2]
Danach wurden auch einige menschliche Langknochen-Fragmente an gleicher Stelle identifiziert. Es handelt sich um die ersten Knochen von Menschen, die seit Beginn der Ausgrabungen im Jahre 1964 in Pincevent gefunden wurden. Sie gehören zu den ältesten Menschenfunden der Region Île-de-France.[2]
Ausgrabungs-Methodologie
Der Fundplatz Pincevent hat ebenfalls eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Verbesserung der Methodologie bei prähistorischen Funden gespielt. In Anlehnung an die bereits von Georges Laplace et Louis Méroc im Bereich der Pyrenäen eingesetzten Ausgrabungsmethoden, hat André Leroi-Gourhan für Pincevent besonders sorgfältige Freilegungs- und Reinigungsverfahren eingeführt, inklusive der systematischen Erfassung aller Objekte, Spuren und Makro- wie Mikrostrukturen, mit dem Ziel, sie präzise in einem dreidimensionalen Raum zu positionieren.
Durch die so erfolgte Analyse von mehreren Zehntausend Steinartefakten sowie Holz- und Knochenfragmenten, die auf verschiedenen Ebenen verteilt waren, konnte André Leroi-Gourhan und sein Team das Wohnumfeld und das Alltagsleben der Menschen rekonstruieren, die in der Magdalénien-Steinzeit Rentiere jagten. Trotz ihrer Nähe zur Seine scheinen die Siedler keinen Fischfang betrieben zu haben.[2]
Dieses in Pincevent weiterentwickelte Verfahren der Freilegung prähistorischer Fundplätze diente als Vorbild für viele andere Ausgrabungsstätten, wie zum Beispiel für den ungefähr zur gleichen Zeit entdeckten Magdalénien-Fundplatz Gönnersdorf im Rheintal.
Literatur (Auswahl)
- André Leroi-Gourhan und Michel Brézillon: L’habitation magdalénienne n° 1 de Pincevent près Monterau (Seine-et-Marne). In: Gallia Préhistoire, Bd. 9-2 (1966), S. 263–385. doi:10.3406/galip.1966.1264.
- André Leroi-Gourhan: Fouilles de Pincevent. Essai d’analyse ethnographique d’un habitat magdalénien (la section 36). (= Gallia Préhistoire, Supplement 7). 2 Bd., Éditions du CNRS, Paris 1972.
- André Leroi-Gourhan: Pincevent. Campement magdalénien de chasseurs de rennes. (= Guides archéologiques de la France, Bd. 3). Ministère de la culture, Paris 1984, ISBN 2-11-080823-3.
- Pierre Bodu et al. (Hrsg.): Un dernier hiver à Pincevent: les Magdaléniens du niveau IV0 (Pincevent, La Grande Paroisse, Seine-et-Marne). In: Gallia Préhistoire, Bd. 48 (2006), S. 1–180. doi:10.3406/galip.2006.2426.
- Michèle Julien und Claudine Karlin (Hrsg.): Un automne à Pincevent. Le campement magdalénien du niveau IV20. Société préhistorique française, Paris 2014, ISBN 2-913745-53-9. (online Teil 1, online Teil 2)
Weblinks
Belege
- ↑ Gisement archéologique de Pincevent in der Base Mérimée des französischen Kulturministeriums (französisch)
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Pincevent, un campement de chasseurs de rennes. Abgerufen am 27. Januar 2021 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
- ↑ Claudine Karlin & Michèle Julien: An autumn at Pincevent (Seine-et-Marne, France): refitting for an ethnographic approach of a Magdalenian settlement. 5. Juli 2019, abgerufen am 27. Januar 2021 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
Koordinaten: 48° 22′ 4,8″ N, 2° 53′ 35,5″ O