Liste der Flüsse im Lied Grímnismál

In der nordischen Mythologie wird im Lied Grímnismál ein Katalog von etwa vierzig Flüssen genannt, den Snorri Sturluson in seiner Prosa-Edda an zwei Stellen teilweise wiederholt. Zum einen bezeichnet er elf dieser Flüsse als Élivágar, das sind für ihn die Flüsse der Vorzeit. Zum anderen listet er 25 der Namen im gleichen Zusammenhang wie das Lied Grímnismál auf. Einige dieser Flüsse werden auch durch die Þulur überliefert.

Der Flussnamenkatalog stellt die Forschung vor einige Rätsel. Nur vier der Flüsse werden noch an anderen Stellen der nordischen Mythologie erwähnt. Zwei von ihnen gehen auf irdische Flüsse zurück (Dwina, Rhein). Mit mäßigem Erfolg hat man versucht, die restlichen Namen mit irdischen Flüssen in Norwegen, Schweden, Dänemark und England in Verbindung zu bringen.[1] Möglicherweise gehen viele der Namen auch gar nicht auf Flüsse der nordischen Mythologie zurück, sondern wurden aus mnemotechnischen Gründen erfunden, um bessere Merkreihen zu erhalten.[2]

Legende der Abkürzungen

In der Liste werden die Fundstellen in der nordischen Mythologie mit folgenden Abkürzungen bezeichnet:

Liste der Flussnamen

Nr. Name
(altnordisch)
Name
(deutsch)
Bedeutung
(Gurevic, Simek)
Nr. in
Grm 27-29
Nr. in
Gyl 4
Nr. in
Gyl 39
Þulur Anmerkungen
1 Eikin Eikin die Wütende 4 4 X Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
2 Fimbulþul Fimbulthul die laut Brausende? mächtiger Wind? mächtiger Redner? 8 4 8 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27). Fimbulthulr „mächtiger Redner“ ist auch ein Beiname von Odin (Hav 80, 142).
3 Fjǫrm Fjörm die Eilige, die Eilende 7 3 7 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
4 Geirvimull Geirwimull die von Speeren wimmelnde, von Speeren sprudelnder Fluss 14 12 Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27). Der Name erinnert an Flüsse der christlichen Visionsliteratur, die ebenfalls Waffen führen, vergleiche auch Slíðr (Nr. 25, Vsp 36) und Saxo Grammaticus: Gesta Danorum, 1,31.[3]
5 Gipul Gipul die Brausende? die Klaffende? 11 9 Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
6 Gjǫll Gjöll Lärm (die Lärmende) 36 11 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt sodann an Midgard vorbei und stürzt anschließend hinab zur Welt der Hel (Grm 28). Er ist dabei der Fluss, der dem Totenreich am nächsten kommt (Gyl 4). Die Toten müssen ihn überqueren, in dem sie über die Brücke Gjallarbrú gehen, die von der Riesin Modgudr bewacht wird (Gyl 47). Gjöll entspricht somit dem Styx in der griechischen Mythologie.
7 Gǫmul Gömul die Alte 13 11 X Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
8 Gǫpul Göpul die Tosende? die Klaffende? 12 10 Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
9 Gráð Grad die Gierige? die Bö? 19 17
10 Gunnþorin, Gunnþráin Gunthorin, Gunnthrain die Kampfeslustige 20 18
11 Gunnþró, Gunnþrá Gunthro, Gunnthra Gunnthro: Kampfrinne; Gunnthra: die Kampfeslustige 6 2 6 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
12 Hǫll Höll die abwärts Fließende? die Glatte? die Trügerische? 18 16
13 Hríð Hrid Unwetter (die Stürmische) 29 6 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5).
14 Hrǫnn Hrönn die Welle 27 22 Hrǫnn heißt auch eine der 9 Mütter Heimdalls (Skm 76).
15a Kerlaug Kerlaug Wannenbad 40 X Die zwei Kerlaugar gehören zu den Flüssen, die Thor jeden Tag durchwaten muss, um zum Richtplatz der Götter bei Yggdrasil zu gelangen, da die Asenbrücke Bifröst ganz in Flammen steht und die heiligen Wasser (der Flüsse?) zum Sieden bringt (Grm 29).
15b Kerlaug Kerlaug Wannenbad 41 X
16 Kǫrmt Körmt die Schützende? 38 Kǫrmt gehört zu den Flüssen, die Thor jeden Tag durchwaten muss, um zum Richtplatz der Götter bei Yggdrasil zu gelangen, da die Asenbrücke Bifröst ganz in Flammen steht und die heiligen Wasser (der Flüsse?) zum Sieden bringt (Grm 29). Aufgrund dieser Ortsangabe könnte der Fluss Teil der Ostgrenze Midgards gegenüber Jötunheim sein.[4]
17 Leiptr Leipt(r) Blitz (die Blitzende) 37 10 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt sodann an Midgard vorbei und stürzt anschließend hinab zur Welt der Hel (Grm 28). Sein „leuchtendes Wasser“ wird von Sigrun zur Bekräftigung eines Fluchs angerufen (HH II 31).
18 Nǫnn Nönn die Schnelle, die Starke 26 21
19 Nǫt Nöt die Feuchte 25 20
20 Nyt Nyt Nutzen (die Nützliche) 24 19 X
21 Ǫrmt Örmt die sich in Arme teilende? 39 Ǫrmt gehört zu den Flüssen, die Thor jeden Tag durchwaten muss, um zum Richtplatz der Götter bei Yggdrasil zu gelangen, da die Asenbrücke Bifröst ganz in Flammen steht und die heiligen Wasser (der Flüsse?) zum Sieden bringt (Grm 29). Aufgrund dieser Ortsangabe könnte der Fluss Teil der Ostgrenze Midgards gegenüber Jötunheim sein.[5]
22 Rennandi Rennandi die Laufende 10 X Ein Fluss an der Grenze von Asgard (Grm 27).
23 Rín Rin der Rhein 9 Ein Fluss an der Grenze von Asgard (Grm 27). Rín ist der nordische Name des Rheins.
24 Síð Sid die Langsame 1 1 X Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
25 Slíðr Slid(r) die Schreckliche, die Gefährliche 28 5 Er strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Dann fließt er von Osten kommend „mit Messern und Schwertern durch Gifttäler.“ (Vsp 36). Der Name erinnert an Flüsse der christlichen Visionsliteratur, die ebenfalls Waffen führen, vergleiche auch Geirvimul (Nr. 4) und Saxo Grammaticus: Gesta Danorum, 1,31.[6]
26 Sœkin, Sækin, Sekin Sökin, Sækin, Sekin die Eilende? die Vorwärtsdrängende? 3 3 X Ein Fluss in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
27 Strǫnd Strönd Strand (die Seichte?) 35 X
28 Svǫl Swöl die Kühle, die Kalte 5 1 5 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
29 Sylgr Sylg(r) Verschlinger (die Verschlingende) 30 7 Er strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5).
30 Þióðnuma Thjodnuma die Menschen Verschlingende 23 25
31 Þǫll Thöll die Anschwellende? 17 15
32 Þyn Thyn die Brausende 15 13 X Der Fluss wird auch in der Njáls saga erwähnt.[7]
33 Ván Wan Hoffnung (die Wohltuende) 33 Ván heißt auch der Speichel des Fenriswolfs (Gyl 33).
34 Vegsvinn Wegswinn die Reißende? 22 24 X
35a Víð, Víl Wid, Wil die Breite 2 2 Im Grm doppelt genannt. Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5). Er fließt in oder an der Grenze von Asgard (Gyl 39, Grm 27).
35b Víð Wid Die Breite 32 9 Im Grm doppelt genannt.
36 Vin Win die Versiegende? 16 14 Der Fluss könnte mit Vina (Nr. 37) identisch sein.
37 Vína Wina Dwina 21 23 X In der Forschung identifiziert man diesen Fluss meist mit dem Fluss Dwina in Russland.
38 Vǫnd Wönd die Launische, die Schwierige 34 X
39 Ylgr Ylg(r) die Wölfin 31 8 Der Fluss strömt aus Hvergelmir (Gyl 4) und gehört zu den Élivágar (Gyl 5).

Literatur

  • Elena A. Gurevic: Zur Genealogie der þula. In: Alvíssmál. Forschungen zur mittelalterlichen Kultur Skandinaviens. Nr. 1/1992. VWB Verlag, Berlin 1993, ISBN 978-3-86135-600-4, S. 65–98 (S. 73–76).
  • Christopher Hale: The River Names in Grímnismál 27–29. In: Robert J. Glendinning, Haraldur Bessason (Hrsg.): Edda - A Collection of Essays. University of Manitoba Press, Winnipeg 1983, ISBN 978-0-88755-117-8, S. 165–186.
  • Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X.
  • Albert Morey Sturtevant: Etymological Comments upon Certain Old Norse Proper Names in the Eddas. In: Publications of the Modern Language Association. Band 67, 1952, S. 1145–1162.

Einzelnachweise

  1. Christopher Hale: The River Names in Grímnismál 27–29. In: Edda - A Collection of Essays. 1983, S. 165–186
  2. Elena A. Gurevic: Zur Genealogie der þula. In: Alvíssmál. Forschungen zur mittelalterlichen Kultur Skandinaviens. Nr. 1/1992, 1993, S. 73–76
  3. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 133.
  4. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 235.
  5. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 326.
  6. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 389.
  7. Njáls saga 19: „Hǫfuð þetta skalt, hrotta / hljómstærandi, færa, / kom þú eldskerðir orðum / áls ferðar, Hallgerði; / hykk at þǫll myni þekkja / Þynjar logs ok skynja / þýð, hvárt þat hafi smíðat / þungt níð, boði skíða.“

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