Haida (Volk)

Verbreitung der Sprache Haida vor der Ankunft der Europäer
Wolfsmaske der Haida, um 1880 (Ethnologisches Museum Berlin-Dahlem)

Die Haida sind ein Indianervolk in Kanada und damit eine der über 600 First Nations des Landes.

Ihr traditionelles Siedlungsgebiet erstreckt sich über einige Küstenregionen British Columbias (besonders die Inselgruppe Haida Gwaii) und des südöstlichen Alaskas. Ihre Sprache, das Haida, die heute nur noch von wenigen hundert Menschen gesprochen wird, wurde früher irrtümlich der Na-Dené-Sprachgruppe zugeordnet. Heute wird sie mehrheitlich als isolierte Sprache angesehen.

Die Haida-Krieger waren gefürchtet; durch ihre hochseetüchtigen Kanus waren sie vor allem auf dem Meer dominant. Sie lebten in Langhäusern, die aber nicht mit denen der Irokesen zu verwechseln sind. Bekannt ist auch der Potlatch (Chinook geben).

Seit der Pockenepidemie von 1862 ging die Zahl der Haida von 8.000 auf heute etwa 2.000 zurück. Infolge des dramatischen Bevölkerungsrückganges wurde die traditionelle Siedlungsweise in Dörfern je eines Matriklans zugunsten von Dörfern mit mehreren Klans aufgegeben.

Die Haida sind bekannt für ihre imposanten Totempfähle.

Totempfähle in Skidegate Inlet, British Columbia

Geschichte

Schnitzwerk Bill Reids, das die Schöpfungsgeschichte der Haida versinnbildlicht: Der Rabe öffnet eine Auster, in der er Menschen findet

Frühgeschichte

Am Ende der letzten Eiszeit war die Hecate Strait, die das heutige Haida Gwaii vom Festland trennt, trocken. Erst um 8000 v. Chr. stieg der Meeresspiegel und die heutigen Haida Gwaii-Inseln wurden vom Festland getrennt. Selbst Teile der Küstenebenen lagen zeitweise unter Wasser. Zahlreiche Mythen erinnern an diesen radikalen Wandel der Landschaft, der auch Umsiedlungen erzwang. So gibt es in der Haida-Tradition Erinnerungen an Siedlungen an der Westküste der Inseln.

In der Übergangszone zwischen Meer und Land fanden sich tatsächlich einfache Werkzeuge aus der Zeit unmittelbar nach dem Rückzug der Eismassen. Auffällig ist hier die große Menge an Microblades. Diese winzigen Klingen waren wohl Bestandteil von Kompositwerkzeugen, wurden also als Spitzen und Klingen mit Halterungen aus Holz, Geweih oder Knochen verbunden. Diese Technik war schon vor 20.000 Jahren in Nordostasien bekannt und dürfte vor 12–15.000 Jahren nach Alaska gekommen sein. Auffällig ist, dass im Norden British Columbias beidseitig bearbeitete Speerspitzen fehlen.

Offenbar beherrschten die Haida schon sehr früh das Befahren des Pazifiks und übernahmen die als microblades bezeichneten, sehr kleinen Steinklingen. Sie wurden überwiegend aus Obsidian hergestellt, einer Art Glas vulkanischen Ursprungs. Bei diesem Material lässt sich die Herkunft genau feststellen, und so erhält man einen Eindruck von der frühen Weiträumigkeit der Handelsbeziehungen.

Von ihrer nördlichen Inselfestung aus trieben die Haida aber nicht nur Handel, sondern auch Krieg. Als die ersten Europäer Ende des 18. Jahrhunderts die Region erreichten, galten sie bereits seit langem als gefürchtete Krieger von Alaska bis Kalifornien.

Die natürliche Umgebung bot jedoch nicht nur Lachs und Meeressäuger, sondern auch Schalentiere, die nur vom Strand aufgelesen werden mussten. Es war wohl vor allem die räumliche Isolierung und diese Stabilität der Nahrungsbasis, die die Haida zu einem der am längsten fest ansässigen Völker machte. Damit waren sie selbst an der Pazifikküste eine Ausnahme, denn sie entwickelten schon sehr früh dauerhafte Dörfer, die ganzjährig bewohnt wurden. Schon früh reichten die Nahrungsüberschüsse aus, um eine Gruppe von Spezialisten mit zu ernähren, die sich auf die Herstellung von Werkzeugen, auf rituelle Schnitzwerke, prächtige Plankenhäuser und Kanus konzentrieren konnte.

Während sich die Artefakte aus der Zeit um 5000 v. Chr. noch stark von denen auf dem Festland unterscheiden, waren die aus der Zeit um 1000 v. Chr. bis Chr. Geb. – wohl durch Handelskontakte – denen der Tlingit und Tsimshians bereits viel ähnlicher geworden. Allerdings ist archäologische Forschung bei den Haida äußerst schwierig, da zahlreiche Haida fürchten, die Totenruhe ihrer Ahnen könnte gestört werden.

Haida-Frau, um 1900

Die Haida bestanden aus zwei Gesellschaftsgruppen, Moieties, die Rabe und Adler hießen. Die Raben-Moiety setzte sich aus 22 Lineages zusammen, die Adler-Moiety aus 23 dieser Familien. In einer älteren Phase lebte wohl jede Familie in einem eigenen Dorf, doch haben sich diese Grenzen wohl aufgelöst, so dass viele Lineages in jedem Dorf repräsentiert waren. Heiraten war nur zwischen den Moieties möglich, nicht innerhalb der eigenen Moiety, wobei die Kinder zur Moiety der Mutter gehörten.

Von dieser Zugehörigkeit hingen die Zugriffsrechte auf Ressourcen, wie Fischgründe, Jagd- und Sammelgebiete, aber auch Hausstellen ab. Dazu kamen Legenden, Tänze, Gesänge und Namen, die zugleich eine klare Hierarchie signalisierten und nur dem Inhaber gehörten, bzw. ihn zur Ausübung eines Rituals berechtigten.

Tanzrassel eines Häuptlings, Mitte 19. Jahrhundert

In jedem Haus lebten 30 bis 40 Menschen, bis zu zehn Familien und mehr. Große Häuptlingshäuser konnten sogar über 100 Menschen beherbergen. Jede Lineage konnte sich der Autorität eines Häuptlings unterstellen, der auch im Kriegsfall führte. Das Oberhaupt eines Ortes (town chief) stand der vermögendsten und anerkanntesten Lineage vor. Doch konnte ein mit noch größerem Respekt ausgestatteter Krieger ihm auch den Rang ablaufen.

Ehemaliges Haida Dorf SGang Gwaay. Ende 19. Jahrhundert wurde es verlassen.

So gab es eine heftige Rivalität zwischen Häuptling Ninsingwas und Häuptling Skidegate, wobei es auch zu tödlichen Auseinandersetzungen kam. Die Erblichkeit der Linien, entlang der weiblichen Seite, setzte sich jedoch weitgehend durch. So folgte meistens der Sohn der ältesten Schwester des Häuptlings in seinem Amt.

Erblichkeit bestimmte auch das öffentliche Auftreten, z. B. Festen und Potlatches. Wer nie ein Potlatch gegeben hatte, galt als einfacher Stammesangehöriger, dazu kamen Sklaven, die meist Kriegsgefangene oder ihre Nachkommen waren.[1]

Schon aus diesem Grund war der Potlatch das wichtigste Fest. Sie machten öffentlich die wichtigsten Ereignisse, wie Heirat, Namensverleihung oder Todesfälle sichtbar, oder aber die Errichtung eines Totempfahls oder eines Hauses, sie dienten aber auch der Verteilung des Reichtums der oberen Klasse an die, die begrenzten Zugang zu ihren Ressourcen hatten.

Die Haida und Ecotrust Canada begannen 2003, kulturelle Artefakte systematisch zu erfassen und zu kartographieren. Eines der Hauptziele war die Erstellung einer Karte der Culturally Modified Trees, die dank methodischer Fortschritte eine der wichtigsten Quellen für die Frühgeschichte der schriftlosen Kulturen darstellen.

Kontakte mit Europäern

Eine der tiefgreifendsten Veränderungen bestand nicht im Kontakt mit Europäern und deren Waren, sondern darin, dass die Haida wie alle Ureinwohner Krankheitsepidemien schutzlos ausgeliefert waren. Allen voran waren dies die Pocken, mit denen die Haida wohl in den 1780er Jahren erstmals in Berührung kamen. Die Krankheit hieß bei ihnen Tom Dyer, wohl nach dem Vornamen eines Briten, auf den man das bis dahin unbekannte Phänomen zurückführte. Die Pocken kosteten wahrscheinlich mehr als drei Viertel der Haida das Leben. Mindestens ebenso katastrophal war der Ausbruch der Epidemie von 1862, die ein Mann im April dieses Jahres aus San Francisco einschleppte.[2]

Der Nationalpark und die Holzindustrie

Zwischen den Haida und Holzunternehmen, allen voran Weyerhaeuser, kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Diese führten 2005 bis zu Blockadeaktionen.[3] Als das Unternehmen für 1,2 Milliarden Dollar Waldlizenzen verkaufte, ohne der vom Obersten Gerichtshof beschiedenen Konsultationspflicht nachzukommen, und diese auf die Regierung schob, zogen Haida nach Seattle vor die dortige Firmenzentrale.

„Destruktive Gesellschaft“

Der Sozialpsychologe Erich Fromm analysierte im Rahmen seiner Arbeit Anatomie der menschlichen Destruktivität anhand ethnographischer Aufzeichnungen 30 vorstaatliche Völker auf ihre Gewaltbereitschaft, darunter auch die Haida. Er ordnete sie abschließend den „destruktiven Gesellschaften“ zu, deren Kulturen durch wenig Gemeinschaftssinn mit ausgeprägter Individualität (Egoismus, Besitz, Rivalität, Neid) sowie durch eine feindselige und gespannte Grundstimmung (Heimtücke, Misstrauen, Zukunftsangst) gekennzeichnet sind. Ihre Sozialstruktur war streng hierarchisch, Vergehen wurden mit harten Strafen geahndet, die ideologisierte Weltanschauung bestimmte die Kindererziehung und führte zu Zerstörungswut, blinder Aggression und Grausamkeiten innerhalb des Volkes und gegenüber anderen. Imperialistische Bestrebungen und Angriffskriege sind häufige Phänomene destruktiver Gesellschaften.[4]

Siehe auch: „Krieg und Frieden“ in vorstaatlichen Gesellschaften

Kunst

Flagge der Haida

Für viele Autoren gilt die oft monumentale Haida-Kunst als Höhepunkt der Kunst der Völker der Nordwestküste. Allerdings hat sich der monumentale Stil der Totempfähle erst in der Kolonialzeit entwickelt. Er resultiert aus einem Überbietungswettbewerb, wie er auch beim Potlatch zu beobachten ist. Die zweidimensionale Kunst der Haida ist hingegen durch klassisch proportionierte Ovoide und starke Konturlinien (formlines) geprägt. Ansichten von Körpern werden segmentiert und neu in der Fläche arrangiert, bis sie diese ganz ausfüllen. Fast ausschließlich werden die Farben schwarz und rot genutzt, große schwarze Flächen werden immer aufgelöst.[5] Auf vielen zweidimensionalen Ansichten wird Qonanqada dargestellt, ein mythisches Wesen, das unter den Wassern herrscht.

Wichtige Haida-Künstler der Gegenwart waren beziehungsweise sind unter anderem Charles Edenshaw, Bill Reid, Jim Hart oder Jay Simeon.

Siehe auch

  • Kiidk'yaas

Literatur

  • William Henry Collison: In the Wake of the War Canoe. A Stirring Record of Forty Years’ Successful Labour, Peril and Adventure amongst the Savage Indian Tribes of the Pacific Coast, and the Piratical Head-Hunting Haida of the Queen Charlotte Islands. Musson Book Company, Toronto 1915 (Reprint based on the Toronto printing: Musson Book, Sono Nis, Victoria 1981 ISBN 0-919462-87-1).
  • Thomas Geduhn: Eigene und fremde Verhaltensmuster in der Territorialgeschichte der Haida. Holos Verlag, Bonn 1993, ISBN 3-86097-080-1 (Mundus-Reihe Ethnologie 71).
  • Charles Lillard (Hrsg.): The Ghostland people. A documentary history of the Queen Charlotte Islands, 1859–1906. Sono Nis Press, Victoria 1989 ISBN 1-55039-016-3.
  • Charles Lillard: Revenge of the Pebble Town People: A Raid on the Tlingit. In: Manoa. Band 10, Nr. 2, 1998 ISSN 1045-7909 S. 108–109, 111–121.
  • Robert Bringhurst: A Story as Sharp as a Knife: The Classical Haida Mythtellers and Their World. Douglas & McIntyre, Vancouver 1999, ISBN 978-1-55054-696-5.

Weblinks

Commons: Haida – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Zur Bedeutung der Sklaverei an der nordamerikanischen Pazifikküste zwischen Alaska und dem Columbia River vgl. Leland Donald: Aboriginal slavery on the Northwest Coast of North America. University of California Press, Berkeley 1997.
  2. Wilson Duff: The Indian History of British Columbia: The Impact of the White Man. Royal British Columbia Museum, Victoria 1997, S. 58.
  3. Paul Shukovsky: Haida open Seattle front in forest fight. Weyerhaeuser riles tribe with rich deal to sell logging rights. in: seattlepi.com, 20. April 2005.
  4. Erich Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Übers. Liselotte und Ernst Mickel. Rowohlt, Reinbek 1977, ISBN 3-499-17052-3, S. 191, 193.
  5. Hilary Stuart: Looking at Indian Art of the Northwest Coast. Douglas & McIntyre, University of Washington Press, Vancouver 1979, S. 104–106.

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