Gnaeus Marcius Coriolanus

Gavin Hamilton: Coriolanus’ Frau und seine Mutter bitten ihn, Rom zu verschonen

Gnaeus Marcius Coriolanus (auch Gaius Marcius Coriolanus oder kurz Coriolan; * vor 527 v. Chr. in Rom; † um 488 v. Chr. in Antium) war der Sage nach ein römischer Held und Feldherr, dessen Stolz, Unverstand und Starrsinn zu Auseinandersetzungen mit den Plebejern führten. Er wurde aus Rom verbannt und führte daraufhin einen Krieg gegen seine eigene Heimatstadt, den er erst auf Bitten seiner Mutter abbrach.

Shakespeare lieferte mit seiner Tragödie Coriolanus die bekannteste Bearbeitung der Legende.

Quellenlage

Die Quellen der Coriolanus-Legende sind Titus Livius’ Ab urbe condita (2, 33ff.) und das Geschichtswerk Romaike Archaiologia (6, 92ff.) von Dionysios von Halikarnassos. Vorlage für die zahlreichen Dramen, die den Coriolanstoff aufgreifen, ist jedoch vor allem die Coriolan-Biographie von Plutarch, der ausschließlich den Text von Dionysios von Halikarnassos als Quelle verwendete. Die Beliebtheit der Version Plutarchs erklärt sich aus Plutarchs ausdrücklichem Anliegen, seine Vorlagen moralisch-pädagogischen Zwecken anzupassen und sie dramaturgisch aufzubereiten.

In allen drei Urtexten steht Coriolanus in einer Reihe mit heute historisch verbürgten Personen. Erst im 19. Jahrhundert wurde begonnen, die historische Existenz von Coriolanus anzuzweifeln. Wegen einer ganzen Reihe von Ungereimtheiten in der Legende betrachtet die aktuelle Forschung Coriolanus als fiktive Figur, als Fälschung von Familiengeschichte.

Coriolanus bei Plutarch

Plutarch beschreibt Coriolanus als einen stolzen Patrizier und Kriegsmann, der in seiner Jugend nicht wegen des Ruhmes, sondern zur Freude seiner Mutter Veturia kämpfte, der sich aber auch als vortrefflicher Redner und durch Klugheit auszeichnete. Seinen Beinamen Coriolanus erhielt er wegen seiner außergewöhnlichen Tapferkeit im Kampf um die volskische Stadt Corioli, die direkt zur Einnahme der Stadt führte (493 v. Chr.).

Schon durch die Ereignisse um Corioli berühmt und beliebt geworden, trat Coriolanus zur Wahl zum römischen Konsul an. Da er jedoch keinen Hehl aus seinem Stolz auf seine patrizische Herkunft machte und die neu geschaffenen Ämter der Plebejer, die Volkstribunen, ablehnte, wählten ihn die Plebejer nicht und er verlor die Wahl.

Danach trat er als entschiedener Gegner der Volkstribunen auf und plädierte für deren Abschaffung. Daraufhin klagte man ihn unter anderem des Umsturzes der Verfassung und der Aufhetzung des Senats gegen die Plebejer an. Die Volkstribunen verurteilten ihn zum Tode, aber in Verhandlungen mit dem widerstrebenden Senat wurde seine Strafe auf ewige Landesverweisung festgesetzt (491 v. Chr.).

Coriolanus wandte sich nun aus Rache seinen und Roms ärgsten Feinden, den Volskern, zu und führte sie nach zahlreichen Siegen über mit Rom verbündete Städte auch gegen seine Heimatstadt (489/488 v. Chr.). Als die Bedrohung Roms am größten war, forderten die Plebejer die Aufhebung der Verweisung von Coriolanus. Nach einer ersten Weigerung des Senats schickte Rom schließlich doch Gesandtschaften zu Coriolanus, um über die Beilegung des Krieges und seine Rückkehr nach Rom zu verhandeln. Nach den Misserfolgen dreier Gesandtschaften entschlossen sich Coriolanus’ Frau Volumnia und seine Mutter, die beide in Rom geblieben waren, zusammen mit weiteren Frauen, zu seinem Heerlager zu ziehen und ihn um die Beilegung des Konflikts zu bitten.

Coriolanus konnte die Bitte seiner Mutter, die mit Selbstmord drohte und sich mit seiner Frau und seinen Kindern vor ihm niederwarf, nicht abschlagen und zog ab, was ihm die Volsker auf einer Volksversammlung in Antium als Verrat vorwarfen und ihn dort ermordeten.

Interpretation

Die Figur des Coriolanus und sein Handeln sind über die Jahrhunderte hinweg und abhängig vom politischen Hintergrund unterschiedlich interpretiert worden. Manchen galt er als warnendes Beispiel, anderen als Vorbild; er wurde als Vaterlandsverräter, unbeherrschter, hochmütiger, grausamer Krieger, Klassengegner, Außenseiter dargestellt, unvernünftig als Folge von Absolutheit, aber auch als treuer, selbstloser Sohn, der sich höheren Zielen verschrieb, und Opfer der politischen Verhältnisse wurde.

Von einer Andeutung Marcus Tullius Ciceros ausgehend, glaubte bereits Theodor Mommsen, dass die Marcier, ein plebejisches Adelsgeschlecht, Coriolanus erfunden haben – zur Verherrlichung ihres Geschlechts, der plebejischen Nobilität und der Plebejer insgesamt.

Es ist möglich, dass ein historischer Kern in der Sage enthalten ist. Eventuell verdankten die Volsker mehrere militärische Erfolge im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. einem Kommandeur, der Marcius genannt wurde. In späterer Zeit wurde dann von römischer Seite diese Person als Römer bezeichnet, der angeblich verbannt worden war.

Verwendung der Figur

Wilhelm Wandschneider: „Coriolan“ (1903) in Plau am See
  • 1607/08 schrieb William Shakespeare mit Coriolanus seine letzte und reifeste Tragödie, ein nüchternes, schnörkelloses Alterswerk.
  • 1807 komponierte Ludwig van Beethoven seine Coriolan-Ouvertüre, die den aufbrausenden, unsicheren Charakter des Titelhelden thematisiert. Die Ouvertüre gehört zum Drama Coriolan des Heinrich Joseph von Collin, das heute nicht mehr gespielt wird.
  • 1811 schreibt Julius Voß ein einaktiges Trauerspiel Coriolan (eine Parodie).[1]
  • 1903 modellierte der Bildhauer Wilhelm Wandschneider eine Idealgestalt, die er CORIOLAN nannte. Die etwas überlebensgroße Bronzestatue erhielt auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis (Louisiana Purchase Exposition) eine Goldene Medaille und fand später ihren Platz am Plauer See im Ortsteil Seelust der Stadt Plau am See, wo sie noch erhalten ist. Verkleinerungen in Bronze von 39 und 80 cm sind bekannt.
  • 1931 begann der Literaturnobelpreisträger T. S. Eliot den Stoff in seinem Gedicht Coriolan zu verarbeiten. Das Werk blieb jedoch unvollendet.
  • 1952/53 schuf Bertolt Brecht eine eigene, jedoch nicht abgeschlossene Bearbeitung des Shakespeare-Stücks, konzipiert als die Tragödie des Glaubens an die eigene Unersetzlichkeit und damit möglicherweise Kritik an sozialistischem Personenkult. Das Stück wurde zu Brechts Lebzeiten nicht mehr aufgeführt.
  • 1956 brachte Nordmende, deren Geräte vielfach den Namen einer Titelfigur aus der Musikliteratur tragen, einen Rundfunkempfänger mit der Modellbezeichnung Coriolan 57 3D heraus.
  • 1963/64 lieferte Paul Dessau Schauspielmusik zu einer Inszenierung von Brechts Coriolan am Berliner Ensemble.
  • 1964 war eine freie Adaption des Stoffs Grundlage für den italienischen Sandalenfilm Coriolano: eroe senza patria (in Deutschland unter dem Titel Der Tribun von Rom veröffentlicht), in dem Gordon Scott den Coriolanus verkörperte.
  • 1966 zeigte Günter Grass’ Stück Die Plebejer proben den Aufstand einen fiktiven Brecht, der während des 1953er Arbeiteraufstands den Coriolan inszeniert, dort die Position der Plebejer stärkt, aber die protestierenden Arbeiter um ihn herum nicht als Äquivalent der Plebejer begreifen will, sondern den Aufstand nur als Quelle seiner Inspiration betrachtet und eigenes Eingreifen in die aktuelle politische Situation ausschließt.
  • Im Jahr 2011 inszenierte Ralph Fiennes eine Neubearbeitung des Stoffs in dem Drama Coriolanus (2011), in dem er Shakespeares Vorlage aufgreift und klassische Motive mit modernen vermischt. Der Film wurde 2011 im Rahmen der Festspiele in Berlin präsentiert (Internationale Filmfestspiele Berlin 2011) und erhielt insgesamt gute Kritiken.

Darüber hinaus wurde das Thema von Beginn des 17. Jahrhunderts an in einer Vielzahl von heute wenig bekannten englischen, französischen, deutschen, spanischen und italienischen Dramen verarbeitet, auch italienischen Opern.

Quellen

Literatur

  • Ingo Berensmeyer: Coriolan. In: Peter von Möllendorff, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 8). Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02468-8, Sp. 319.
  • Walter Eder: Coriolanus. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 3, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01473-8, Sp. 164–165.
  • Bernhard Kytzler: Shakespeare: Coriolan. Dichtung und Wirklichkeit. Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin 1965.
  • Theodor Mommsen: Die Erzählung von Cn. Marcius Coriolanus. In: Hermes. Band 4, 1870, S. 1–26 (Digitalisat).
  • Wilhelm Schur: Marcius (51). In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Supplementband V, Stuttgart 1931, Sp. 653–660.

Weblinks

Commons: Gnaeus Marcius Coriolanus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Voß, Julius: Coriolan. Trauerspiel, in Einem Aufzug. In: Travestieen und Burlesken zur Darstellung im kleinen geselligen Verein von Julius v. Voß. Berlin: Humbolt 1811, S. 141–160

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