Boudicca-Aufstand

Verlauf des Boudicca-Aufstands

Der Boudicca-Aufstand war der Aufstand der beiden einheimischen Stämme der Icener und Trinovanten gegen die römischen Besatzer Britanniens in den Jahren 60 und 61 n. Chr., der von der britannischen Königin und Heerführerin Boudicca angeführt wurde. Die schlechte Behandlung der Stämme durch die Römer löste den Aufstand aus. Boudiccas Streitmacht zerstörte drei große römische Siedlungen, Camulodunum (das heutige Colchester), Londinium und Verulamium (das heutige St Albans) und tötete einen Großteil der verbliebenen Bewohner und Verteidiger. Eine zahlenmäßig unterlegene römische Armee unter Gaius Suetonius Paulinus besiegte die Aufständischen schließlich in den Midlands entlang der Watling Street und beendete den Aufstand.

Die mit Abstand wichtigsten schriftlichen Quellen für die Ereignisse sind die Annales des römischen Geschichtsschreibers Tacitus und die Römische Geschichte des Geschichtsschreibers Cassius Dio. Seit den 1920er Jahren spielt die Archäologie für die Rekonstruktion der Ereignisse eine wichtige Rolle, insbesondere Ausgrabungen in den Städten Colchester, London und St Albans sowie Funde in East Anglia, dem Siedlungsgebiet der Icener und Trinovanten.

Der Boudicca-Aufstand ist ein in Großbritannien sehr bekanntes Ereignis der britischen Geschichte und wird häufig mit Rebellionen in anderen Teilen des römischen Imperiums verglichen, etwa der Varusschlacht unter Arminius in Germanien oder dem Aufstand des Vercingetorix in Gallien. Boudicca und ihr Aufstand sind seit der Renaissance in England ein beliebtes Motiv in Literatur, Kunst und – seit dem 20. Jahrhundert – auch in Film und Fernsehen.

Quellenlage

Da die keltischen Stämme Britanniens selbst keine schriftlichen Zeugnisse hinterließen, ist die Sicht auf den Boudicca-Aufstand durch die römische Geschichtsschreibung geprägt, ergänzt um Erkenntnisse aus archäologischen Ausgrabungen.

Die schriftlichen Quellen für den Boudicca-Aufstand sind die Annalen des römischen Historikers Tacitus und das Geschichtswerk des Cassius Dio. Beide berichten ausführlich über den Aufstand, weichen in Details jedoch zum Teil voneinander ab. Wesentlich kürzer erwähnt Tacitus den Aufstand noch in der Biografie seines Schwiegervaters Agricola. Sowohl Tacitus als auch Cassius Dio waren keine Augenzeugen der Ereignisse in Britannien, auch schrieben sie mit einem zeitlichen Abstand zu den Ereignissen. Tacitus gilt bei vielen Historikern als zuverlässiger, weil er zeitlich näher am Ereignis lebte und vermutlich Detailkenntnisse über den Boudicca-Aufstand durch seinen Schwiegervater Agricola erhielt, der zu der Zeit in Britannien war. Die von den beiden Schriftstellern überlieferten Reden, die die Heerführer Boudicca und Suetonius vor der Entscheidungsschlacht gehalten haben, sind aller Wahrscheinlichkeit nicht authentisch. Klassische Autoren legten üblicherweise fiktive Reden in die Münder ihrer Hauptpersonen, auch um ihr eigenes Verständnis der Ereignisse ans Publikum zu transportieren.[1]

Für die Rekonstruktion der Ereignisse sind außerdem archäologische Funde relevant. Besonders wichtig ist der so genannte Boudican destruction horizon (dt. ‚Zerstörungshorizont Boudiccas‘): Dies ist eine bei Ausgrabungen in Colchester, London und St. Albans gefundene wenige Zentimeter bis 100 cm dicke Lage verbrannten Materials. Der Zerstörungshorizont enthält vor allem verbrannte Flechtwerkwände. Normalerweise würden solche Flechtwerkwände verrotten, aber durch die große Hitze des Feuers wurden die Lehmbestandteile der Wände zu einer harten Substanz gebacken, vergleichbar mit Töpferware. In Colchester wurden im Zerstörungshorizont ferner Keramikscherben von römischem Tafelgeschirr (Terra Sigillata[2]) aus Südgallien und einige römische Münzen aus der Zeit Aggrippas und Claudius’ gefunden, die eine Datierung des Zerstörungshorizonts auf die Jahre 60/61 plausibel machen.[3] Ähnliche Funde wurden bei Ausgrabungen in London gemacht.[4]

Der Zerstörungshorizont ist für Archäologen ein Indiz, dass die damaligen römischen Siedlungen tatsächlich wie in den antiken Quellen beschrieben niedergebrannt wurden. Während in frühen archäologischen Forschungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hinweise auf Brände in römerzeitlichen Grabungsschichten häufig dem Boudicca-Aufstand zugeordnet wurden, betrachtet die Forschung dies jedoch inzwischen differenzierter und hat auch Belege für Feuer aus der Römerzeit gefunden, die später datiert werden müssen.[5]

Ursachen des Aufstandes

Tacitus und Cassius Dio nennen unterschiedliche Gründe, warum britannische Stämme sich unter der Führung Boudiccas gegen die Römer erhoben. Auf der Basis der antiken Quellen haben Historiker weitere Ursachen für den Aufstand vermutet.

Demütigung der Icener

In Tacitus Annales wird die Demütigung des Stammes der Icener und der königlichen Familie als Auslöser für den Aufstand in den Vordergrund gestellt: Die von Tacitus erwähnten Icener lebten im Norden des heutigen East Anglia, wie man aus Münzfunden heute weiß. Historiker gehen davon aus, dass Prasutagus um 43 n. Chr. als Klientelkönig der Icener von den Römern eingesetzt wurde und bis zu seinem Tod 60 n. Chr. im Einvernehmen mit den Römern regierte. Tacitus zufolge hinterließ Prasutagus ein Testament, in dem er festlegte, dass sein Königreich zu gleichen Teilen seinen beiden Töchtern und dem römischen Kaiser Nero vererbt werden sollte. Laut Tacitus hoffte Prasutagus, dadurch den Fortbestand seines Reiches sicherzustellen und seine Familie vor Übergriffen der Römer schützen zu können. Die Römer unter der Führung des Prokurators Catus Decianus zogen jedoch in das Land der Icener ein und behandelten das Reich des bisherigen Klientelkönigs von nun an als einen Teil der römischen Provinz. Wie Tacitus berichtet, wurden Ländereien der adeligen Schicht der Icener ihrer Ländereien beraubt. Außerdem peitschten sie Prasutagus’ Witwe Boudicca aus und vergewaltigten ihre zwei Töchter.[6]

Die Historikerin Miranda Aldhouse-Green sagt dazu, dass die Römer unter dem befehlshabenden Prokurator Decianus Catus durchaus das Recht hätten, nach dem Tod eines Klientelkönigs dessen Ländereien einzuziehen und in das römische Reich einzugliedern. Was jedoch nicht legal sei, sei die brutale Behandlung der Icener sowie die Konfiszierung privaten Eigentums. Sogar nach römischen Standards sei die Misshandlung Boudiccas und die Vergewaltigung ihrer Töchter ein Kriegsverbrechen.[7] Hingley und Unwin sagen, dass diese Behandlung einer Rom treuen aristokratischen Familie für Tacitus’ Leserschaft in Rom besonders schockierend gewesen sein dürfte.[8]

Vertreibung und Provokation der Trinovanten

Zu den weiteren von Tacitus in den Annales genannten Ursachen für den Aufstand zählen die Vertreibung der Trinovanten aus ihrer Hauptstadt Camulodunum, dem heutigen Colchester, um dort im Auftrag des römischen Kaisers Claudius eine Veteranenkolonie für ehemalige Legionäre zu errichten. Diese sollte dem Erhalt des römischen Einflusses in der Stadt dienen, nachdem die ursprünglich dort stationierte Legio XX zur Bekämpfung der Silurer nach Westen verlegt worden war. Tacitus beschreibt das konfiszierte Land als agri captivi (deutsch „erobertes Land“). So war es den Römern erlaubt, Land der Trinovanten um Camulodunum für Veteranen einzuziehen.[9]

Der Archäologe Paul Sealey weist in diesem Zusammenhang auf Ausgrabungen im Graben der römischen Festung in Colchester hin. Dort wurden sechs Schädel gefunden, die schwere, vermutlich durch Waffen verursachte Verletzungen aufweisen, was auf eine rohe Behandlung der einheimischen Bevölkerung durch die Römer hindeute.[10]

Eine zusätzliche Provokation für die Trinovanten war der Baubeginn eines Tempels in Camulodunum zu Ehren des 54 n. Chr. verstorbenen und vom römischen Senat konsekrierten Claudius. Die Trinovanten warfen den Priestern des Tempels vor, das Vermögen des Landes zu vergeuden. Tacitus schreibt, dass die Trinovanten den Tempel als „Hauptsitz ewiger Tyrannei“ (lat. arx aeternae dominationis) ansahen.[11]

Rückforderung von Krediten

Cassius Dio erwähnt weder die Misshandlung der königlichen Familie der Icener noch die Provokation der Trinovanten. Stattdessen nennt er als einen Auslöser für den Aufstand eine plötzliche Rückforderung hoher Kredite durch römische Gläubiger, zu denen auch der Philosoph Seneca gehörte. Cassius Dio sagt, dass Seneca bei seinem Kredit eine Verzinsung von 40 Millionen Sesterzen erwartet hätte.[12] Dies entspricht dem Gegenwert von fast drei Tonnen Gold.[13] Diese Rückforderung von Krediten könnte die wirtschaftlichen Spannungen zwischen den Einheimischen und der noch relativ jungen römischen Provinzialverwaltung verschärft und damit ebenfalls zur Eskalation des Konfliktes beigetragen haben.[14]

Einfluss der Druiden

Einige Historiker glauben, dass es kein Zufall sei, dass kurz vor dem Boudicca-Aufstand das Heiligtum auf der Insel Mona, ein wichtiger Rückzugsort für britannische Aufständische und zentraler Ort der druidischen Religion, von den Römern angegriffen und zerstört wurde. Auch wenn die Quellen dazu nichts Konkretes aussagen, könnten die antirömisch eingestellten Druiden ihren politischen Einfluss unter den Britanniern ausgenutzt haben, um die Angehörigen anderer Stämme zur Teilnahme an Boudiccas Aufstand zu bewegen.[15] Zumindest dürften, so weitere Forscher, Protestbewegungen wie der Boudicca-Aufstand ermutigt worden sein, weil sie sich vom druidischen Klerus unterstützt fühlten.[16] Andere Historiker weisen jedoch darauf hin, dass der Einfluss der Druiden auf die britannische Gesellschaft ungeklärt ist. Die Druiden hatten im 1. Jahrhundert bereits einigen Einfluss verloren und waren möglicherweise gar nicht mehr in der Lage, die Britannier zu einem größeren Aufstand zu vereinen.[17] Umgekehrt könnte das römische Vorgehen gegen die Druiden in Tacitus' Bericht nämlich auch schlicht besonders hervorgehoben worden sein, weil es das römische Vorgehen gegen den Aberglauben und die wilden Gebräuche der Briten veranschaulichen konnte und somit die Schilderung des Boudicca-Aufstandes ergänzt. In diesem Fall ließe sich die breite Schilderung der Ereignisse auf Mona in Tacitus' Annalen durch die literarische Komposition des Geschichtswerkes erklären[18] und müsste nicht zwangsläufig auf eine tatsächliche enge Verbindung der beiden Kampfhandlungen hindeuten.

Antirömische Einstellungen

Laut Tacitus hinterließ Prasutagus ein Testament, in dem er seine beiden Töchter und den damaligen römischen Kaiser Nero zu gleichen Teilen zu seinen Erben machte. Miranda Aldhouse Green spekuliert über die Gründe, warum Boudicca als Nachfolgerin in Prasutagus’ Testament nicht erwähnt wird, und vermutet unterschiedliche Einstellungen von Prasutagus und Boudicca gegenüber der römischen Besatzung: Bei Prasutagus scheine eine prorömische Einstellung vorgeherrscht zu haben, während Boudicca möglicherweise bereits eher antirömisch eingestellt gewesen sei.[19] Aldhouse-Green verweist auch auf eine Parallele zu einem weiteren keltischen Königspaar in Britannien, das ebenfalls mit seiner Einstellung zu den Römern geteilter Meinung gewesen sei: Cartimandua, die Königin des Stammes der Briganten, war wohl eine Rom freundlich gesonnene Klientelkönigin, während ihr Ehemann Venutius und Teile des Stammes antirömisch eingestellt waren, so Tacitus in seinen Historiae.[20]

Der Aufstand

Zeitliche Einordnung

Obwohl Tacitus ausschließlich über das Jahr 61 schreibt, denken die meisten Historiker heute, dass Boudicca die Stämme im Spätjahr 60 zum Aufstand aufrief und dieser bis ins folgende Jahr 61 andauerte. Die Datierung des Aufstandbeginns auf das Jahr 60 wurde erstmals von J. Asbach 1878 vorgebracht und auch vom Historiker Sir Ronald Syme in seinem Werk Tacitus von 1958 vertreten. Symes Hauptargument war, dass die Ereignisse vom Ausbruch des Aufstands bis zur Ablösung Suetonius Paulinus zu lange dauerten, um in ein Jahr zu passen. Spätere Historiker akzeptierten die frühe Datierung als plausibel.[21]

Für die frühere Datierung spricht auch, dass die Demütigung Boudiccas und ihres Stammes nach dem Tod ihres Ehemannes wohl ein starker Auslöser für einen spontanen Aufstand gewesen sein muss. Der Moment war für die Icener und Trinovanten auch günstig: Das römische Lager in Saham Toney, das eigens zur Kontrolle der Icener erbaut worden war, hatten die Römer bereits zwei Jahre zuvor wieder verlassen, und der Großteil der römischen Armee befand sich weit entfernt im Kampf gegen die Druiden in Wales auf Mona (dem heutigen Anglesey).[22]

Umfang des Aufstands

Die schriftlichen Quellen sind zum Umfang des Aufstands nicht eindeutig. Tacitus schreibt in den Annalen, dass sich Boudicas Aufstand die Icener, die benachbarten Trinovanten und kleine Teile anderer, nicht genannter Stämme anschlossen. In Agricola dagegen sagt er, dass sich die „gesamte Insel“ gegen die Römer erhob.[23] Auch Cassius Dio nennt keine spezifischen britannischen Stämme wie die Icener oder Trinovanten, sondern erwähnt „ganz Britannien“.[24] Die meisten historischen Darstellungen des Boudicca-Aufstands folgen Tacitus’ Darstellung in den Annalen und gehen von einem Aufstand der Icener und Trinovanten aus.

Der Archäologe Paul Sealey schreibt außerdem, dass die Icener vermutlich in größeren Massen auszogen, weil sie entschlossen waren, nach neuen Siedlungsgründen zu suchen, in welchen sie von den Römern unabhängig leben konnten. Dies erkläre auch, so Sealey, warum sie laut Tacitus vor der Revolte keine Saat mehr ausbrachten und ihre Frauen und Kinder mitnahmen.[25]

Verlauf des Aufstands

Die Zerstörung von Camulodunum

Laut Tacitus zogen die Aufständischen zunächst zur Veteranenkolonie Camulodunum, dem damaligen Hauptsitz der römischen Besatzungsmacht. Diese Kolonie hatte keinen Verteidigungswall und nur eine kleine Garnison zur Verteidigung und bat daher den Prokurator Catus Decianus um Unterstützung. Dieser schickte jedoch nur 200 schlecht bewaffnete Soldaten, die von den Aufständischen schnell besiegt wurden. Nach einer erfolgreichen Belagerung verwüsteten die Aufständischen Camulodunum und brannten es komplett nieder, so Tacitus in den Annalen.[26]

Der Legat Quintus Petillius Cerialis stellte sich ihnen mit der Legio VIIII Hispana bei Camulodunum entgegen, konnte die Übermacht der Britannier aber ebenfalls nicht aufhalten. Seine Fußtruppen wurden aufgerieben, mit der Reiterei musste Cerialis sich in ein befestigtes Lager zurückziehen.[27] Nach dieser Katastrophe floh der Prokurator Decianus entsetzt nach Gallien.[28]

Bronzekopf des Kaisers Claudius, gefunden bei Rendham, Sussex, Katalognr. PRB 1965.12-1.1, British Museum, London

Tacitus Schilderung der Ereignisse können durch archäologische Funde inzwischen recht umfassend bestätigt werden. Ausgrabungen im heutigen Colchester förderten eine Schicht verbrannten Materials, den sogenannten Zerstörungshorizont Boudiccas zutage, dessen Dicke zwischen wenigen Zentimetern bis (selten) zu einem Meter schwankt. Ein großer Teil des Zerstörungshorizonts besteht aus verbranntem Lehmputz, der normalerweise wieder zu weichem Lehm wird, aber hier als feste Substanz, vergleichbar zu Töpferware, überdauerte. Dies und geschmolzenes Glas deuten auf höhere Temperaturen hin, wie sie während eines Brandinfernos entstehen.[29]

Einer der spektakulärsten Funde im Zusammenhang mit dem Boudicca-Aufstand sind zwei Teile einer Statue des Kaisers Claudius, ein lebensgroßer Kopf und ein Teil eines Pferdebeins. Der Kopf wurde 1907 im Fluss Alde bei Rendham in Sussex gefunden. Metallurgische Untersuchungen ergaben, dass Kopf und Teil des Pferdes sehr wahrscheinlich Teil derselben Statue waren. Die ungleichmäßigen Ränder am Hals deuten auf eine gewaltsame Abtrennung vom Rest der Statue. Archäologen gehen davon aus, dass eine Reiterstatue des Claudius im Tempel von Camulodunum von den Aufständischen in Teile zerschlagen und Teile wie der Kopf als Trophäen mitgenommen wurden.[30]

Auch für den Einsatz der Legio VIIII Hispana gibt es möglicherweise archäologische Belege: Ihr Lager wurde von Sheppard Frere vermutungsweise mit einer bei Longthorpe ausgegrabenen Befestigung identifiziert.[31]

Die Zerstörung von Londinium und Verulamium

Nach der Zerstörung Camulodunums zogen die Britannier weiter Richtung Londinium, dem heutigen London, damals eine aufstrebende Siedlung aus Römern und romanisierten Briten, die vor allem von Handel und Handwerk lebte. Tacitus schreibt in seinen Annalen, dass der römische Feldherr und Statthalter Britanniens, Gaius Suetonius Paulinus, daraufhin seinen in Mona stationierten Legionen befahl, nach Londinium zu marschieren, während er selbst ihnen vorauseilte. In Londinium jedoch erkannte er, dass eine Verteidigung der Stadt mit den verfügbaren Mitteln nicht möglich war und zog wieder ab. Die Einwohner Londiniums durften mit den Truppen des Paulinus mitziehen; Bewohner, die die Siedlung nicht verlassen konnten oder wollten, blieben zurück. Die Aufständischen nahmen so Londinium ebenfalls ein und brandschatzten die Stadt.[32]

Boudiccas Truppe zog danach entlang der Watling Street weiter bis nach Verulamium, das von dem mit Rom verbündeten Stamm der Catuvellaunen bewohnt wurde. Auch Verulamium wurde geplündert und gebrandschatzt.[32] Boudiccas Heer soll zu diesem Zeitpunkt etwa 80.000 Personen umfasst haben – was aber wahrscheinlich eine erhebliche Übertreibung darstellt. Sowohl Tacitus als auch Cassius Dio schreiben, dass Boudiccas Armee nun eine ernsthafte Bedrohung der römischen Herrschaft in Britannien darstellte. Insgesamt wurden laut Tacitus ungefähr 70.000 römische Bürger und mit Rom verbündete Britannier durch Boudiccas Armee getötet.

Auch für die Zerstörung von Londinium und Verulamium liegen inzwischen archäologische Funde vor. So wurde ein mit Colchester vergleichbarer Zerstörungshorizont in Ausgrabungsstätten in London gefunden, der zwischen 30 und 60 cm dick ist. Die Ausgrabungen zeigen, dass von der damaligen Siedlung Londinium nur wenige Gebäude die Brandschatzung überstanden haben.[33] Die Ausgrabungen in St Albans liefern weniger eindeutige Ergebnisse zum Schicksal von Verulamium, denn bisher wurden wenig Hinweise für einen wirklich umfangreichen Brand in der Siedlung um die Zeit gefunden. Hingley und Unwin vermuten, dass Verulamium entweder eine wesentlich kleinere Siedlung war als Camulodunum und Londinium, so dass auch weniger zu verbrennen war, oder die Zerstörung von Verulamium war weniger umfassend als in den beiden anderen Siedlungen.[34]

Die Schlacht an der Watling Street

Schlacht an der Watling Street
Teil von: Aufstand der Icener und Trinovanten
gegen die Römer

Schematische Darstellung der Schlacht
Datum 61 n. Chr.
Ort unbekannt (wahrscheinlich Manduessedum an der Watling Street)
Ausgang Sieg der Römer
Konfliktparteien

Britannier

Römisches Reich

Befehlshaber

Boudicca

Suetonius Paulinus

Truppenstärke
angeblich über 80.000 10.000
Verluste

angeblich 80.000

400 Getötete, 400 Verletzte


Die Schlacht zwischen Suetonius Paulinus und Boudiccas Armee der Aufständischen wird ausführlich in Tacitus’ Annalen beschrieben.

Ort und Aufstellung

Der genaue Ort der damaligen Schlacht wurde bisher noch nicht gefunden; Tacitus macht dazu keine genauen Angaben. Einer der am häufigsten gemachten Vorschläge lautet, dass die beiden Streitmächte auf der Watling Street, die London mit dem Nordwesten verbindet, entlang zogen und in der Nähe des heutigen Atherstone oder Mancetter (damals Manduessedum) aufeinander trafen.[35]

Suetonius Paulinus standen etwa 10.000 Mann – bestehend aus der Legio XIV, Vexillationen der Legio XX sowie Auxiliartruppen – zur Verfügung. Von der Legio II in Exeter unter dem Praefectus Castrorum Poenius Postumus hatte Suetonius jedoch keine Unterstützung erhalten, da dieser sich weigerte, sich mit Suetonius’ Streitkräften zu verbinden. Suetonius Paulinus wählte laut Tacitus als Kampfplatz eine durch eine Schlucht begrenzte Ebene mit Wald im Hintergrund, so dass er die Feinde auf einer offenen Ebene vor sich hatte und keinen Hinterhalt befürchten musste. Die Legionssoldaten wurden in dichten Reihen aufgestellt, auf beiden Seiten die Hilfstruppen und auf den äußersten Flügeln die Reiterei. Tacitus schreibt, dass die Britannier in ungeordneten Haufen umherliefen. Außerdem, so behauptet Tacitus, hätten sie voller Siegeszuversicht ihre Frauen mitgebracht, die auf Wagen am äußersten Rand der Ebene saßen.[36]

Verlauf

Nach den Reden, die die beiden Heerführer Boudicca und Suetonius laut Tacitus an ihre Heere gehalten hatten, begann die Schlacht. Die Legion blieb zu Beginn unbeweglich in der Deckung der Schlucht stehen und ließ den Gegner in Reichweite für ihre Wurfspieße kommen. Nachdem sie dann auf die ungeordnet anrückenden Britannier ihre Wurfspieße geworfen hatte, rückte sie in einer geordneten Phalanx vor und trieb einen Keil in die Reihen der Angreifer. Auch die Hilfstruppen und die Reiterei gingen nun vor und die Britannier konnten nicht mehr standhalten. Sie wandten sich zur Flucht, doch war ein Entkommen schwierig, da die Fluchtwege von den umherstehenden eigenen Wagen versperrt wurden. So wurden die Fliehenden samt ihren Frauen von den Römern niedergemetzelt. Tacitus berichtet von Verlusten in Höhe von 80.000 Personen auf britannischer Seite, gegenüber 400 Toten und ebenso wenig Verletzten auf römischer Seite.[37] Historiker halten die Zahlenangaben für übertrieben, nehmen aber an, dass die Römer tatsächlich trotz einer zahlenmäßigen Unterlegenheit Boudiccas Streitkräfte besiegten.[38]

Bewertung

Das Ende des Aufstands hat Tacitus in der Agricola so zusammengefasst: „Der glückliche Ausgang einer einzigen Schlacht brachte die Provinz in ihre alte Unterwürfigkeit.“[39] Unklar ist, wie groß die Chancen Boudiccas und ihrer Truppen tatsächlich waren, die Römer entscheidend zu schlagen und damit die Geschichte der Eroberung Britanniens in völlig neue Bahnen zu lenken. Der Archäologe Graham Webster schreibt, dass der gescheiterte Boudicca-Aufstand wohl ein Wendepunkt für viele Britannier war, denn bis dahin gab es noch die reale Möglichkeit, dass die Römer von der vollständigen Eroberung Britanniens Abstand nehmen. Diese Hoffnung war mit dem Sieg über Boudiccas Armee zunichtegemacht.[40]

Folgen des Aufstandes

Über das weitere Schicksal Boudiccas gibt es zwei Versionen: Tacitus berichtet, dass Boudicca sich durch Gift das Leben nahm,[41] Cassius Dio hingegen meint, dass Boudicca erkrankte und starb.[42] Den Stamm der Icener hatte der Aufstand jedoch hart getroffen, da sich das Volk im Verlauf des Krieges nicht um die Ernte gekümmert hatte und deshalb in der Folge unter einer großen Hungersnot litt.

Poenius Postumus, der sich geweigert hatte, Suetonius Paulinus mit der Legio II zu unterstützen, stürzte sich nach dessen Sieg in sein eigenes Schwert, um so seine Ehre wiederzugewinnen.[43]

Suetonius galt nun unter den Römern zwar als Held, wurde aber für seine Vergeltungsaktionen gegen die Icener und Trinovanten auch stark kritisiert. Seine extrem harten Strafaktionen drohten die britische Insel in ein Chaos zu stürzen. Nero beauftragte deshalb seinen Freigelassenen Polyclitus mit der Untersuchung der Vorwürfe, worauf Suetonius Paulinus noch im selben Jahr durch Publius Petronius Turpilianus ersetzt wurde. Letzterer unternahm keine weiteren militärischen Aktionen gegen die Icener und die anderen aufständischen Stämme. Der Aufstand hatte derartig starke negative Auswirkungen auf die Moral und die Kampfstärke der römischen Truppen, dass für die nächsten zehn Jahre keine weiteren Eroberungsversuche in Britannien unternommen wurden.[44] Der Biograf Sueton berichtet, dass die Ereignisse des Boudicca-Aufstandes Nero sogar zu der Überlegung veranlasst hätten, sich ganz aus Britannien zurückzuziehen.[45]

Die Icener wurden nach dieser Auseinandersetzung mittels einer strengen militärischen Herrschaft kontrolliert, erhielten jedoch auf Veranlassung der Römer in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts erneut eine autonome Regierung. Die zurückhaltende Politik der Römer (vor allem unter Marcus Trebellius Maximus, 63–69) dauerte bis 71 an, als Quintus Petilius Cerialis – der selber beinahe sein Leben im Boudicca-Aufstand verloren hatte – zum neuen Statthalter von Britannien ernannt wurde und die Eroberungsfeldzüge in den Westen und Norden Britanniens wieder aufnahm.

Rezeption

Die Statue der Boudicca und ihrer Töchter im Streitwagen von Thomas Thornycroft von 1902, Thames Embankment, London

Boudicca und der Boudicca-Aufstand sind seit der Wiederentdeckung der antiken Quellen in der Renaissance beliebte Motive in Literatur und Kunst, ab dem 20. Jahrhundert auch in Film und Fernsehen. Ein Beispiel für eine literarische Verarbeitung des Boudicca-Aufstands ist die Ode des englischen Dichters William Cowper von 1782, Boadicea: An Ode. Besonders bekannt ist die Darstellung der Boudicca als Teil der Statuengruppe von Thomas Thornycroft aus dem Jahr 1902, die auf dem Thames Embankment in London aufgestellt ist. Auch in Filmen und Fernsehsendungen ist Boudiccas Aufstand verarbeitet, so im Film Boudica von 2003 mit Alex Kingston in der Hauptrolle sowie in der Serie Terra X im deutschen Fernsehen.[46]

Siehe auch

Quellen

  • Cassius Dio: Römische Geschichte. Übersetzt von Otto Veh, Band 3 (= Bücher 44–50), 4 (= Bücher 51–60), 5 (= Bücher 61–80), Artemis-Verlag, Zürich 1986–1987, ISBN 3-7608-3672-0, ISBN 3-7608-3673-9 und ISBN 3-7608-3675-5. (englische Übersetzung online, relevant für Boudicca ist Buch 62,1-12)
  • Tacitus: Annalen. Lateinisch/deutsch herausgegeben von Erich Heller, 5. Auflage. Artemis & Winkler, München/Zürich 2005, ISBN 3-7608-1645-2. (lateinischer Text online, für Boudicca relevant ist Buch 14,29-39)
  • Tacitus: Agricola. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort hg. von Robert Feger (RUB 836). Reclam, Stuttgart 1973. (englische Übersetzung online, relevant für Boudicca sind die Kapitel 14 bis 16)

Literatur

  • Miranda Aldhouse-Green: Boudica Britannia. Taylor & Francis, London 2006, ISBN 978-1-4058-1100-2.
  • Kai Brodersen: Das römische Britannien. Primus-Verlag, Darmstadt 1998, ISBN 3-89678-080-8.
  • Donald R. Dudley, Graham Webster: The Rebellion of Boudica. Routledge & Kegan Paul, London 1962.
  • Caitlin C. Gillespie: Boudica. Warrior Woman of Roman Britain. Oxford University Press, Oxford/New York 2018, ISBN 978-0-19-060907-8.
  • Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9.
  • Erich Koestermann (Komm.): Cornelius Tacitus, Annalen. 4. Band. Winter, Heidelberg 1968.
  • Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7.
  • Graham Webster: Boudica: The British Revolt Against Rome AD 60, Revised Edition/Reprint. Routledge, Abingdon 1999, ISBN 0-415-22606-6.

Weblinks

Commons: Battle of Watling Street – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 42–43.
  2. In der englischen Literatur wird Terra Sigillata in der Regel als "Samian ware" bezeichnet.
  3. Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7, S. 22–26.
  4. Graham Webster: Boudica: The British Revolt Against Rome AD 60, Revised Edition/Reprint. Routledge, Abingdon 1999, ISBN 0-415-22606-6, S. 121.
  5. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 180.
  6. Tacitus, Annales 14,31,1.
  7. Miranda Aldhouse-Green: Boudica Britannia. Taylor & Francis, London 2006, ISBN 978-1-4058-1100-2, S. 177–178.
  8. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 47.
  9. Tacitus, Annales 14,31.
  10. Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7, S. 19.
  11. Tacitus, Annales 14,31.
  12. Cassius Dio, Römische Geschichte 62,2.
  13. Kai Brodersen: Das römische Britannien. Primus-Verlag, Darmstadt 1998, ISBN 3-89678-080-8, S. 99.
  14. Stephen L. Dyson: Native Revolts in the Roman Empire. In: Historia. Band 20, Heft 2/3, 1971, S. 239–274, hier S. 259; Mary F. Gyles: Effects of Roman Capital Investment in Britain under Nero. In: Dieselbe, Eugene Wood Davis (Hrsg.): Laudatores temporis acti. Studies in memory of Wallace Everett Caldwell (= The James Sprunt Studies in history and political science. Band 46). University of North Carolina Press, Chapel Hill 1964, S. 99–109.
  15. Donald R. Dudley, Graham Webster: The Rebellion of Boudica. Routledge & Kegan Paul, London 1962, S. 53.
  16. Miranda Aldhouse-Green: Boudica Britannia. Taylor & Francis, London 2006, ISBN 978-1-4058-1100-2, S. 144–167.
  17. Caitlin C. Gillespie: Boudica. Warrior Woman of Roman Britain. Oxford University Press, Oxford/New York 2018, ISBN 978-0-19-060907-8, S. 110–111.
  18. Michael Roberts: The Revolt of Boudicca (Tacitus, Annals 14.29–39) and the Assertion of Libertas in Neronian Rome. In: American Journal of Philology. Band 109, Nummer 1, 1988, S. 118–132, hier S. 122.
  19. Miranda Aldhouse-Green: Boudica Britannia. Taylor & Francis, London 2006, ISBN 978-1-4058-1100-2, S. 87–88.
  20. Miranda Aldhouse-Green: Boudica Britannia. Taylor & Francis, London 2006, ISBN 978-1-4058-1100-2, S. 126.
  21. Donald R. Dudley, Graham Webster: The Rebellion of Boudica. Routledge & Kegan Paul, London 1962, S. 144–145.
  22. Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7, S. 12–13.
  23. Tacitus: Agricola, 16.
  24. Cassius Dio, Römische Geschichte 62,7.
  25. Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7, S. 13.
  26. Tacitus, Annales 14,32.
  27. Tacitus, Annales 14,43,3.
  28. Tacitus, Annales 14,32,3.
  29. Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7, S. 22.
  30. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 80–83.
  31. Peter Salway: Roman Britain. Oxford University Press, Oxford 1981, S. 118 mit Anmerkung 1.
  32. 32,0 32,1 Tacitus, Annales 14,33.
  33. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 88.
  34. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 95–96.
  35. Graham Webster: Boudica: The British Revolt Against Rome AD 60, Revised Edition/Reprint. Routledge, Abingdon 1999, ISBN 0-415-22606-6, S. 111.
  36. Tacitus, Annales 14,34.
  37. Tacitus, Annales 14,37.
  38. Richard Hingley, Christina Unwin: Boudica. Iron Age Warrior Queen. Hambledon Continuum, London 2005, ISBN 1-85285-516-9, S. 52.
  39. Tacitus, Agricola 16,2.
  40. Graham Webster: Boudica: The British Revolt Against Rome AD 60, Revised Edition/Reprint. Routledge, Abingdon 1999, ISBN 0-415-22606-6, S. 129.
  41. Tacitus, Annales 14,37,3.
  42. Cassius Dio, Römische Geschichte 62,12,6.
  43. Tacitus, Annales 14,37,3.
  44. Paul R. Sealey: The Boudican Revolt against Rome (Shire Archaeology; Bd. 74). Shire Books, Prines Risborough 2004, ISBN 0-7478-0618-7, S. 52.
  45. Sueton, Nero 18; 39–40.
  46. Die Kelten (3/3): Aufstand der Königin. In: zdf.de, aufgerufen am 30. September 2020.

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