Wüstenbildung trieb Säugetiere aus Eurasien nach Afrika
Die Entstehung von Wüsten auf der Arabischen Halbinsel hatte in den vergangenen Jahrmillionen entscheidende Auswirkungen auf die Wanderungsbewegungen und Evolution großer Säugetiere und unserer menschlichen Vorfahren. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen in einer neuen Studie.
Die Wissenschaftler rekonstruierten die Klimageschichte der nördlichen Arabischen Halbinsel zwischen 12,5 und 2,5 Millionen Jahren vor heute anhand von Daten, die sie aus Gesteinen Mesopotamiens gewannen. Daraus ergaben sich neue Hinweise auf die Ursachen der Tierwanderungen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communication Earth & Environment veröffentlicht.
Die Evolution der heutigen afrikanischen Savannenfauna vollzog sich in den vergangenen fünf Millionen Jahren in relativer Abgeschiedenheit. Das war seit längerem bekannt – wie auch die Tatsache, dass die Vorfahren vieler Savannentiere wie Nashörner, Giraffen, Hyänen und Großkatzen aus Eurasien stammten. Was jedoch die Tiere zu diesem großräumigen Ortswechsel zwischen den Kontinenten bewog, war bisher unklar.
Publikation:
Madelaine Böhme, Nikolai Spassov, Mahmoud Reza Majidifard, Andreas Gärtner, Uwe Kirscher, Michael Marks, Christian Dietzel, Gregor Uhlig, Haytham El Atfy, David R. Begun, Michael Winklhofer
Neogene hyperaridity in Arabia drove the directions of mammalian dispersal between Africa and Eurasia
Nature Communications Earth & Environment
DOI: 10.1038/s43247-021-00158-y
Gestein speichert Klimadaten
Die nördliche Arabische Halbinsel ist das Tor zu Afrika. Sie umfasst heute sowohl Wüstengebiete wie die Syrische Wüste, die israelische Wüste Negev und die saudische Wüste Nefud als auch feuchtere Steppen und Halbwüsten im Zweistromland Mesopotamiens, dessen größter Teil auf dem Gebiet des heutigen Irak liegt. Das Forscherteam untersuchte die 2,6 Kilometer mächtigen Gesteinsschichten am Fuße des Zagros-Gebirges im heutigen Iran, am Rand Mesopotamiens, mit chemischen, physikalischen und geologischen Methoden.
Es fand Belege für vier kurze, nur jeweils wenige Zehntausende Jahre währende Phasen der Wüstenbildung in Mesopotamien. Diese Phasen vor 8,75 Millionen, 7,78 Millionen, 7,5 Millionen und 6,25 Millionen Jahren wurden jeweils durch Abschnitte mit feuchterem Klima unterbrochen. „Vor 5,6 Millionen Jahren, zeitgleich mit der vorübergehenden Austrocknung des Mittelmeers, kam es in Mesopotamien zu einer 2,3 Millionen Jahre lang andauernden extremen Dürre“, sagt Madelaine Böhme. Diese außergewöhnlich langanhaltende Periode mit Wüstenklima – von Böhmes Team als NADX (Neogen Arabian Desert climaX) bezeichnet – sei erst durch eine globale Erwärmung vor 3,3 Millionen Jahren beendet worden.
Phasen der Wanderung und Isolation
„Anders als wir erwartet hatten, stimmten diese Wüstenphasen auf der Arabischen Halbinsel nicht mit denen in der afrikanischen Sahara überein“, berichtet Böhme. Die Wüstenbildung in der Sahara sei ursächlich an polare Eisbildungen geknüpft, die auf der Arabischen Halbinsel und in Mesopotamien, so die Ergebnisse, hingegen an einen niedrigen Wasserspiegel im Kaspischen Meer. „Das wechselseitige Entstehen und Vergehen von Wüsten in der Sahara im Norden Afrikas einerseits und auf der Arabischen Halbinsel im Westen Asiens andererseits gleicht einer Art Schaukel, einer Wüstenschaukel“, sagt die Forscherin.
Das Forscherteam vermutet, dass diese wechselnden und zunächst kurzzeitigen Wüstenbil-dungen in Mesopotamien als Push-Faktoren die treibende Kraft für die Ausbreitung der Säugetiere aus Eurasien nach Afrika waren. In der folgenden extrem langandauernden Wüstenphase NADX sei hingegen der afrikanische Kontinent für 2,3 Millionen Jahre von Einwanderungen und vom Austausch mit Eurasien abgeschnitten gewesen. „In dieser Zeit entstand aus den eurasischen Einwanderern die heutige afrikanische Savannenfauna, und die Australopitheciden entwickelten sich, unsere menschlichen Vorfahren“, erklärt Böhme. Mit der globalen Warmperiode vor 3,3 Millionen Jahren wichen die Wüsten in beiden Kontinenten und beendeten die Isolation Afrikas, zwischen den Faunen Afrikas und Eurasien ent-stand ein wechselseitiger Austausch. In Afrika erschienen erste Hunde, Schweine und Schafe, nach Eurasien wanderten die Vorläufer des Mammuts und des Asiatischen Elefanten ein.
Erklärung für zwei Phänomene
„Aus unserer Studie ergeben sich erstmals klimatologische Erklärungen für zwei zentrale Phänomene“, fasst Böhme zusammen. Zum einen untermauerten diese die von ihr formulierte ‚Out-Of-Europe‘-Hypothese, nach der sich die Vorfahren von afrikanischen Menschenaffen und Menschen in Europa entwickelten, vor sechs bis sieben Millionen Jahren jedoch Richtung Süden wanderten, sodass sich ihre weitere Evolution in Afrika abspielte. Zum anderen ließe sich so erklären, warum die Evolution der afrikanischen Savannenfauna, einschließlich der menschlichen Vorfahren, in einer langen Phase der Abgeschiedenheit stattfand.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Eberhard Karls Universität Tübingen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt