Verstehen ohne Worte - dem Ursprung der Sprache einen Schritt näher

Presseldung vom 12.05.2021

Lautmalereien könnten die entscheidende Rolle bei der Entstehung der menschlichen Sprache gespielt haben. Darauf deuten die Ergebnisse einer weltweit durchgeführten Studie eines internationalen Forscherteams hin.


Nicht nur Gesten, sondern auch Lautmalereien könnten ein wesentlicher Baustein für die Entstehung der menschlichen Sprache gewesen sein. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie mit knapp 1000 Forschenden aus 28 Sprachen.

In der gegenwärtigen Forschung zur Evolution der Sprache wird generell angenommen, dass unsere Vorfahren sich vor allem mit Hilfe von ikonischen Gesten verständigten, (zum Beispiel mit den Armen schlagen für ‘Vogel’) und dass sich daraus die ersten menschlichen Sprachen entwickelt haben. Der Übergang von einer Verständigung mit Gesten zu einer Verständigung mit hörbaren Worten in diesem Prozess ist jedoch unklar. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Expertinnen und Experten des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin und der University of Birmingham hat nun herausgefunden, dass ikonische Vokalisierungen, also Lautmalereien, die bestimmte Lebewesen, Gegenstände, Handlungen oder Eigenschaften beschreiben, eine viel größere Bandbreite an Bedeutungen haben und diese viel akkurater vermitteln können als bisher angenommen wurde.


Die unerschöpfliche menschliche Sprache

Publikation:


Aleksandra Ćwiek, Susanne Fuchs, Christoph Draxler, Eva Liina Asu, Dan Dediu, Katri Hiovain, Shigeto Kawahara, Sofia Koutalidis, Manfred Krifka, Pärtel Lippus, Gary Lupyan, Grace E. Oh, Jing Paul, Caterina Petrone, Rachid Ridouane, Sabine Reiter, Nathalie Schümchen, Ádám Szalontai, Özlem Ünal-Logacev, Jochen Zeller, Bodo Winter, and Marcus Perlman
Novel Vocalizations are Understood across Cultures
Scientific Reports

DOI: 10.1038/s41598-021-89445-4



Die Forschenden untersuchten, ob Sprechende ganz unterschiedlicher Sprachen überall auf der Welt 30 verschiedene Bedeutungen anhand von Lautmalereien verstehen können. Dafür wurden Bedeutungen gewählt, die in allen Kulturen vorkommen und die in der frühen Sprachevolution relevant gewesen sein könnten. Die Bedeutungen umfassten Lebewesen, insbesondere Menschen und Tiere (Kind, Mann, Frau, Tiger, Schlange, Hirsch), unbelebte Gegenstände und Zustände (Messer, Feuer, Stein, Wasser, Fleisch, Frucht), Handlungen (sammeln, kochen, verstecken, schneiden, jagen, essen, schlafen), Eigenschaften (stumpf, scharf, groß, klein, gut, schlecht), Quantifizierer (eins, viele) und Demonstrativpronomen (dies, das).

Es hat sich gezeigt, dass die von englischen Sprechern produzierten Lautmalereien von Studienteilnehmern mit ganz unterschiedlichem kulturellen und sprachlichen Hintergrund verstanden werden konnten. An der Studie haben Sprecher von 28 Sprachen aus 12 Sprachfamilien teilgenommen, darunter auch Gruppen aus Kulturen ohne Schriftsprache wie Palikúr, die im Amazonaswald leben, und Sprecher des Daakie auf der Insel Ambrym im südpazifischen Vanuatu. Unabhängig vom Sprachhintergrund erfassten die Studienteilnehmer die beabsichtigten Bedeutungen der Lautmalereien mit einer Treffsicherheit, die weit über dem reinen Zufall liegt.

Die Studie wurde einerseits als Online-Experiment durchgeführt, was es den Forscherinnen und Forschern ermöglichte, eine große Anzahl unterschiedlicher Forschenden auf der ganzen Welt zu testen. Andererseits konnten in einem Feldforschungsexperiment Forschenden teilnehmen, welche in überwiegend mündlich geprägten Gesellschaften an entlegenen Orten leben, wie zum Beispiel auf der Insel Ambrym im südpazifischen Vanuatu.

Die Forscherenden fanden heraus, dass einige Bedeutungen durchgehend besser verstanden wurden als andere. Im Online-Experiment reichte die Genauigkeit von 98% für das Verb "schlafen" bis zu 35% für das Demonstrativpronomen "das". Am besten konnten die Teilnehmer die Bedeutungen 'schlafen', 'essen', 'Kind', 'Tiger' und 'Wasser' erkennen, am schlechtesten die Bedeutungen 'das', 'sammeln', 'stumpf', 'scharf' und 'Messer'.



Die Ergebnisse der Studie liefern klare Hinweise dafür, dass ikonische Vokalisierungen, also Lautmalereien, zu der Entstehung gesprochener Wörter geführt haben können. Die Forschenden gehen aber auch davon aus, dass ikonische Gesten ebenfalls eine entscheidende Rolle in der Evolution der menschlichen Kommunikation gespielt haben, wie es auch bei der modernen Entstehung von Gebärdensprachen der Fall ist. Unsere heutige gesprochene Sprache ist multimodal, sie kann daher aus hörbaren Lautmalereien und sichtbaren Gesten entstanden sein.


Info
Über das Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin

Das ZAS ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut des Landes Berlin. Aufgabe des Zentrums ist die Erforschung der menschlichen Sprachfähigkeit im Allgemeinen und deren Ausprägung in Einzelsprachen. Ziel ist es, diese zentrale Fähigkeit des Menschen und ihre biologischen, kognitiven und sozialen Faktoren besser zu verstehen.



Diese Newsmeldung wurde mit Material Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V. (GWZ) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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