Späte Neandertaler auf der Schwäbischen Alb nutzten ausgeklügelte Techniken

Presseldung vom 08.09.2021

Neandertaler, die vor mehr als 45 000 Jahren auf der Schwäbischen Alb lebten, haben bei der Herstellung von Steinwerkzeugen anspruchsvolle Techniken mit verzweigten Arbeitsgängen verwendet. Das belegen Sammlungen steinerner Artefakte von der Fundstelle Heidenschmiede, aus denen ihre Vorgehensweise rekonstruiert werden konnte.


Die Heidenschmiede, ein Felsdach oder Abri bei Heidenheim an der Brenz auf der östlichen Schwäbischen Alb, wurde 1928 von dem Amateurarchäologen Hermann Mohn als Fundstelle von frühen Menschen bearbeiteter Steine und Knochen entdeckt und ausgegraben. „Seit dem Erscheinen einer ersten Publikation über die Funde 1931 ruhte die Forschungsarbeit weitgehend. Unsere Studie ist seither die erste detaillierte Untersuchung, die sich mit den zahlreichen Funden befasst und diese näher einordnet“, berichtet Benjamin Schürch. Die Knochen- und Steinwerkzeuge stammten aus dem Mittelpaläolithikum, der Mittleren Altsteinzeit, und seien mindestens 50.000 bis 42.000 Jahre alt. „In diesem Zeitraum lebten noch keine modernen Menschen unserer heutigen Art Homo sapiens in der Region. Es waren späte Neandertaler, die sich in der Heidenschmiede aufhielten.“


Mittelpaläolithischer Kern aus der Heidenschmiede: Durch Zusammensetzen dieser Steinartefakte konnte das Forschungsteam das verzweigte Herstellungskonzept nachvollziehen.

Publikation:


Berrin Çep, Benjamin Schürch, Susanne C. Münzel, Jens Axel Frick
Adaptive Capacity and Flexi-bility of the Neanderthals at Heidenschmiede (Swabian Jura) with Regard to Core Reduction Strategies
PLOS ONE

DOI: 10.1371/journal.pone.0257041



Einzelstücke wieder zusammengefügt

Aus Stein fertigten die Neandertaler unter anderem Klingen, Schaber, Keilmesser, zum Beispiel für die Bearbeitung von Leder, und auch Spitzen, die bei der Jagd zum Einsatz kamen. „Es war bekannt, dass sie verschiedene Konzepte zur Herstellung solcher Werkzeuge nutzten“, sagt Berrin Çep, die Erstautorin der neuen Studie. Sie hat versucht, einzelne Stücke wieder zusammenzufügen, um genauer zu verstehen, wie die Menschen in der Heidenschmiede vorgegangen sind. „In einzelnen Fällen ist es uns gelungen, im Detail nachzuvollziehen, wie aus sogenannten Kernen zunächst weitere Grundformen, wie zum Beispiel Abschläge und Klingen, gefertigt und diese zu Werkzeugen weiterverarbeitet wurden“, sagt Çep. „Solche Rekonstruktionen sind an den Höhlenfundstellen der Neandertaler auf der Schwäbischen Alb nur selten möglich, da in der Regel nicht das ganze Material des Herstellungsprozesses am Fundort zurückbleibt. Auch wurden bei forschungsgeschichtlich frühen Grabungen häufig nicht alle Funde erfasst.“

Erster Beleg aus dieser Region

„Anhand der Zusammensetzungen der Steinartefakte konnten wir nachweisen, dass die Neandertaler an der Heidenschmiede ein verzweigtes Herstellungssystem angewendet haben. Ein einzelnes Ausgangsstück wurde nach verschiedenen Konzepten, von denen die Menschen ein ganzes Reservoir kannten, in getrennten Arbeitsgängen bearbeitet“, erklärt Schürch. Solch anspruchsvollen Fertigungsprozesse seien aus der Mittleren Altsteinzeit bisher erst selten nachgewiesen worden. „Für die Schwäbische Alb ist es der erste Beleg“, setzt Jens Axel Frick hinzu. Wer das Rohmaterial aus Stein bearbeitet hat, musste in der Lage sein, von Vornherein zu bedenken, dass Teile des Steins mit einer anderen Technik weiterbearbeitet werden können.

Vergrößerter Ausschnitt einer Deutschlandkarte mit eingezeichneten Fundstellen aus dem Mittelpaläolithi-kum des Schwäbischen Jura. Die Heidenschmiede liegt in Heidenheim an der Brenz auf der östlichen Schwäbischen Alb (oben rechts, rot markiert).

Das Forschungsteam bescheinigt den Bearbeitern der Steine aus der Heidenschmiede insgesamt ein ausgezeichnetes Arbeitsgedächtnis. Die neuen Studienergebnisse untermauerten andere Untersuchungen, denen zufolge die Neandertaler große geistige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit besaßen, gepaart mit handwerklichem Geschick. Zugleich lieferten die sichtbar gemachten verzweigten und durchdachten Herstellungsprozesse auch eine Erklärung dafür, warum im Mittelpaläolithikum eine große Formenvielfalt bei Steinartefakten zu finden sei.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Eberhard Karls Universität Tübingen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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