Neandertalern drohte schon vor 50.000 Jahren das Aus
Drastischer Einschnitt in der Bevölkerungszahl lang vor Ankunft des modernen Menschen in Europa
Neandertaler waren bereits am Rande des Aussterbens, als der moderne Mensch in Europa auf der Bildfläche erschien. Neue DNA-Analysen legen nahe, dass die meisten westeuropäischen Neandertaler schon vor 50.000 Jahren im Begriff waren auszusterben - Tausende von Jahren vor der Ankunft unserer eigenen Art in Europa. Eine kleine Gruppe von Neandertalern hat dann Teile Europas erneut besiedelt und überlebte 10.000 Jahre lang, bevor diese Menschenart endgültig verschwand.
Publikation:
Love Dalen et al.
Partial genetic turnover in neandertals: continuity in the east and population replacement in the west
Mol Biol Evol 29(4)
Ein internationales Forscherteam untersuchte die Variationen (oder die Vielfalt) in der mitochondrialen DNA aus den Knochen von 13 Neandertalern. Diese Art der genetischen Information wird nur auf der mütterlichen Linie weitergegeben. Da Zellen mehrere Kopien des mitochondrialen Genoms enthalten, ist es leichter, diese DNA aus alten Knochenresten zu extrahieren, als die DNA in den Zellkernen.
Die analysierten Fossilien stammen aus Europa und Asien und umspannen einen Zeitraum von vor 100.000 Jahren bis vor etwa 35.000 Jahren. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass westeuropäische Fossilien, die älter als 48.000 Jahre sind, sowie die Exemplare aus Asien, beträchtliche genetische Variationen zeigen. Dagegen zeigen Exemplare aus Westeuropa, die jünger als 48.000 Jahre sind, eine viel geringere genetische Vielfalt - die Variationen bei den älteren Überresten und bei den asiatischen Neandertalern war sechsmal größer als bei den westlichen Exemplaren.
In ihrer Studie schlagen die Wissenschaftler vor, dass ein Ereignis - möglicherweise eine Klimaveränderung - die Neandertaler-Populationen im Westen vor rund 50.000 Jahren zum Kollaps brachte. Populationen in den wärmeren, südlichen Gefilden hätten aber überlebt, so dass eine erneute Ausbreitung erfolgen konnte. Geringe genetische Variation kann dafür verantwortlich sein, dass eine Spezies eher anfällig für Veränderungen in seiner Umwelt ist und daher ein erhöhtes Risiko des Aussterbens trägt.
"Die Tatsache, dass Neandertaler in Europa fast ausgestorben waren, sich dann aber wieder erholt haben - und das lange vor dem ersten Kontakt mit dem modernen Menschen, hat uns völlig überrascht, sagte der leitende Autor der Studie Love Dalen vom Museum of Natural History in Stockholm. "Dies zeigt, dass die Neandertaler vielleicht empfindlicher auf die dramatischen Klimaveränderungen der letzten Eiszeit reagierten, als bisher angenommen wurde."
Die letzten Neandertaler könnten in Südeuropa bis vor 24.000 Jahren überlebt haben. Neandertaler sind enge evolutionäre Verwandte des modernen Menschen und waren einmal in ganz Europa, dem Mittleren Osten und in Zentralasien verbreitet. Die Gründe für ihren Niedergang werden auch heute noch heftig diskutiert.
Das Erscheinen des modernen Menschen in Europa zu der Zeit, als der Neandertaler bereits im Aussterben begriffen war, bietet Raum für Spekulationen, dass wir an diesem Prozess nicht ganz unschuldig waren, doch auch Klimaveränderungen und andere Faktoren könnten ein wesentlicher Grund gewesen sein.
"Die genetische Vielfalt bei geologisch älteren Neandertalern, als auch bei asiatischen Neandertalern, war ebenso groß wie beim modernen Menschen", sagt Co-Autor Anders Götherström von der Universität Uppsala. "Dagegen waren die Variationen bei den späteren europäischen Neandertalern geringer als bei heutigen Isländern."
Die Forscher weisen darauf hin, dass der Rückgang der genetischen Vielfalt bei den westeuropäischen Neandertalern mit einer klimatischen Episode zusammenfällt, die man als Sauerstoff-Isotopenstufe 3 kennt und die durch mehrere kurze Perioden eisiger Temperaturen gekennzeichnet war. Diese kalten Perioden, so glauben die Forscher, wurden durch eine Störung der Meeresströmungen im Nordatlantik verursacht und es ist möglich, dass sie einen besonders starken Einfluss auf die Umwelt in Westeuropa hatten.
In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung gezeigt, dass die Neandertaler nicht die dummen Eiszeitmenschen waren, für die man sie lange hielt. Erst kürzlich haben Forscher verkündet, dass die Gemälde von Robben in der Höhle von Nerja in Südspanien - etwa 42.000 Jahre alt - die älteste bekannte Kunst von Neandertalern darstellen könnte. Jedoch ist diese Auslegung umstritten.
Diese Newsmeldung wurde mit Material Mol Biol Evol 29(4) erstellt