Menschliche Musikalität verbindet alle Kulturen: Kognitionsbiologen erforschen universelle Eigenschaften der Weltmusik

Presseldung vom 22.11.2019

Ist Musik wirklich eine "universelle Sprache"? Zwei Artikel in der aktuellen Ausgabe von Science unterstützen die These, dass Musik auf der ganzen Welt – trotz vieler Unterschiede – große Gemeinsamkeiten aufweist. Forscherinnen und Forscher unter der Leitung von Samuel Mehr von der Universität Harvard haben eine umfassende Analyse der Musik verschiedenster Kulturen durchgeführt. Die Kognitionsbiologen Tecumseh Fitch und Tudor Popescu von der Universität Wien kommen zum Schluss, dass die menschliche Musikalität alle Kulturen der Welt vereint.


Die weltweit vorhandenen Musikstile sind, zumindest oberflächlich betrachtet, so unterschiedlich, dass Musikwissenschafter oft skeptisch sind, ob sie wichtige gemeinsame Merkmale besitzen. "Universalität ist ein großes – und gefährliches – Wort", sagte einst Leonard Bernstein. Tatsächlich wurde Universalität in der Ethnomusikologie fast schon als Schimpfwort angesehen. Neue Forschungsergebnisse könnten die Suche nach grundlegenden universellen Aspekten der menschlichen Musikalität wiederbeleben.


Universalität wurde in der Ethnomusikologie fast schon als Schimpfwort angesehen. Neue Forschungsergebnisse könnten die Suche nach grundlegenden universellen Aspekten der menschlichen Musikalität aber wiederbeleben.

Publikation:


W. Tecumseh Fitch, Tudor Popescu
The world in a song
Science, 2019

DOI: 10.1126/science.aay2214



Samuel Mehr von der Universität Harvard fand nun heraus, dass alle untersuchten Kulturen Musik machen. In ähnlichem Kontext verwenden sie ähnliche Arten von Musik mit jeweils einheitlichen Merkmalen. Tanzmusik ist beispielsweise im Vergleich schnell und rhythmisch, Schlaflieder sind sanft und langsam – dies gilt weltweit. Zudem zeigten sich in allen Kulturen Tonarten: Der Aufbau von kleinen Notenfolgen von einer Basisnote wie in der westlichen diatonischen Tonleiter.

Lieder, die zur Heilung beitragen sollen, bestehen im Vergleich zu Liebesliedern meist aus wenigen, eng beieinanderliegenden Noten. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass es tatsächlich universelle Charakteristiken für Musik gibt, die womöglich grundlegende Gemeinsamkeiten aufweisen – eine fundamentale „menschliche Musikalität“.

In einem Science-"Perspective"-Artikel in der gleichen Ausgabe kommentieren Tecumseh Fitch und Tudor Popescu von der Universität Wien die Schlussfolgerungen. Die menschliche Musikalität basiert grundlegend auf einer kleinen Anzahl von fixen Säulen: fest einprogrammierten Prädispositionen, die den Menschen durch die uralte physiologische Infrastruktur unserer gemeinsamen Biologie mitgegeben wurden. "Diese 'musikalischen Säulen' werden dann mit den Eigenheiten jeder individuellen Kultur 'gewürzt', aus dem das kaleidoskopische Sortiment hervorgeht, welches wir in der Weltmusik finden", erklärt Tudor Popescu.

"Diese neuen Forschungsergebnisse lassen ein faszinierendes Forschungsgebiet wiederaufleben, das von Carl Stumpf Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin vorangetrieben, aber auf tragische Art und Weise durch die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren beendet wurde", fügt Fitch hinzu.

Mit dem Zusammenrücken der Menschheit wächst auch der Wunsch, Gemeinsamkeiten in allen Aspekten unseres Verhaltens und unserer Kultur zu verstehen. Die neuen Erkenntnisse legen nahe, dass menschliche Musikalität eine dieser gemeinsamen Aspekte menschlicher Kognition darstellt. "So wie die Länder Europas in ihrer Vielfalt geeint sind, so vereint auch die Mischung der menschlichen Musikalität alle Kulturen dieses Planeten", folgert Tudor Popescu.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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