Massengrab aus Halberstadt belegt neue Facette jungsteinzeitlicher Gewalt


Eine im Online-Journal „Nature Communications“ vorgestellte Studie erweitert unsere Kenntnis über kollektive Gewaltanwendung in der Jungsteinzeit und zeigt eine komplexe Verflechtung möglicher Opfer- und Täterrollen in der Zeit der ersten Bauernkulturen in Mitteleuropa auf. Tödliche Schädelverletzungen, Isotopenanalysen und weitere Ergebnisse belegen, dass im nördlichen Harzvorland vor ca. 7.000 Jahren eine Gruppe von jüngeren und ortsfremden Erwachsenen gezielt zu Tode gebracht wurde. Vergleiche mit anderen, zeitgleichen Fundstellen aus anderen Regionen legen nahe, dass es sich hier wahrscheinlich um eine kontrollierte Hinrichtung gehandelt hat.


Das Zeitalter der ersten Bauernkulturen brachte nicht nur Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa, sondern auch die Anlage fester Siedlungen und ausgewiesener Bestattungsplätze. Während der Zeit der sog. Linienbandkeramik (vor ca. 7.500 bis 7.000 Jahren), welche den Beginn der Jungsteinzeit in unserer Gegend markiert, wurden Tote in der Regel sorgfältig in eigenen Gräbern beigesetzt, oft mit verschiedenen Grabbeigaben ausgestattet und ihre Körper zumeist in angehockter Seitenlage arrangiert. Auch Brandbestattungen kamen vor, die ebenfalls von einer Fürsorge der Hinterbliebenen für die Verstorbenen zeugen.


Das Massengrab von Halberstadt während der Ausgrabungen mit farblicher Markierung der einzelnen Individuen.

Publikation:


C. Meyer, C. Knipper, N. Nicklisch, A. Münster, O. Kürbis, V. Dresely, H. Meller, K. W. Alt
Early Neolithic executions indicated by clustered cranial trauma in the mass grave of Halberstadt
Nature Communications 9, 2472

DOI: 10.1038/s41467-018-04773-w



Seit den 1980er Jahren sind jedoch auch einige wenige Massengräber und andere komplexe Fundstellen dieser Kultur bekannt geworden, die menschliche Skelettreste enthielten und sich massiv von den regelhaft angelegten Bestattungen der Linienbandkeramiker unterscheiden. Zu nennen sind beispielsweise die Fundorte Herxheim, Talheim, Wiederstedt und Schöneck-Kilianstädten in Deutschland sowie Asparn/Schletz in Österreich. In den Massengräbern wurden zahlreiche Körper regellos in einer gemeinsamen Grabgrube deponiert; Beigaben fehlen, ebenso wie alle Anzeichen von Sorgfalt oder Fürsorge. In den meisten Fällen weisen die noch erhaltenen Skelettreste dieser Menschen deutliche Spuren tödlicher Schädelverletzungen auf und ihre Alters- und Geschlechtsverteilung – unter den Toten sind zu etwa gleichen Teilen Erwachsene und Kinder beiderlei Geschlechts - deuten an, dass hier mitunter ganze Siedlungsgemeinschaften gewaltsam ausgelöscht worden sind.

Im Jahr 2013 wurde durch ein Grabungsteam des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt ein neues Massengrab in Halberstadt entdeckt. 14C-Datierungen belegen, dass dieses Grab in denselben Zeithorizont fällt wie die bereits bekannten Massaker aus anderen Teilen Deutschlands und Österreichs. Die umfassende Untersuchung des zunächst im Block geborgenen Massengrabes brachte jedoch überraschend neue Facetten von kollektiver, tödlicher Gewaltanwendung ans Licht, die der Forschung bisher nicht bekannt waren. Die Ergebnisse dieser Analysen, an denen im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt verschiedene Forscher und Institutionen beteiligt waren, werden heute im international angesehenen Wissenschaftsjournal Nature Communications vorgestellt und interpretiert.

Zusammenstellung aller erhaltenen Schädelverletzungen im Massengrab.

Der Anthropologe und Archäologe Christian Meyer, Erstautor der Studie und aktuell bei OsteoARC – OsteoArchaeological Research Centre in Goslar tätig, konnte zusammen mit weiteren Kollegen dokumentieren, dass sich die Verteilung der Schädelverletzungen an den Skeletten aus Halberstadt deutlich von derjenigen anderer Fundorte unterscheidet: Die tödlichen Schläge zielten nahezu ausschließlich auf einen bestimmten Bereich des Hinterkopfes der Opfer. Diese waren - mit nur einer Ausnahme - jüngere Männer, die außer den schwerwiegenden Verletzungen, die rund um ihren Todeszeitpunkt entstanden, kaum andere Gebrechen aufwiesen. Kinder fehlen im Massengrab aus Halberstadt völlig. Diese sind jedoch andernorts häufig unter den Opfern von kollektiver steinzeitlicher Gewalt, so z. B. auch in den einige Jahrtausende jüngeren Familiengräbern von Eulau, die Teil der Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) sind. Isotopenanalysen an Proben von Knochen und Zahnschmelz konnten zudem belegen, dass die getöteten Personen aus dem Massengrab nicht aus der gleichzeitig bestehenden, jungsteinzeitlichen Siedlung in Halberstadt stammten.

In der Gesamtschau wird somit deutlich, dass dieser Befund einen anderen Ursprung hat als die bisher bekannten Massaker an bandkeramischen Gemeinschaften. Hier wurde offenbar keine lokale Dorfbevölkerung überraschend überfallen und in einer Grube verscharrt. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass hier eine Gruppe von gefangenen Personen fremder Herkunft kontrolliert getötet wurde. Möglicherweise bildet das Massengrab von Halberstadt somit geradezu einen Gegenpol zu den anderen Fundorten kollektiver Gewalt. Vorstellbar ist, dass die Toten selbst Aggressoren waren, die zwar einen Überfall planten, damit aber scheiterten.

Die Herkunft aus einiger Entfernung und das Überwiegen junger Männer würden zu einem derartigen Szenario passen. Möglich ist jedoch auch, dass es sich um Gefangene handelte, die von einem anderen Ort mitgebracht wurden. Eine solche Interpretation erscheint jedoch weniger wahrscheinlich, da bisher keine Anzeichen dafür vorliegen, dass in dieser Zeit männliche Personen bei Massakern verschont und gefangen genommen wurden. Dies wird nur für jüngere Frauen vermutet, da diese in anderen Massengräbern regelhaft nur in geringer Zahl unter den Getöteten zu finden sind.

In jedem Fall zeigt der Befund exemplarisch auf, dass die Grenzen zwischen Täter und Opfer fließend sein können, und komplexe Befunde auch komplexe Analysen und Antworten erfordern. Im Fall der vorliegenden Studie ermöglichte die Kombination aus klassischen anthropologischen und archäologischen sowie naturwissenschaftlichen Analysen (z. B. Strontium-Isotopenanalyse) den Nachweis der ältesten bisher bekannten gezielten Tötung Gefangener. Damit belegt sie einmal mehr das Potential, das die kombinierte Anwendung unterschiedlicher, aufeinander abgestimmter Methoden hinsichtlich der Auswertung komplexer und zunächst rätselhafter archäologischer Befunde birgt.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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