Lang ersehnte Veröffentlichung: Neues vom Ardipithecus ramidus


Die frühen Vorfahren des Menschen waren weniger affenähnlich als bisher angenommen


Wissenschaftler haben das älteste bekannte Skelett eines vermutlich menschlichen Vorfahren nach 15 Jahren Forschungsarbeit vorgestellt - und es steckt voller Überraschungen. Obwohl das Wesen mit dem wissenschaftlichen Namen Ardipithecus ramidus ein Gehirn und die Größe eines Schimpansen hatte, bewegte es sich nicht wie letztere im Knöchelgang fort oder schwang sich durch die Baumkronen. Stattdessen ging Ardi - so nennen die Forscher das weibliche Skelett - aufrecht, mit einem großen Fuß und einem kurzen, breiten Becken. "Wir dachten, die berühmte Lucy wäre der Fund des Jahrhunderts", sagt der Paläoanthropologe Andrew Hill von der Yale University, indem er auf das berühmte 3,2 Millionen Jahre alte Skelett eines Australopithecus afarensis hinweist, " aber jetzt im Nachhinein, war sie das möglicherweise nicht."


Der Ardipithecus ramidus konnte sowohl aufrecht gehen als auch mit den Füßen greifen. Ardipithecus lebte vor ca. 4,5 Millionen Jahren.

Publikation:


Wissenschaftsjournal Science
Themenschwerpunkt der Ausgabe vom 2. Oktober
www.sciencemag.org

Forscher haben lange darüber nachgedacht, ob unsere frühen Vorfahren eine Evolutionsphase durchlaufen haben, in der sie wie Proto-Schimpansen aussahen - mit kurzem Rücken und langen Armen, die an das Hangeln angepasst waren, und mit Becken und Gliedmaßen, die auf eine knöchelgehende Fortbewegung hinweisen. Dieses Troglodyten- oder Schimpansenmodell (nach dem wissenschaftlichen Namen Pan troglodytes, Schimpanse) geht davon aus, dass unsere Vorfahren viele der wichtigsten Anpassungen der Menschenaffen verloren haben, wie man sie von Schimpansen, Bonobos und Gorillas kennt, z. B. die dolchartigen Eckzähne und den Knöchelgang, die diese Menschenaffen von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben.

Ein großes Hindernis bei der Erforschung der Zeit, als sich die Linien von Schimpansen und Menschen trennten, ist das fast völlige Fehlen von Fossilien früher Schimpansen und Gorillas. Bis jetzt war das älteste bekannte Skelett von einem menschlichen Vorfahren Lucy, das auf einen Schlag den Beweis erbrachte, dass unsere Vorfahren aufrecht gingen, lange bevor sie große Gehirne entwickelten. Aber Lucy war trotz ihres Alters von 3,2 Millionen Jahre bereits zu menschenähnlich, um etwas über ihre primitive Herkunft zu verraten. Und so haben sich die Forscher seit Lucys Entdeckung im Jahr 1974 immer wieder gefragt, wie jene menschenähnlichen Wesen ausgesehen haben mögen, die vor Lucy lebten.

Diese Frage sei nun zum ersten Mal ausführlich beantwortet worden, so die Forscher. Die ersten Teile des Skeletts von Ardipithecus ramidus wurden von einem internationalen Forscherteam 1994 bei Aramis in Äthiopien entdeckt. Mit ihren 4,4 Millionen Jahren ist Ardi nicht das älteste Fossil einens frühen Mitglieds der Menschenfamilie (Hominini), aber es ist bei weitem das kompletteste. So wurde ein Großteil des Schädels und der Kieferknochen, sowie das Becken, welches äußerst seltenen erhalten bleibt, sowie Hände und Füße gefunden. Die Knochen beweisen, dass Ardi eine Zwischenform in Bezug auf ihre Fortbewegung praktizierte - zum einen war sie in der Lage aufrecht zu gehen, ein einzigartiges Merkmal der Hominini - aber Ardi muss noch viel Zeit in den Bäumen verbracht haben, so die Forscher, da sie ihren großen Zeh mit den anderen Zehen gegenüberstellen konnte (Greiffuß). Das heißt, sie war in der Lage flink auf Bäume zu klettern, um sich dort ihre Nahrung zu suchen, um dort Nester für die Nacht zu bauen oder um vor Fressfeinden zu flüchten.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die sich aus den detaillierten Untersuchungen der Fossilien ziehen lassen, sei jene, dass Schimpansen wie die Menschen eine hochspezialisierte Gruppe bildeten, und der letzte gemeinsame Vorfahre – der allerdings erst noch gefunden werden muss – irgendwo dazwischen stehe, und nicht unbedingt näher beim Schimpansen.

Ein anderes hochinteressantes Merkmal des Ardipithecus sind seine Eckzähne. Diese unterscheiden bei allen Menschenaffen die Männchen erheblich von den Weibchen und dienen unter anderem dem Balzgehabe der männlichen Tiere. Beim Ardipithecus ist dieser Unterschied relativ klein, was weit reichende Schlüsse auf das Sozialverhalten der Art zulässt: Die Forscher leiten daraus zum Beispiel einen Hang zur Monogamie und weniger Rivalität unter den Männchen ab.

Die meisten Forscher, die auf die Veröffentlichung dieser Beschreibungen und Analysen 15 Jahre gewartet haben, stimmen überein, dass es sich bei Ardi tatsächlich um einen frühen Hominini handelt. "Es hat sich gelohnt, auf diese außerordentlich beeindruckende Arbeit der Rekonstuktion und Beschreibung zu warten," sagt der Paläoanthropologe David Pilbeam von der Harvard University. Aber er habe ein Problem mit der Annahme, dass der gemeinsame Vorfahr von Schimpansen und Menschen nur weinige Merkmale mit den afrikanischen Menschenaffen teilt. "Ich finde es schwer zu glauben, dass sich die zahlreichen Ähnlichkeiten zwischen Schimpansen und Gorillas konvergent entwickelt haben," sagt er.

Unabhängig davon kommen alle Wissenschaftler überein, dass die neue Veröffentlichung eine Fülle von Daten zum ersten Mal zusammenfasst, die neue Lösungsansätze für Jahre bieten könnten. "Es hätte mich sehr gelangweit, wenn das Fossil wie ein halber Schimpanse ausgesehen hätte", sagt der Paläoanthropologe Alan Walker von der Pennsylvania State University.


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