Kluge Köpfe entwickeln geschickte Hände

Presseldung vom 24.07.2020

Affenarten mit grossen Gehirnen beherrschen schwierigere Handgriffe als solche mit kleinen Hirnen. Doch das Erlernen feinmotorischer Fähigkeiten wie der Werkzeuggebrauch kann dauern: am meisten Zeit beansprucht es bei Menschen. Arten mit grossem Hirn wie Menschen und Menschenaffen lernen zwar nicht langsamer als andere Primaten, beginnen aber erst später damit, wie Forschende der Universität Zürich zeigen.


Menschen sind sehr geschickt mit den Händen, brauchen aber sehr lange, um verschiedene Fingerfertigkeiten zu erlernen. Erst im Alter von etwa fünf Monaten können Kinder erstmals gezielt greifen. Und bis sie schwierigere Handgriffe beherrschen – etwa mit Messer und Gabel zu essen oder die Schnürsenkel zu binden – dauert es nochmals rund fünf bis sechs Jahre. In diesem Alter haben viele Affenarten bereits ihren ersten Nachwuchs. Weshalb brauchen Menschen im Vergleich zu ihren nächsten Verwandten so viel länger, um feinmotorische Fähigkeiten auszubilden?


Publikation:


Sandra A. Heldstab, Karin Isler, Caroline Schuppli, Carel P. van Schaik
When ontogeny recapitulates phylogeny: Fixed neurodevelopmental sequence of manipulative skills among primates
Science Advances. July 24, 2020

DOI: 10.1126/sciadv.abb4685


Eltern müssen viel Zeit und Energie investieren bis der Nachwuchs selbständig ist – wie diese Hanuman-Langurenmutter mit ihren Jungen.

Hirnentwicklung verläuft bei Affen in starren Mustern

Um diese Frage zu klären, hat Sandra Heldstab zusammen mit Karin Isler, Caroline Schuppli und Carel van Schaik vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich während mehr als sieben Jahren 36 Affenarten beobachtet.

Die Evolutionsbiologin studierte 128 Jungtiere in 13 europäischen Zoos von Geburt an bis zum Alter, in dem sie sämtliche Fingerfertigkeiten erwachsener Tiere erlernt hatten. Überraschend war, dass alle Affenarten ihre jeweiligen Fingerfertigkeiten in exakt derselben Reihenfolge erlernten. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass die neuronale Entwicklung in extrem starren Mustern verläuft – auch bei unterschiedlichsten Affenarten», erklärt Heldstab.

Erst ein grosses Hirn ermöglicht geschickte Hände

Grosse Unterschiede fanden die Forschenden jedoch bei den konkreten feinmotorischen Fähigkeiten, die die verschiedenen Affenarten als Erwachsene beherrschen. Affenarten mit grossen Gehirnen wie Makaken, Gorillas oder Schimpansen können mit ihren Händen viel schwierigere Aufgaben lösen als solche mit kleinen Gehirnen wie Lemuren oder Krallenaffen.

Menschenaffen wie diese Bonobos haben wie die Menschen grosse Hirne und können daher sehr geschickte Fingerfertigkeiten erlernen.

«Wir Menschen können nicht bloss zufällig so geschickt mit Händen und Werkzeugen umgehen, unser grosses Hirn hat dies überhaupt erst ermöglicht. Ein kluges Köpfchen hat also auch ein geschicktes Händchen», sagt Heldstab.

Menschen entwickeln Fingerfertigkeiten später als Affen

Geschickte Hände haben jedoch ihren Preis: Bei Arten mit grossen Gehirnen wie dem Menschen dauert es sehr lange, bis sie selbst einfachste Hand- und Fingerbewegungen erlernt haben.

«Wir brauchen nicht nur länger, weil wir schwierigere Handgriffe erlernen als etwa Lemuren oder Krallenaffen, sondern vor allem weil wir erst viel später mit dem Erlernen dieser Fähigkeiten beginnen», sagt Heldstab. Die Forschenden vermuten, dass grosse Gehirne wie jenes des Menschen bei der Geburt noch weniger weit entwickelt sind.


Wie diese Mantelaffen erlernen alle Affenarten ihre jeweiligen Fingerfertigkeiten in exakt derselben Reihenfolge.

Genügend Zeit zum Lernen ist essenziell

Zudem ist Lernen kostspielig, da Fehler passieren können und Eltern viel Zeit und Energie investieren müssen, bis der Nachwuchs selbständig ist. «Unsere Studie zeigt einmal mehr, dass sich im Verlauf der Evolution nur bei Säugetierarten, die lange leben und genügend Zeit zum Lernen haben, ein grosses Hirn und komplexe Fingerfertigkeiten inklusive Werkzeuggebrauch entwickeln konnten.

Dies macht deutlich, warum so wenige Arten unserem Weg folgen und warum wir Menschen zum technologisch vollkommensten Organismus auf diesem Planeten werden konnten», folgert Sandra Heldstab.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Zürich via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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