Frühe Gruppen von Homo sapiens in Europa waren subarktischem Klima ausgesetzt


Anhand der Analyse stabiler Sauerstoffisotope im Zahnschmelz von in der Bacho-Kiro-Höhle (Bulgarien) von Menschen geschlachteten Tieren zeigen Forscher, dass Menschengruppen vor etwa 46 000 bis 43 000 Jahren mit sehr kalten klimatischen Bedingungen konfrontiert waren. Diese Gruppen erreichten während einer frühen Ausbreitungswelle unserer Spezies Europa und die Höhle.


Der Prozess, wie sich unsere Spezies in der Vergangenheit neue Umgebungen erschloss, stellt einen wichtigen evolutionären Wendepunkt dar, der letztlich dazu führte, dass Homo sapiens alle Kontinente und eine große Vielfalt von Klimazonen und Umgebungen besiedelte. Die Mechanismen, die anfängliche Ausbreitungswellen begünstigt haben könnten, sind nach wie vor umstritten. Die meisten Modelle, die auf der Korrelation archäologischer Stätten mit räumlich entfernten Klimaarchiven beruhen, deuteten bisher jedoch darauf hin, dass Menschen auf wärmere Klimabedingungen angewiesen waren, um sich in neue, nördlichere Umgebungen auszubreiten.


Bei aktuellen Ausgrabungsarbeiten in der Bacho-Kiro-Höhle in der Saison 2021 stießen die Forschenden auf neue Artefakte, die eine Besiedlung der Höhle durch Neandertaler während des Mittelpaläolithikums dokumentieren.

Publikation:


Sarah Pederzani, Kate Britton, Vera Aldeias, Nicolas Bourgon, Helen Fewlass, Tobias Lauer, Shannon P. McPherron, Zeljko Rezek, Nikolay Sirakov, Geoff M. Smith, Rosen Spasov, N.-Han Tran, Tsenka Tsanova, Jean-Jacques Hublin
Subarctic climate for the earliest Homo sapiens in Europe
Science Advances, 22 Sep 2021, Vol 7, Issue 39

DOI: 10.1126/sciadv.abi4642



Anhand von Belegen direkt aus den archäologischen Schichten der Bacho-Kiro-Höhle konnte das Max-Planck-Team nun hingegen zeigen, dass Menschen mehrere tausend Jahre lang sehr kalte klimatische Bedingungen überdauert haben, die im Vergleich eher für das heutige Nordskandinavien typisch wären. „Wir konnten belegen, dass diese Menschengruppen flexibler in Bezug auf die von ihnen genutzten Umgebungen und anpassungsfähiger an unterschiedliche klimatische Bedingungen waren als bisher angenommen“, sagt Erstautorin Sarah Pederzani, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und der Universität Aberdeen. Jean-Jacques Hublin, Direktor der Abteilung für Humanevolution am MPI-EVA, fügt hinzu: „Auf der Grundlage dieser neuen Erkenntnisse müssen nun neue Modelle für die Ausbreitung unserer Spezies über Eurasien erstellt werden, die ihre größere klimatische Flexibilität berücksichtigen.“

Archäologische Funde aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien

Durch die direkte Verwendung von archäologischem Material – wie zum Beispiel den Überresten von Tieren, insbesondere Pflanzenfressern, die von den damals in der Höhle lebenden Menschen geschlachtet wurden – um Klimadaten zu generieren, konnte das Paläoklima-Forschungsteam unter der Leitung von Pederzani und Kate Britton, die ebenfalls am MPI-EVA und an der Universität Aberdeen forscht, eine sehr robuste Aufzeichnung lokaler klimatischer Bedingungen erstellen, die sich speziell auf die Zeit bezieht, in der Menschen die Bacho-Kiro-Höhle bewohnten. „Diese Technik ermöglicht eine zuverlässigere Zuordnung des lokalen klimatischen Kontextes als die üblicherweise verwendete chronologische Korrelation zwischen archäologischen Daten und Klimaarchiven verschiedener Orte, die die Grundlage für einen Großteil der bisherigen Forschung zur klimatischen Anpassungsfähigkeit des Menschen bildete – sie gibt uns wirklich einen Einblick in das Leben ‚vor Ort‘“, sagt Britton.

Hochkronige Pferdezähne wurden auf die Sauerstoffisotopenzusammensetzung des Zahnschmelzes hin untersucht, um Sommer- und Wintertemperaturen während des Lebens dieses Tieres zu rekonstruieren.

„Aufgrund der zeitaufwändigen Analyse und der Abhängigkeit von der Verfügbarkeit bestimmter Tierreste sind Sauerstoffisotopenstudien oder andere Techniken, Klimadaten direkt aus archäologischen Stätten zu gewinnen, für den Zeitraum, in dem sich der Homo sapiens erstmals in Eurasien ausbreitete, jedoch nach wie vor rar“, fügt Pederzani hinzu. In der Tat ist diese Max-Planck-Studie die erste dieser Art, die im Zusammenhang mit dem Initial Upper Paleolithic durchgeführt wurde und konnte daher so überraschende Ergebnisse liefern.

Aufzeichnung vergangener Temperaturen über mehr als 7.000 Jahre

Pederzani verbrachte ein Jahr mit Laborarbeiten, von der Bohrung von Probensequenzen aus Tierzähnen über die nasschemische Aufbereitung bis hin zur stabilen Isotopenmassenspektrometrie, um alle notwendigen Daten zusammenzutragen. „Durch diese zeitintensive Analyse, die insgesamt 179 Proben umfasste, war es möglich, eine sehr detaillierte Aufzeichnung vergangener Temperaturen zu erstellen, einschließlich Schätzungen der Sommer-, Winter- und Jahresmitteltemperaturen für den Aufenthalt von Menschen in der Höhle über einen Zeitraum von mehr als 7.000 Jahren“, sagt Pederzani.

Die von einem internationalen Team unter der Leitung der MPI-EVA-Forschenden Jean-Jacques Hublin, Tsenka Tsanova und Shannon McPherron sowie Nikolay Sirakov vom Nationalen Institut für Archäologie mit Museum der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia, Bulgarien, durchgeführten Ausgrabungsarbeiten in der Bacho-Kiro-Höhle wurden 2015 erneut aufgenommen und ergaben eine Fülle an Informationen über menschliche Aktivitäten in der Höhle: dazu zählen auch die Überreste früherer Bewohner der Höhle, der ältesten bisher bekannten Vertreter des modernen Menschen aus dem europäischen Jungpaläolithikum. Die Ablagerungen im unteren Teil der Fundstätte enthielten eine große Anzahl von Tierknochen, Steinwerkzeugen, Anhängern und sogar menschlichen Fossilien und bildeten die Grundlage für die Klimastudie zur Untersuchung der Umweltbedingungen, denen die Menschen ausgesetzt waren, als sie sich erstmals von der Levante aus nach Südosteuropa ausbreiteten.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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