Der Ursprung des Lebens: Eine neue Weltsicht
Chemiker schlagen ein neues Konzept vor, eine Mischung aus RNA-Molekülen und Peptiden brachten die Evolution hin zu komplexeren Lebensformen in Gang.
Die Untersuchung der Frage, wie das Leben auf der frühen Erde einst entstehen konnte, ist eine der faszinierendsten Herausforderungen für die Wissenschaft. Welche Bedingungen müssen geherrscht haben, damit sich die Grundbausteine komplexeren Lebens bildeten? Eine zentrale Antwort fußt auf der sogenannten RNA-Welt-Idee, die der Molekularbiologie-Pionier Walter Gilbert im Jahr 1986 formulierte und nach der sich in einer Art Ursuppe zunächst die Nukleotide, die Grundbausteine aus den Nukleinsäuren A, C, G und U bildeten und daraus kurze RNA-Moleküle formten. Diese sogenannten Oligonukleotide konnten bereits geringe Mengen an genetischer Erbinformation codieren.
Publikation:
Felix Müller, Luis Escobar, Felix Xu, Ewa Węgrzyn, Milda Nainytė, Tynchtyk Amatov, Chun‐Yin Chan, Alexander Pichler & Thomas Carell
A prebiotically plausible scenario of an RNA-peptide world
Nature (2022)
DOI: 10.1038/s41586-022-04676-3
Da sich solche einsträngigen RNA-Moleküle aber auch zu Doppelsträngen ergänzen können, entstand danach im Prinzip auch die Möglichkeit, dass sich die Moleküle selbst replizieren, also vervielfältigen konnten. Es passen immer nur zwei der Nukleotide zueinander, so dass der eine Strang das genaue Gegenstück des anderen und damit die Matrize für einen weiteren Strang bildet.
Im Lauf der Evolution könnte sich diese Replikation verbessert und irgendwann komplexeres Leben hervorgebracht haben. „Die RNA-Welt Idee hat den großen Vorzug, dass sie einen Weg vorzeichnet, auf dem komplexe Biomoleküle wie Nukleinsäuren mit optimierten katalytischen und zugleich Informations-kodierenden Eigenschaften entstehen können“, sagt LMU-Chemiker Thomas Carell. Das Erbmaterial, wie wir es heute kennen, besteht aus Doppelsträngen von DNA, einer leicht abgewandelten, haltbareren Form von Großmolekülen, die aus Nukleotiden zusammengesetzt ist.
Die Idee enthält jedoch auch Probleme, so ist die RNA zunächst ein überaus fragiles Molekül, vor allem, wenn es länger wird. Unklar ist zudem, wie es zur Verknüpfung der RNA-Moleküle mit der Welt der Proteine gekommen sein könnte, für die das Erbmaterial ja die Baupläne liefert. Carells Arbeitsgruppe hat nun in einer neuen, im Fachmagazin Nature publizierten Arbeit einen Weg entdeckt, wie diese Verknüpfung vonstattengegangen sein könnte.
Dazu muss man sich die RNA noch einmal genauer betrachten. RNA ist an sich ein kompliziertes Großmolekül. Es enthält neben den vier kanonischen Basen A, C, G und U, die genetische Erbinformation kodieren, auch weitere sogenannte nicht-kanonische Basen mit zum Teil sehr ungewöhnlichen Strukturen. Diese nicht-informationskodierenden Nukleotide haben eine große Bedeutung für die Funktion der RNA-Moleküle. Man kennt heute mehr als 120 solcher modifizierten RNA-Nukleoside, die von der Natur in RNA-Moleküle eingebaut werden. Es sind sehr wahrscheinlich Relikte der frühen RNA-Welt.
Die Arbeitsgruppe Carell hat nun herausgefunden, dass diese nicht-kanonischen Nukleoside quasi der Schlüssel sind, der es ermöglicht, die RNA-Welt mit der Welt der Proteine zu verknüpfen. Einige dieser molekularen Fossile können, wenn sie sich in der RNA befinden, sich selbst mit einzelnen Aminosäuren oder sogar kleinen Ketten davon (Peptiden) „dekorieren“, so Carell. Dabei entstehen kleine RNA-Peptid-Misch-Strukturen, wenn eben in einer Lösung neben der RNA gleichzeitig Aminosäuren oder Peptide vorhanden sind. In solchen Strukturen reagieren dann sogar die an der RNA angeknüpften Aminosäuren und Peptide miteinander zu beständig größer und komplexer werdenden Peptiden. „So entstanden im Labor RNA-Partikel, die genetische Erbinformationen kodieren können und sogar länger werdende Peptide bildeten“, sagt Carell.
Die uralten Fossil-Nukleoside sind also so etwas wie Keimzellen in der RNA, an denen lange Peptidketten wachsen können. An manchen RNA-Strängen wuchsen die Peptide sogar an mehreren Punkten. „Das war ein sehr überraschender Befund“, sagt Carell. „Möglicherweise gab es nie eine reine RNA-Welt, sondern RNA und Peptide lagen von Anfang an in einem gemeinsamen Molekül vor.“ Man müsse das Konzept einer RNA-Welt zu einem RNA-Peptid-Welt-Konzept erweitern. Die Peptide und die RNA hätten sich hier gegenseitig unterstützt in ihrer Evolution, so die neue Idee.
Gemäß der neuen Theorie waren am Anfang RNA-Moleküle entscheidend, die sich selbst mit Aminosäuren und Peptiden dekorieren konnten und diese so zu größeren Peptidstrukturen verknüpften. „Die RNA entwickelte sich langsam zu einem immer besseren Aminosäure-Verknüpfungs-Katalysator“, sagt Carell. Bis heute hat sich dieses Verhältnis zwischen RNA und Peptiden bzw. Proteinen erhalten. Der wichtigste RNA-Katalysator, der auch heute noch Aminosäuren zu langen Peptidketten verknüpft, ist das Ribosom. Es ist eine der kompliziertesten RNA-Maschinen, die in jeder Zelle für die Übersetzung (Translation) der genetischen Erbinformation in funktionale Proteine verantwortlich ist. „Die RNA-Peptid-Welt löst somit das Henne-und-Ei-Problem“, sagt Carell. „Die neue Idee schafft ein Fundament, auf dem die Entstehung des Lebens langsam erklärbar wird.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Ludwig-Maximilians-Universität München via Informationsdienst Wissenschaft erstellt