Bronzezeit: Fremde Ernährungstraditionen in Europa

Presseldung vom 14.08.2020

Nicht nur Metalle, hierarchische Gesellschaften und befestigte Siedlungen: In der Bronzezeit beeinflusste auch ein neues Lebensmittel die ökonomischen Transformationen vor ca. 3500 Jahren. Dies belegen häufige archäologische Funde von Überresten der Rispenhirse (Panicum miliaceum L.). Eine groß angelegte Studie zeigt, wie Rispenhirse im bronzezeitlichen Europa auf den Speisezettel rückte.


Schon damals bestanden intensive Handels- und Kommunikationsnetzwerke, die eine erstaunlich schnelle Ausbreitung dieser neuen, fernöstlichen Kulturpflanze ermöglichten. „Heutzutage dominieren Weizen, Mais und Reis unser Getreidespektrum. Hirse wird hauptsächlich als Sonderfrucht für Vogelfutter wahrgenommen“, erklärt Professorin Wiebke Kirleis vom SFB 1266. Als glutenfreies Lebensmittel erfahre dieses Getreide aktuell aber wieder wachsende Aufmerksamkeit, um so spannender seien die Erkenntnisse der Studie.


Wiebke Kirleis bei der Ernte von Rispenhirse Panicum miliaceum im Freilichtmuseum Archäologisch-Ökologisches Zentrum Albersdorf (AÖZA), Norddeutschland

Publikation:


Dragana Filipović, John Meadows, Marta Dal Corso, Wiebke Kirleis et al.
New AMS 14C dates track the arrival and spread of broomcorn millet cultivation and agricultural change in prehistoric Europe
Scientific Reports

DOI: 10.1038/s41598-020-70495-z



Rispenhirse wurde im Nordosten Chinas um 6000 vor Christus domestiziert und schnell zu einem Grundnahrungsmittel. Sie ist ein trockenheitsresistentes, schnell wachsendes Getreide, das reich an Mineralien und Vitaminen ist. Mit einer Wachstumsdauer von nur 60 bis 90 Tagen von der Aussaat bis zur Ernte wurde es sowohl von Landwirten als auch von Hirten angebaut und diente der Ernährung von Menschen und Vieh.

Mit der Hirse im Gepäck breiteten sich pastorale Gruppen über tausende von Jahren von Ostasien nach Westen aus. Die früheste Hirse in Zentralasien stammt von archäologischen Stätten in Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan und dem Kaschmir-Tal und wird auf etwa 2500 vor Christus datiert.


Klumpen von antikem verkohltem Hirsebrei aus der Ukraine ©
Rispenhirse Panicum miliaceum im Freilichtmuseum Archäologisch-Ökologisches Zentrum Albersdorf (AÖZA), Norddeutschland.

„In Europa war Rispenhirse seltsamerweise in einigen Ausgrabungen der Jungsteinzeit gefunden worden, die je nach Region zwischen 6500 und 2000 vor Christus datieren“, so Kirleis. Wie konnte es möglich sein, dass Hirse fast gleichzeitig in China domestiziert wurde? Weizen, Gerste und unsere Haustiere benötigten tausende von Jahren bis sie nach ihrer Domestikation im Gebiet des „fruchtbaren Halbmondes“ nach Europa eingeführt wurden – ein Gebiet vom Persischen Golf über den Norden Syriens bis nach Jordanien.

Gab es eine besondere Beziehung nach China? Zweifel an dieser Hypothese erweckten Radiokarbondatierungen (14C) im Jahr 2013, die an einigen Körnern durchgeführt wurden. Durch Wurzelgänge und Regenwurmaktivität hatten die winzigen Körner die älteren archäologischen Schichten infiltriert. Wann die Hirse tatsächlich zum ersten Mal auftauchte und in Europa angebaut wurde, blieb unbekannt.

Eine Forschungsgruppe des Sonderforschungsbereichs „TransformationsDimensionen“ (SFB1266) um Wiebke Kirleis machte sich daran, diese Frage zu beantworten. Sie erforschten nicht nur die Ausbreitung des Hirseanbaus in Europa, sondern richteten zudem das Augenmerk auf die Akzeptanz dieses exotischen Getreides in der prähistorischen Bevölkerung und überprüften, welche landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Phänomene mit dieser Innovation verbunden waren.

Da Hirse innerhalb von drei Monaten nach der Aussaat reift, kann sie zwischen der Sommerernte und der Winteraussaat von Weizen oder Gerste in Zentral- und Südeuropa als Zwischenfrucht angebaut werden. Weiter nördlich diente sie wohl als Ersatzfrucht, wenn Spätfrost die jungen Pflanzen der Hauptsaat zerstört hatte. Die Hirse ermöglichte es, einen zusätzlichen Ertrag – Surplus – zu erwirtschaften, sie erhöhte die Ernährungssicherheit und begünstigte ein stetes Bevölkerungswachstum.

In Zusammenarbeit mit fast dreißig Forschungseinrichtungen in ganz Europa, konnten die Archäobotanikerinnen Dragana Filipović und Marta Dal Corso aus dem Team um Wiebke Kirleis gemeinsam mit John Meadows vom Leibniz Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der CAU und dem Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) in Schleswig Hirse von 75 prähistorischen Stätten des 6. bis 1. Jahrtausend vor Christus neu datieren.

Wie ein Buschbrand: Früheste Funde und Ausbreitung von Rispenhirse in Europa.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Hirseanbau keineswegs in der Jungsteinzeit beginnt, sondern erst ca. 1500 vor Christus einsetzte, und dass sich die neue Feldfrucht vor 3500 Jahren erstaunlich rasch über weite Teile Mitteleuropas ausbreitete. „Dies weist auf weitreichende Handels- und Kommunikationsnetzwerke zur Bronzezeit hin. Aber die Untersuchungen zeigen auch, dass die Rispenhirse schnell und weithin als vielseitige Ergänzung zur damals von Weizen und Gerste dominierten Küche anerkannt wurde“, schließt Kirleis.

Rispenhirse breitete sich offenbar entlang etablierter Handelswege für Bronzegegenstände (u.a. Waffen), Gold und Bernstein aus. Solche Transformationsprozesse von Ernährungsstrategien und deren soziale Dimensionen sind ein zentrales Thema des SFB 1266. Die künftige Forschung im SFB 1266 wird untersuchen, welche gesellschaftlichen Dynamiken mit der Einführung dieses neuen Lebensmittels in dieser ausgeprägten Umbruchsperiode der europäischen Urgeschichte verbunden waren, denn die hochproduktive und vernetzte Welt des bronzezeitlichen Europas war auch eine Bühne für Konflikte. Überreste von bewaffneten Auseinandersetzungen und die zahlreichen Befestigungsanlagen legen davon Zeugnis ab.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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