Ausgewandert


Sibirische Neandertaler stammten von verschiedenen europäischen Populationen ab


In Südsibirien haben mindestens zwei verschiedene Neandertaler-Gruppen gelebt, von denen eine aus Osteuropa kam: Das hat ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) bewiesen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der US-amerikanischen Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS) veröffentlicht.


Publikation:


Kseniya A. et al.
Archaeological evidence for two separate dispersals of Neanderthals into southern Siberia
PNAS February 11, 2020 117 (6) 2879-2885

DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.1918047117


Mit feinem Grabungswerkzeug wird die ehemalige Oberfläche, auf der sich die Chagyrskaya-Neandertaler vor 50.000 Jahren aufgehalten haben, freigelegt.

Es ist bekannt, dass sich Neandertaler von Europa bis nach Südsibirien ausgebreitet haben, doch wann und woher die sibirischen Neandertaler konkret kamen, war bislang ungeklärt. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung des Archäologen Thorsten Uthmeier, Professor für Ur- und Frühgeschichte an der FAU, hat nun Werkzeuge aus der Chagyrskaya-Höhle im russischen Teil des Altai-Gebirges untersucht, um der Frage nachzugehen.

Parallelen zu Fundstellen in Zentral- und Osteuropa

Die Fundstelle wird seit 2019 im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes gemeinsam mit dem Institute of Archeology and Ethnography of the Siberian Branch der Russischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk ausgegraben. Zwei Hauptfundschichten erbrachten neben Steinwerkzeugen und Knochen der Jagdbeute auch zahlreiche Neandertaler-Fossilien. Nachdem das Team zunächst festgestellt hatte, dass die Steinwerkzeuge keiner der zeitgleich im Altai bestehenden Gruppen ähneln, suchten sie in größeren Entfernungen nach Vergleichsfunden.

Geometrisch-morphologische Analysen von 3D-Modellen der gescannten Werkzeuge zeigten, dass die Steinwerkzeuge aus der Chagyrskaya-Höhle sehr „Micoquien“-Artefakten – so die Bezeichnung für die entsprechende Steingeräte-Industrie – aus Zentral- und Osteuropa ähneln. Die Vergleichscans stammen unter anderem von Vergleichsfundstellen aus Bayern, unter denen die FAU-eigene Sesselfelsgrotte'>Sesselfelsgrotte mit den meisten Stücken vertreten ist.

Anhand von DNA-Analysen an Neandertalerknochen und Sedimenten aus der Chagyrskaya-Höhle konnten die Forscherinnen und Forscher den Ausbreitungsweg der sibirischen Neandertaler rekonstruieren: Der Weg führte die Gruppen über mehrere Generationen hinweg über Kroatien und den Nordkaukasus in den Altai.

Neandertaler breiteten sich mehrfach nach Sibirien aus

Die DNA-Analysen zeigten zudem, dass sich die Neandertaler der Chagyrskaya-Höhle genetisch von einer zweiten Altai-Gruppe aus der Denisova-Höhle deutlich unterscheiden. Dieser Befund passt gut zu der Beobachtung, dass die Denisova-Neandertaler offenbar keine Werkzeuge des Micoquien gekannt haben. Daher geht das Forschungsteam von einer mehrfachen Ausbreitung von Neandertalern nach Sibirien aus.

Die interdisziplinären Untersuchungen zu den Neandertalern aus der Chagyrskaya-Höhle, bei denen auch bayerische, durch die FAU untersuchte Fundstellen eine wichtige Rolle spielen, zeigen eindeutig, dass eine Ausbreitungswelle von Gruppen dieser Menschenart vor 60.000 Jahren in Mittel- und Osteuropa ihren Ursprung hat. Gleichzeitig gelang den Forscherinnen und Forschern aus Novosibirsk um Prof. Ksenia Kolobova und der FAU der seltene Nachweis dafür, dass Bevölkerungsbewegungen anhand von typischen Elementen der kulturellen Ausstattung belegt werden können.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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