Karl Otfried Müller

Karl Otfried Müller (1838). Gemälde von Wilhelm Ternite

Karl Otfried Müller (* 28. August 1797 in Brieg/Schlesien; † 1. August 1840 in Athen) war ein deutscher Altphilologe und einer der Begründer der Klassischen Archäologie und Alten Geschichte.

Leben und Wirken

Karl Müller war das älteste von vier Kindern des Pastors Karl Daniel Müller (1773–1858) und dessen Ehefrau Juliane Müller, geb. Linke (1774–1858). Sein Bruder Julius Müller (1801–1878) wurde ein bekannter Theologe, der Bruder Eduard Müller (1804–1875) Gymnasialdirektor in Ratibor und Liegnitz. 1806 wechselte der Vater auf eine Stelle nach Ohlau. Müller wurde nachdrücklich von seinem Elternhaus geprägt, seine schlichte, ungezwungene und ausgeglichene Art rührte von seiner Erziehung her. Schon in der Schulzeit zeigte Müller sein großes Talent und 1814 begann er an der neu gegründeten Universität Breslau mit dem Studium verschiedener Geistes- und Naturwissenschaften. Er hörte unter anderem bei Henrich Steffens und Klassische Philologie bei Ludwig Friedrich Heindorf. Dieser machte ihn auch mit Barthold Georg Niebuhrs „Römischer Geschichte“ bekannt. Das Werk beeindruckte Müller so stark, dass er sich nun völlig der klassischen Philologie zuwandte.

Schnell begann er sich verschiedenen Themen zu widmen. Dabei lehnte er sich an die bedeutenden Altphilologen der Zeit, Friedrich August Wolf und August Boeckh, an, die wie er eine umfassende historische Betrachtung propagierten. 1816 wechselte er an die Berliner Universität, wo er bei Friedrich Schleiermacher, Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Friedrich August Wolf, Philipp Buttmann und natürlich August Boeckh hörte. War er von der Art Wolfs eher abgeschreckt, wurden vor allem Buttmann und Boeckh zu seinen wichtigsten Lehrern. Buttmann war es auch, der Müller dazu brachte, den Zweitnamen „Otfried“ anzunehmen, damit er von anderen Namensträgern besser zu unterscheiden war. So wurde auch Müller ein bedeutender Vertreter der Sachphilologie und Gegner der von Gottfried Hermann vertretenden wortphilologischen Schule. Nach seiner Promotion, die das Studium abschloss, wurde Müller 1818 Lehrer am Maria-Magdalenen-Gymnasium (Magdalenäum) in Breslau. Mit der wissenschaftlichen Arbeit Attika lieferte er die erste weitestgehend vollständige Topografie Athens.[1]

Während seiner Zeit als Gymnasiallehrer versuchte sich Müller an der Breslauer Universität zu habilitieren. Gleichzeitig bemühte sich Boeckh in Berlin um eine Anstellung Müllers bei dem von ihm initiierten Corpus Inscriptionum Graecarum. Doch bevor eines der Projekte konkrete Konturen annahm, wurde Müller im Juli 1819 auf eine außerordentliche Professur an der Universität Göttingen berufen. Da er hier neben Klassischer Philologie auch Kunstarchäologie lehren musste, wurde ihm ein zweimonatiger Aufenthalt zum Studieren der Dresdner Antikensammlungen bewilligt. Von diesem Zeitpunkt an legte er viel Wert auf das Studium der antiken Kunstwerke und besuchte in seiner freien Zeit auch viele archäologische Sammlungen Europas. 1823 wurde Müller ordentlicher Professor und Mitglied in der Göttinger Sozietät der Wissenschaften.

Karl Otfried Müller engagierte sich in Lehre, Forschung und Universitätsverwaltung. Die hannoversche Landesregierung war sich offenbar der Bedeutung Müllers bewusst und verbesserte mehrfach seine Bezüge, bewilligte ihm mehrere Forschungsreisen und ernannte ihn 1832 zum Hofrat. Das Gestaltungskonzept der 1837 zur Säkularfeier fertiggestellten Aula der Göttinger Universität geht maßgeblich auf ihn zurück. Seit 1835 war er auch noch Professor für Eloquenz. In dieser Funktion hielt er 1837 die Festrede zum Jubiläum der Göttinger Universität.

Gedenkfeier zu Müllers 50. Todestag 1890 in Athen

Von bleibendem Eindruck blieb Müller kurz darauf die Entlassung der Göttinger Sieben. Auch Müller gehörte zu den liberal eingestellten Kräften und war einer von sechs weiteren Professoren, die sich mit den Sieben solidarisierten, jedoch nicht entlassen wurden. Eine Gelegenheit, der nun folgenden gespannten Situation zu entfliehen, kam 1839, als ihm von der Landesregierung eine Reise nach Griechenland genehmigt wurde. Hier wollte er die Grundlagen für sein Lebenswerk, eine „Griechische Geschichte“, legen. Doch wurde ihm sein Forscherdrang zum Verhängnis. Beim Kopieren von Inschriften in der glühenden Sonne Delphis zog er sich eine Hirnentzündung zu. Bei der Rückreise von Delphi brach er zusammen. Nachdem er von seinen Begleitern Ernst Curtius, Adolf Schöll und Georg Friedrich Neise (1818–1898) nach Athen gebracht wurde, verstarb er dort. Sein Grab fand er auf dem Kolonoshügel nordwestlich des heutigen Athener Stadtzentrums, wo noch heute eine Grabstele an ihn erinnert. An der Trauerfeier nahmen König Otto, seine Minister, das Diplomatische Corps und die Universität teil.

Medaille zu Ehren von Karl Otfried Müller 1841

Karl Otfried Müllers Tod gilt bis heute als einer der tragischen Momente der deutschen Altphilologie. Gerade erst 42 Jahre alt, hinterließ Müller, der als potentieller Nachfolger des großen August Boeckh galt, eine große Lücke. Seine Forschungen zur griechischen Geschichte waren grundlegend, manche Forschungsbereiche wurden vor seinen Studien nie beachtet. Müller war seit 1824 verheiratet mit Pauline Hugo (1804–1847), der Tochter des Göttinger Rechtswissenschaftlers Gustav von Hugo. Sie hatten vier Kinder. Die Tochter Julie war mit dem Juristen Burkard Wilhelm Leist verheiratet, der am 5. Mai 1830 geborene älteste Sohn war der spätere Landesdirektor Carl Hugo Müller.[2] Wie sehr die wissenschaftliche Landschaft von seinem tragischen Tod erschüttert war, zeigt auch die Medaille, die Müller von der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner 1841 gewidmet wurde. Gerade die Rückseitenlegende unterstreicht die besondere Stellung des Wissenschaftlers.[3]

Schriften

  • Geschichten Hellenischer Stämme und Städte. 3 Bände. Max, Breslau 1820–1824;
  • Die Etrusker. 2 Bände. Max, Breslau 1828, Digitalisat.
  • Handbuch der Archäologie der Kunst. Max, Breslau 1830. Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv
  • Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexanders. 2 Bände. Max, Breslau 1841 (unvollendet; postum durch seinen Bruder Eduard Müller veröffentlicht).

Literatur

  • August Baumeister: Müller, Karl Otfried. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 22, Duncker & Humblot, Leipzig 1885, S. 656–667.
  • Klaus FittschenMüller, Otfried. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 323–326 (Digitalisat).
  • William M. Calder III, Renate Schlesier (Hrsg.): Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur. Weidmann, Hildesheim 1998, ISBN 3-615-00198-2.
  • Ève Gran-Aymerich, Jürgen von Ungern-Sternberg (Hrsg.): L'Antiquité partagée. Correspondances franco-allemandes 1823–1861. Mémoires de l'Académie des Inscriptions et Belles Lettres 47, Paris 2012, ISBN 978-2-87754-272-2.
  • Klaus Nickau: Karl Otfried Müller, Professor der Klassischen Philologie 1819–1840. In: Carl Joachim Classen (Hrsg.): Die Klassische Altertumswissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen. Eine Ringvorlesung zu ihrer Geschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1989, S. 27–50 (Teilvorschau bei Google Books).
  • Wolfhart Unte, Helmut Rohlfing: Quellen für eine Biographie Karl Otfried Müllers (1797–1840). Bibliographie und Nachlaß. Olms, Hildesheim u. a. 1997, ISBN 3-487-10497-0.
  • John Vaio: Teaching the English Wissenschaft: The Letters of Sir George Cornewall Lewis to Karl Otfried Müller. Ed. with commentary in collaboration with W.M. Calder III and R.S. Smith. Olms-Weidmann, Hildesheim 2002.

Weblinks

Commons: Karl Otfried Müller – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Karl Otfried Müller – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Walther Judeich: Topographie von Athen (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Abteilung 3, Teil 2, Bd. 2). 2., vollständig neubearbeitete Auflage. Beck, München 1931, S. 25.
  2. Wolfhart Unte (Hrsg.): Die Briefe des Breslauer Verlegers Josef Max an Karl Otfried Müller ( = Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau / Beihefte, Heft 11), St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag, 2000, ISBN 978-3-89590-099-0, S. 106 (Fußnote 248); eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  3. Stefan Krmnicek, Marius Gaidys: Gelehrtenbilder. Altertumswissenschaftler auf Medaillen des 19. Jahrhunderts. Begleitband zur online-Ausstellung im Digitalen Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen (= Von Krösus bis zu König Wilhelm. Neue Serie, Band 3). Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 2020, S. 66–69 (online).

Skriptfehler: Ein solches Modul „Vorlage:Personenleiste“ ist nicht vorhanden.

Die News der letzten Tage