Knöchelspielerin

Knöchelspielerin in Berlin

Die Knöchelspielerin ist ein Typus der hellenistischen Bildhauerei, der in sechs römischen Kopien überliefert ist.

Allen Versionen der Statue ist die Grundhaltung gemein. Gezeigt wird eine Frau, die mit angezogenen Beinen auf dem Boden sitzt, sich mit der linken Hand abstützt und mit der rechten Hand gerade zwei Knöchel (Astragale) geworfen hat. Die linke Hand bedeckt zwei weitere Knöchel. Bekleidet ist die Frau mit einem dünnen Chiton, der um die Hüfte gegürtet ist. Von der linken Schulter ist das Kleidungsstück bis zum Ellenbogen herabgerutscht und zeigt einen Teil der linken Körperhälfte unbekleidet. Die Nacktheit hebt die Dargestellten aus der Sphäre der Lebenden auf eine ideale, göttliche Ebene.

Venus mit der Muschel

Venus mit der Muschel, Paris, Louvre

Die Venus mit der Muschel gehörte im 17. Jahrhundert zu den berühmtesten Antiken.[1] Dem abgebildeten Mädchen wurde von einem zeitgenössischen Restaurator anstatt der Knöchel eine Muschel in die Hand gegeben. Die Statue befand sich in der Villa Borghese, Johann Joachim Winckelmann nannte sie „nackte Frau der Villa Borghese“.[2] Das Original befindet sich heute im Louvre in Paris[3] Hierher kam die Statue mit vielen anderen Werken aus der Villa Borghese auf Druck Napoleons, der den Besitzer der Sammlung, Herzog Camillo Borghese, der durch die Hochzeit mit Pauline Bonaparte zu seinem Schwager wurde, zum Verkauf zwang. Das Original trat mit der Zeit in der Bekanntheit hinter einer Marmorkopie zurück, die sich Ludwig XIV. für Versailles anfertigen ließ.

Mitte des 18. Jahrhunderts gerieten sowohl das Original als auch die Kopie fast in Vergessenheit, da eine neuere, qualitativ bessere Statue entdeckt wurde.

Knöchelspielerin in der Antikensammlung Berlin

Diese Statue wurde 1730 auf dem Caelius gefunden. Sie gelangte in die Sammlung des Kardinals Melchior de Polignac. Im Jahr 1742 wurde die Knöchelspielerin mit weiteren Stücken der Sammlung von Friedrich II. für seine Residenz Sanssouci erworben. Heute befindet sie sich in der Berliner Antikensammlung.[4]

Das Besondere an dieser Version der Statue aus antoninischer Zeit – gegen Ende des 2. Jahrhunderts – ist, dass entgegen anderen bekannten Beispielen der Statue keine Erwachsene, sondern ein halbwüchsiges Mädchen gezeigt wird. Das Porträt ist individuell gestaltet, was vermuten lässt, dass ein verstorbenes Mädchen dargestellt wird. Die Statue gehörte offenbar zum Grab des Mädchens, was die Porträthaftigkeit erklärt. Durch die Individualität der Darstellung ist diese Variante der Knöchelspielerin einmalig.

Es fallen zwei Dinge an der 70 Zentimeter hohen Statue besonders auf: zum einen die Melonenfrisur, die zur Entstehungszeit der Statue besonders weit verbreitet war, zum anderen der Gesichtsausdruck des Mädchens. In der Literatur wird häufig dargelegt, das Mädchen konzentriere sich intensiv auf das Spiel.[5] Doch folgt man dem Blick der Statue, stellt man fest, dass er nicht auf das Spiel gerichtet ist. Der sanfte Gesichtsausdruck zeugt nicht von Interesse am Spiel, sondern von melancholischer Abwesenheit.

Die römische Replik wird nicht selten – trotz ihres Charakters als Nachschöpfung eines hellenistischen Originals und Genremotives – als etwas in seiner gelungenen Form Einmaliges empfunden.[6]

Die Statue wurde an Hals und Oberkörper ergänzt. Neben anderen schufen die Bildhauer Wilhelm Jacobi und Moritz Daniel Oppenheim neuzeitliche Kopien.[7] Eine weitere Kopie, um 1790 vom Hofbildhauer Martin Gottlieb Klauer geschaffen, befindet sich auf der Veranda des Schlosses Tiefurt bei Weimar.[8]

Knöchelspielerinnen im British Museum und in Göttingen

Charles Townley in his Sculpture Gallery, Gemälde aus dem Jahr 1783 von Johann Zoffany, unten links die Knöchelspielerin

Im Oktober 1765 wurde in der Vigna Verospi bei Porta Salaria auf dem Gelände der Villa des Sallust in Rom eine weitere Variante der Knöchelspielerin in zwei Exemplaren gefunden. Ein Exemplar gelangte über die Sammlung von Charles Townley in das British Museum in London.[9], das andere wurde von Graf Wallmoden erworben. Seit 1781 befindet sich ein Gipsabguss dieser Statue als Geschenk des Grafen Wallmoden in der Abgußsammlung der Universität Göttingen, seit 1979 befindet sich auch das Original dort als Dauerleihgabe.[10] Die hier dargestellte Frau wirkt älter als die Berliner Knöchelspielerin.[11]

Knöchelspielerin in Dresden

Ein sechstes Exemplar befindet sich heute in der Dresdener Skulpturensammlung.[12]

Literatur

  • Max Kunze: Knöchelspielerin. In: Die Antikensammlung im Pergamonmuseum und in Charlottenburg. von Zabern, Mainz 1992, ISBN 3-8053-1187-7, S. 243–245.
  • Wolfgang Maßmann: Verschiedene Zeiten, verschiedene Auffassungen: Die Restaurierung der Berliner Knöchelspielerin. In: Jahrbuch der Berliner Museen. Bd. 40, 1998, S. 199–205.
  • Katrin Schade: Die zwei Gesichter der Berliner Knöchelspielerin. In: Jahrbuch der Berliner Museen. Bd. 40, 1998, S. 188–198.
  • Kathrin Schade: Die Knöchelspielerin in Berlin und verwandte Mädchenstatuen. In: Adolf Borbein (Hrsg.): Antike Plastik. Lieferung 27. Hirmer, München 2001, ISBN 3-7774-8510-1, S. 91–110.

Anmerkungen

  1. Max Kunze: Knöchelspielerin. In: Die Antikensammlung im Pergamonmuseum und in Charlottenburg. von Zabern, Mainz 1992, ISBN 3-8053-1187-7, S. 243.
  2. Johann Joachim Winckelmann: Briefe. Band 1: 1742–1759. Kritisch-historische Gesamt-Ausgabe mit Unterstützung des Deutschen Archäologischen Instituts. In Verbindung mit Hans Diepolder herausgegeben von Walther Rehm. de Gruyter, Berlin 1952, S. 76.
  3. Inventarnummer MA 18; Eintrag in der Museumsdatenbank.
  4. Inventarnummer Sk 494; Internetkatalog der Berliner Skulpturen in der archäologischen Datenbank Arachne.
  5. Beispielsweise Max Kunze: Knöchelspielerin. In: Die Antikensammlung im Pergamonmuseum und in Charlottenburg. von Zabern, Mainz 1992, ISBN 3-8053-1187-7, S. 245.
  6. So beispielsweise von Elisabeth Rohde: Griechische und römische Kunst in den Museen zu Berlin. Henschel-Verlag, Berlin 1968, S. 115: Der Kinderkopf mit der sogenannten Melonenfrisur ist von dem Künstler jedoch in einen so harmonischen Zusammenklang mit dem Körper gebracht worden, dass man das Werk als ein durchaus einheitliches Ganzes empfindet.
  7. Anja Klöckner: Antikenrezeption bei Moritz Daniel Oppenheim. (Memento vom 16. Januar 2014 im Internet Archive) In: Magazin forschung 2/2001, S. 64–72.
  8. Restaurierungsbericht.
  9. Inventarnummer 1805,0703.13; Eintrag in der Museumsdatenbank.
  10. Abbildung des Gipsabgusses.
  11. Zu diesen und weiteren Kopien des Typus vgl. den Ausstellungskatalog D'après l'antique. Paris, Musée du Louvre, 16 octobre 2000 – 15 janvier 2001. Réunion des Musées Nationaux, Paris 2000, ISBN 2-7118-4040-9, S. 322–333.
  12. Inventarnummer Hm 396; Eintrag in der Museumsdatenbank.

Die News der letzten Tage