Ampsivarier

Verbreitung germanischer Stämme um 50 n. Chr.

Der Stamm der Ampsivarier (Amsivarier, germanisch „Ems-Männer“, lateinisch: Ansibarii, griechisch: Ἀνσιβαριοί) war ein germanischer Stamm an der Ems im heutigen Emsland. Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wurden sie von den Chauken aus ihren Wohnsitzen vertrieben. Ab dem späten 4. Jahrhundert ging der Stamm in den Franken auf.

Quellenlage

Die Ampsivarier haben in den antiken Quellen nur wenige Spuren hinterlassen. Möglicherweise ist der Stamm bei Strabon († nach 23 n. Chr.) als Kampsianer (Καμψιανοί) bzw. als Ampsaner (Αμψάνών) erwähnt.[1]

Am ausführlichsten berichtet Tacitus († um 120 n. Chr.). In den Annalen beschreibt er die vergeblichen Versuche der Ampsivarier, im Jahr 58 n. Chr. von den Römern Siedlungsland zu erhalten.[2] In der Germania des Tacitus ist der Stamm nicht genannt.

Die Existenz des Stammes im 4. Jahrhundert wird durch das Veroneser Verzeichnis (Laterculus Veronensis), die Karte des Julius Honorius sowie vielleicht durch die Tabula Peutingeriana (dort möglicherweise als vapii oder varii eingetragen) belegt; laut den Notitia dignitatum stellten die Ampsivarier Hilfstruppen.[3] Der spätantike Geschichtsschreiber Sulpicius Alexander erwähnt die Ampsivarier im Rahmen von Kampfhandlungen zwischen Römern und Franken Ende des 4. Jahrhunderts.[4]

Geschichte

Um die Zeitenwende

Die Wohnsitze der Ampsivarier um die Zeitenwende lagen an der unteren Ems zwischen den Friesen im Nordwesten und den Chauken im Nordosten. Obwohl die Ems von strategischer Bedeutung für die römischen Eroberungsversuche der Jahre 12 v. bis 16 n. Chr. (Augusteische Germanenkriege) war, taucht der Stamm in der Überlieferung zu jener Zeit nicht auf, wenn man von den ungesicherten Erwähnungen bei Strabon[5] absieht. Dies spricht dafür, dass sich der Stamm, ähnlich wie seine Nachbarn, seit 12, spätestens 11 v. Chr. unter römischer Oberhoheit befand.[6]

Die Beteiligung der Ampsivarier an der Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. und an den Kämpfen der Arminius-Koalition gegen Germanicus 15–16 n. Chr. (Germanicus-Feldzüge) ist unsicher. Tacitus berichtet, dass der ampsivarische Fürst oder Häuptling Boiocalus auf Betreiben des Arminius hin verhaftet wurde. Dies spricht für interne Konflikte zwischen pro- und antirömischen Faktionen. Ein Engagement des Stammes oder von Stammesteilen in der Arminius-Koalition lässt sich daraus jedoch nicht zweifelsfrei ableiten. Später diente Boiocalus unter Tiberius und Germanicus als Söldner im Kampf gegen Arminius.[7]

Vertreibung und Landsuche

Um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. verdrängten die Chauken die Ampsivarier aus ihren Wohnsitzen. Der heimatlos gewordene Stamm bat die Römer 58 n. Chr. um die Erlaubnis, sich auf rechtsrheinischem Gebiet in den heutigen Niederlanden, wohl zwischen Vechte und IJssel, niederzulassen. Die Römer beanspruchten dieses Gebiet als entvölkerte Pufferzone vor der Rheingrenze und waren nicht bereit, eine germanische Ansiedlung zu dulden. Bereits zuvor hatten die Legionen Teile der Friesen, die in das Gebiet vorgedrungen waren, mit Waffengewalt abgewiesen. Tacitus schildert die vergeblichen Verhandlungen, die der betagte Boiocalus mit dem römischen Legaten Avitus führte. Der Fürst berichtete,

(…) er sei bei dem Cheruskeraufstand auf Geheiß des Arminius verhaftet worden, habe dann unter dem Kommando des Tiberius und Germanicus um Sold gedient und ergänze nun seinen 50 Jahre langen Gehorsam noch dadurch, dass er sein Volk unserer Herrschaft unterwerfe. Welch großer Teil der Felder läge (ungenutzt) da, in den man nur gelegentlich Schafe und Rinder der Soldaten hinübertriebe! (…) Wie der Himmel den Göttern, so sei die Erde dem Menschengeschlecht verliehen, und was herrenlos sei, sei Gemeingut. Dann sah er zur Sonne auf und rief die übrigen Gestirne an, so als seien sie persönlich zugegen, und fragte sie, ob sie auf ein menschenleeres Land niederschauen wollten: Sie sollten lieber das Meer darüber ergießen gegen die Landräuber.[8]

Der letzte Satz wird als „‘heiliger‘ Fluch“ gegen die römische Willkür gedeutet. Die Verwünschung entspricht einem germanischen Eid, der bei den Sternen geschworen wurde.[9] Der beunruhigte Avitus erteilte dem Ansinnen der Ampsivarier eine Absage, bot jedoch dem Boiocalus als Privatperson Land an, was dieser erbost als Aufforderung zum Verrat an seinem Stamm zurückwies. Man trennte sich in erbitterter Stimmung, wie Tacitus berichtet.[10] Die Ampsivarier riefen, so Tacitus weiter, Brukterer, Tenkterer und „die entfernteren, verbündeten Völkerschaften“ (Chasuarier? Chamaven?[11]) zum Krieg. Avitus seinerseits ließ Curtilius Mancia, den Legaten des oberrheinischen Heeres, den Rhein überschreiten und den Rücken der Ampsivarier-Koalition bedrohen. Avitus selbst marschierte mit seinen Truppen gegen die Tenkterer, drohte mit deren Vernichtung und konnte sie auf diese Weise aus der Ampsivarier-Koalition herausbrechen. Gleiches gelang danach bei den Brukterern, worauf schließlich auch die anderen Stämme abfielen.[12]

Es folgten vergebliche Versuche der Ampsivarier, sich mit Waffengewalt Gebiete der Usipeter und Tubanten, dann der Chatten und schließlich der Cherusker anzueignen. Tacitus geht davon aus, dass die Ampsivarier auf ihrer Irrfahrt aufgerieben wurden; möglicherweise berichtete er deshalb in seiner Germania nichts von ihnen (die Germania entstand zwar vor den Annalen, beschreibt jedoch einen späteren Zeitpunkt als die betreffenden Kapitel des Geschichtswerks). Allerdings belegen spätantike Zeugnisse die Existenz der Ampsivarier noch im 4. Jahrhundert. Unsicher ist, ob sie zwischenzeitlich Wohnsitze an der oberen Wupper gefunden hatten.[13]

Ab dem Ende des 4. Jahrhunderts wurden die Ampsivarier zu den Franken gerechnet und tauchen nicht mehr als eigenständiger Name auf.[6]

Literatur

  • Maximilian Ihm: Amsivarii. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,2, Stuttgart 1894, Sp. 1982 f.
  • Klaus-Peter Johne: Die Römer an der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike. Berlin 2006.
  • Klaus Tausend: Im Inneren Germaniens. Beziehungen zwischen den germanischen Stämmen vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr. (= Geographica Historica, Bd. 25). Stuttgart 2009.
  • Reinhard Wenskus: Amsivarier. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 1, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1973, ISBN 3-11-004489-7, S. 257. (online)

Einzelnachweise

  1. Strabon, Geographica 7, 1, 3 bzw. 4; hierzu Reinhard Wenskus: Amsivarier. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage, Band 1. Berlin 1973, S. 257 und Klaus-Peter Johne: Die Römer an der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike. Berlin 2006, S. 194.
  2. Tacitus, Annales 13, 55f.
  3. Notitia dignitatum 188.
  4. Überliefert bei Gregor von Tours: Zehn Bücher frankische Geschichte 2, 9
  5. Strabon, Geographica 7, 1, 3f.
  6. 6,0 6,1 Reinhard Wenskus: Amsivarier. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage, Band 1. Berlin 1973, S. 257.
  7. Tacitus, Annales 13, 55, 1.
  8. Tacitus, Annales 13, 55 in der Übersetzung von Hans-Werner Goetz, Karl-Wilhelm Welwei: Altes Germanien. Auszüge aus den antiken Quellen über die Germanen und ihre Beziehungen zum römischen Reich, Teil 1 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Bd. 1a). Darmstadt 1995, S. 167.
  9. Günther Behm-Blancke: Kult und Ideologie. In: Bruno Krüger (Hrsg.): Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden. Band 1: Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Berlin 1976, S. 351–373, hier S. 354.
  10. Tacitus, Annales 13, 56, 1.
  11. Klaus Tausend: Im Inneren Germaniens. Beziehungen zwischen den germanischen Stämmen vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr. (= Geographica Historica, Bd. 25). Stuttgart 2009, S. 34.
  12. Tacitus, Annales 13, 56, 2f.
  13. Kritisch hierzu Reinhard Wenskus: Amsivarier. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage, Band 1. Berlin 1973, S. 257.

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