Skelett KNM-WT 15000 - »Turkana Boy« - Homo ergaster
FUND | FUNDORT | ALTER | ENTDECKER | DATUM |
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juveniles maskulines Skelett | Nariokotome, Kenia | 1,6 Millionen Jahre | Kamoya Kimeu | 22. August 1984 |
VERÖFFENTLICHUNG | ||||
Brown F., J. Harris, R. Leakey und A. Walker, 1985. Early Homo erectus skeleton from west Lake Turkana, Kenya. Nature 316: 788 - 792. DOI: 10.1038/316788a0 |
Am 22. August 1984 entdeckte Kamoya Kimeu einen winzigen Knochen, der nur als bescheidener Anfang eines gewaltigen Fundes zu bezeichnen ist: auf einem Abhang mit Lavageröll bei Nariokotome in Kenia bemerkte er einen Teil eines winzigen Schädelbruchstücks; am Ende hatte man einen beispiellosen Fund geborgen: das menschliche Fossil ist das bis dato vollständigste entdeckte Skelett eines frühen Homininen, eine Fundgrube für die Paläoanthropologie. Es war das erste mehr als eine Million Jahre alte menschliche Fossil mit einem so vollständigen Schädel, dass die Gehirngröße sich genau ermitteln ließ, und auch vom Rest des Skeletts waren so viele Teile vorhanden, dass man die Körpergröße exakt abschätzen konnte.
Man konnte nun Theorien über die Gehirngröße, Entwicklung und das Wachstum von frühen Homininen überprüfen. Die postcranialen Knochen lieferten neue Erkenntnisse über die Proportionen von Armen und Beinen sowie über Fortbewegung, Reifung, Schwangerschaft und über die spannende Frage, ob diese Homininen vielleicht schon über so etwas wie gesprochene Sprache verfügten.
Viele postcraniale Knochen (die Knochen vom Schädel abwärts) dieser Spezies, so zum Beispiel die Rippen, wurden mit dem Exemplar von Nariokotome überhaupt zum ersten Mal gefunden. Nachdem die Paläoanthropologen Richard Leakey und Alan Walker mit ihrer Arbeitsgruppe den Fund ausgegraben hatten, wurde er in den darauffolgenden zehn Jahren von Spezialisten für alle Teile des Skeletts untersucht.
KNM-WT 15000 war ein Junge, der schon im jugendlichen Alter starb. Er kam am Rand eines seichten Flussufers ums Leben, wo sein Körper schnell vom Sediment bedeckt wurde, so dass er erhalten blieb. Das Skelett war wirklich bemerkenswert vollständig. Hätte der Junge das Erwachsenenalter erreicht, so wäre er über 1,80 m groß geworden und hätte 68 kg gewogen. Bei seinem Tod war er bereits über 1,50 m groß und muss ca. 47 kg gewogen haben. Mit seinem großen, schlanken Körperbau ähnelte er den heutigen Bewohnern Äquatorialafrikas, und die Länge der Gliedmaßen erreichte trotz seines jugendlichen Alters fast die Mittelwerte für heutige weiße, erwachsene nordamerikanische und europäische Männer. Die Spezies war offenbar viel größer als alle frühen Homininen.
Der Schädel wurde aus rund 70 Einzelfragmenten rekonstruiert; diese Zahl schließt nicht die Zähne ein, die ebenfalls fast alle gefunden wurden. Ihre Morphologie entspricht der von Homo erectus-Funden aus China. An andere Stücke von erectus erinnern die Merkmale des Schädels: Der Gehirnschädel ist hinten am breitesten, und hinter dem Oberaugenwulst liegt eine mäßig starke Furche. Im Vergleich zu dem afrikanischen Fund OH 9 hat KNM-WT 15000 - vielleicht weil er noch nicht ausgewachsen war - einen viel kleineren Überaugenwulst. Das Schädelvolumen ist mit 880 cm³ geringfügig größer als bei KNM-ER 3733 und geringer als bei OH 7. Als Erwachsener hätte der Junge wahrscheinlich ein Gehirnvolumen von 909 Kubikzentimetern gehabt, womit er zwischen den kleineren Exemplaren aus Kenia und den größeren Funden von Homo erectus aus Zhoukoudian in China stünde.
An KNM-WT 15000 fallen einige Unterschiede zum Skelett der Jetztmenschen auf. Unter anderem sind die Wirbelfortsätze länger, und der Rückenmarkskanal ist enger, so dass nur eine begrenzte Zahl von Nervenfasern in den Brustkorb führen kann; damit verbunden war wahrscheinlich auch eine geringere Fähigkeit, den Luftstrom von der Lunge zum Mund zu steuern - dann wäre der Junge nicht in der Lage gewesen zu sprechen. Das schmale Becken eignete sich zum Gehen und Laufen vermutlich noch besser als unser eigenes. Darüber hinaus ist der Oberschenkelhals verlängert, ein primitives Merkmal, das man auch bei den Australopithecinen findet. Insgesamt zeigt KNM-WT 15000 jedoch, dass die Homininen zu jener Zeit den affenähnlichen Körperbau der Australopithecinen hinter sich gelassen hatten und sich schnell der Körper- und Gehirngröße heutiger Menschen näherten.
In dem 1988 von National Geographic produzierten Video Mysteries of Mankind, sagt Richard Leakey über dieses Fossil:
"Ich denke [der Turkana Junge] ist bemerkenswert, weil er so vollständig ist, aber vielleicht ist da noch ein Aspekt der übersehen wird: Viele Leute, die die Idee menschlicher Evolution nicht mögen, waren im Stande, viele Behauptungen die wir auf der Basis fragmentarischer Beweise gemacht haben, anzuzweifeln. Es hat gerade mal Stückchen und Stücke gegeben, und wer weiß, jene kleinen Stückchen von Knochen könnten zu irgendetwas gehören. Um einige dieser Leute mit einem vollständigen Skelett zu konfrontieren, das menschlich ist und deshalb offensichtlich zu uns in einem engen Zusammenhang steht, das definitiv eineinhalb Millionen Jahre alt ist, oder noch älter, ist ein ziemlich überzeugender Beweis, und ich denke, viele von den Leuten, die Zaungäste bei dieser Diskussion über Kreationismus vs. Evolution sind, werden den Zaun im Licht dieser Entdeckung " zu verlassen haben.